die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette
die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette
die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
72<br />
stämme zum Knacken bringenden Kälte. Ganz<br />
Vorsichtige, auch ehemalige Städter, <strong>die</strong> in ihren<br />
Häusern ohne Garten mitten unter Bäumen<br />
wohnten, achteten darauf, ob es im dem steinhart<br />
verharschten Schnee nicht Spuren von Bären gab<br />
oder ob sich <strong>die</strong> Braunen schon in ihre Winterquartiere<br />
verzogen hatten.<br />
Wer aus dem Auto steigt und sich zu Fuß weitermacht,<br />
dem zieht in der einfallenden Dämmerung<br />
bald der Rauch von Holzfeuer in <strong>die</strong> Nase, das un -<br />
trüglichste Zeichen, dass Häuser in der Nähe sind.<br />
Auch <strong>die</strong>ses Tal, das sich vor der Mündung in den<br />
Hauptfluss verengt, zeigte seine lange, geschwungene<br />
Form, nichts Jähes, keinen plötzlichen, willkürlichen<br />
Richtungswechsel, sondern ein leicht<br />
gekrümmter Talgrund lag da mit Grasboden, beidseits<br />
<strong>die</strong> Wälder an den Talhängen, und hier und<br />
dort stachen <strong>die</strong> Gehöfte heraus mit den rostrot<br />
gestrichenen Scheunen, der allgegenwärtigen Far -<br />
be, einst aus dem schwedischen Falun importiert,<br />
seit Jahrzehnten schon überragt von den Silos, <strong>die</strong><br />
zeigen sollten, dass auch Landwirtschaft heutzutage<br />
fabrikmäßig ernstgenommen sein wollte.<br />
Weit hinten, auf einem Hügel mitten im Talverlauf,<br />
einer Laune eines jener Gletscher, nach denen<br />
<strong>die</strong> ganze Landschaft noch aussieht, und das ganz<br />
besonders in <strong>die</strong>ser andrängenden Winterkälte,<br />
beginnt sich <strong>die</strong> weiße Holzkirche von South Strafford<br />
abzuzeichnen, mit ihrem schlanken, spitzen<br />
neuenglischen Kirchturm, wo puritanische Zimmermannsbaukunst<br />
gotischen Kirchenstil in <strong>die</strong>se<br />
Wälder gebracht hat, und das erheblich post festum,<br />
wahrscheinlich sogar erst nach den Napoleonischen<br />
Kriegen.<br />
<strong>Die</strong> eigentlich schmalbrüstige, beinahe fragile<br />
hölzerne Kirche, spitzbogig befenstert auf dem allseitig<br />
abfallenden Hügel, der freigehalten war bis<br />
auf einige halbhohe schöne Bäume, Obstbäume<br />
offensichtlich, aber jetzt in der Kälte zur Unkenntlichkeit<br />
entlaubt, und unten am Fuße, am Anfang<br />
des im Rasen kaum erkennbaren Kirchsteigs, ein<br />
ebenso weißes Holzhaus, mit gelb lasierten Lisenen,<br />
wie Laubsägearbeit, wie ein Spielzeug beinahe,<br />
es ist wohl das Pfarrhaus. Der Mittelbalkon<br />
und <strong>die</strong> symmetrische Holzarchitektur erinnern<br />
entfernt an Palladios Vicenza, kommen aber ohne<br />
einen einzigen Stein aus. Eines der oberen Fenster<br />
ist beleuchtet. Doch hier zu klingeln und unangemeldet<br />
um Eintritt zu bitten wäre sehr unamerikanisch<br />
in einem Land, in dem bei aller Lieblichkeit<br />
und Verhaltenheit der Landschaft das trespassing,<br />
das ungebetene Eintreten oder auch nur das Betreten<br />
eines fremden Stückes Boden, zu den Dingen<br />
gehört, <strong>die</strong> man besser nicht tut. <strong>Die</strong> Kirche und<br />
der schlanke, in der Dämmerung nun schon angestrahlte<br />
Turm, talauf und talabwärts weithin sichtbar,<br />
sind selbst in der angehenden Winternacht<br />
noch so etwas wie ein Lichtblick, in ihrer Zartheit<br />
Schutz erflehend und zugleich Schutz und versprechend.<br />
Weihnachtsauktion in Orford, draußen an der<br />
Hauptstraße, <strong>die</strong> nur deshalb wichtig und Haupt-<br />
straße ist, weil da der größte Fluss des Landstrichs<br />
das Tal bildet. Grell blendet <strong>die</strong> niedrig stehende<br />
Dezembersonne auf dem schütteren Schnee. An<br />
einer Straßenkreuzung und einer Brücke über den<br />
Connecticut