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die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette

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schuldig gemacht hatte. „Zwar trug in <strong>die</strong>sem Fall<br />

nach einem Gutachten dreier ‚Weiser’ das Recht<br />

glücklicherweise den Sieg über <strong>die</strong> Wertegemeinschaft<br />

davon, was übrigens <strong>die</strong> deutsche Bundesregierung<br />

nicht daran hinderte, mit der Ächtung des<br />

Nachbarn noch eine Weile fortzufahren.“<br />

Das fünfte und letzte Beispiel Spaemanns ist der<br />

Kosovo-Krieg: Er sei im Namen „unserer Werte“<br />

ge führt worden. <strong>Die</strong> entscheidende Voraussetzung,<br />

nämlich <strong>die</strong> Vertreibung eines Volkes aus seiner<br />

Heimat durch eine militärische Intervention<br />

zu verhindern, <strong>die</strong>nt zweifellos einer „gerechten<br />

Sache“. „Mit dem geltenden Völkerrecht war <strong>die</strong><br />

Führung eines solchen Krieges allerdings unvereinbar.“<br />

Auch hier stellte man sich im Namen der<br />

Werte über das Gesetz, ein Zustand, der früher einmal<br />

Totalitarismus hieß.<br />

Mit anderen Worten, Spaemann hält<br />

der Idee eines Europas als Wertegemeinschaft entgegen,<br />

dass Werte in Europa dazu gebraucht werden,<br />

Dis kriminierungen zu begründen und das<br />

geltende Recht zu hintergehen. Dem Werte-Befürworter<br />

kommt es jedoch auf noch etwas ganz anderes<br />

an: Macht. <strong>Die</strong> Macht ist der höchste Wert, und<br />

Menschen halten als Werte immer das hoch, was<br />

ihnen dazu verhilft, Macht zu gewinnen. Spaemann<br />

ist überzeugt, das genau das gegenwärtig in<br />

Europa geschieht. Den Grund sieht er in einer<br />

paradoxen Dialektik aus „dem sich ausbreitenden<br />

Werterelativismus und Skeptizismus“ einerseits<br />

und „der Verabsolutierung der eigenen Wertschätzungen“<br />

an dererseits. Werte werden durch <strong>die</strong>jenigen<br />

ge setzt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Macht dazu haben, also ist ihr<br />

Kampf um <strong>die</strong> Werte nichts anderes als ihr Kampf<br />

um <strong>die</strong> Macht. Man muss daher immer „nach den<br />

verborgenen Interessen fragen. Wer zieht hier Vorteile<br />

aus einer bestimmten Wertordnung?“<br />

Eine ähnliche Position nimmt Krzysztof<br />

Michalski ein, wenn auch mit anderen Argumenten<br />

(in seinem Beitrag Politik und Werte, ebenfalls<br />

in Transit 2001).<br />

Nichts, was wir tun, sagt er, ist moralisch neutral,<br />

aber <strong>die</strong> moralische Bedeutung unseres Tuns ist<br />

mehrdeutig, und es gibt keine klaren Hinweise da -<br />

rauf, wie das Gute in der Welt zu erreichen sei. Politik<br />

und Werte sind immer schon miteinander verknüpft,<br />

denn Politik hat es mit moralischen<br />

Werten zu tun, <strong>die</strong> nicht einfach auf materielle In -<br />

teressen reduziert werden können. <strong>Die</strong> Politik operiert<br />

in einem Raum, „der geformt wird von moralischen<br />

Gebräuchen, Gefühlen und<br />

Erwar tungen“, „Vorstellungen von Gut und<br />

Böse“, also von Werten. Eben weil sich <strong>die</strong> Gesellschaft<br />

„durch historisch entstandene ‚Werte’ definiert,<br />

kann keine Gesellschaft – und das gilt auch<br />

für ‚Europa’ oder ‚Österreich’ – darauf verzichten,<br />

‚andere’ auszuschließen, <strong>die</strong> nach anderen ‚Werten’<br />

leben; erst durch <strong>die</strong>se Ausschließung (...) werden<br />

wir zu denen, <strong>die</strong> wir sind. Dadurch entsteht übrigens<br />

<strong>die</strong> explosive Spannung, in der wir leben: der<br />

modernen europäischen Kultur.“<br />

Das Nexus-Institut an der Universität<br />

Tilburg in den Niederlanden organisierte 2004<br />

eine Serie internationaler Kongresse zu europäischen<br />

Werten und ihrer Bedeutung für unsere Zu -<br />

kunft. Einige hundert prominente Philo sophen<br />

und politische Entscheidungsträger nahmen daran<br />

teil, in Den Haag, Warschau, Berlin, Washington<br />

und Rotterdam. In <strong>die</strong>sen Diskussionen wurde<br />

besonderer Wert dar gelegt, zwischen den Werten<br />

und der Politik keinen Graben entstehen zu lassen.<br />

Ich möchte hier nur kurz einige Argumente zitieren,<br />

<strong>die</strong> von den Verteidigern eines Europas als<br />

Wertegemeinschaft vorgebracht wurden, da in<br />

ihren Augen Europa mehr ist als bloß ein Politikund<br />

Wirtschaftsbündnis:<br />

- <strong>Die</strong> meisten universalen Werte sind in Europa<br />

entstanden. europäische Werte sind das Ergebnis<br />

jahrhundertelanger Prozesse, in denen hohe künstlerische<br />

und kulturelle Leistungen und extreme<br />

Ungerechtigkeit und Gewalt miteinander abwechselten.<br />

- Europäer haben sich jedoch immer noch nicht<br />

entschieden, ob sie Europäer aufgrund ihrer Vergangenheit<br />

sind oder wegen ihrer Zukunft. <strong>Die</strong> EU<br />

sieht nicht so aus, als habe sie gemeinsame Werte,<br />

sondern eher wie ein lockerer Club.<br />

- Bei der Suche nach einer europäischen Identität<br />

spielen Werte eine entscheidende Rolle. Das gilt<br />

besonders heute, da viele Menschen ihre Existenz<br />

zunehmend verunsichert sehen durch <strong>die</strong> Globalisierung,<br />

den technologischen Wandel, <strong>die</strong> Ein wan -<br />

derung und einen veränderten „Gesell schafts -<br />

vertrag“.<br />

- Werte als solche sind blasse, abstrakte Begriffe,<br />

und doch sind sie handlungsleitend. Auch <strong>die</strong> formalste<br />

europäische Gesetzgebung beruht auf eindeutigen<br />

Werten. <strong>Die</strong>se müssen bewahrt und auf -<br />

rechterhalten werden gegenüber Gleich gül tigkeit,<br />

Skeptizismus und Egoismus, indem sie klar ausgesprochen<br />

und diskutiert werden.<br />

- <strong>Die</strong> EU ist <strong>die</strong> einzige föderale Konstruktion,<br />

<strong>die</strong> zum Ziel hat, eine Gemeinschaft der Vielfalt zu<br />

werden und nicht eine Nation (weshalb <strong>die</strong> EU von<br />

ihren Nachbarn auch nicht als Bedrohung empfunden<br />

wird). Gleichwohl hat der nach dem Zwei -<br />

ten Weltkrieg eingeführte Zwang zum Kompromiss<br />

dem Kontinent Einfluss und moralische<br />

Au torität verliehen. Europa scheint sich seiner<br />

Macht nicht ausreichend bewusst zu sein, zumin -<br />

dest tut es nicht genug in der Ausübung <strong>die</strong>ser<br />

Macht, obwohl viele Nicht-Europäer gerade da -<br />

rauf ihre Hoffnungen setzen.<br />

Wenn man den Ausdruck „europäi -<br />

sche Werte“ benützt, stellt sich sofort <strong>die</strong> Frage,<br />

was für ein Wertesystem damit gemeint ist. Der<br />

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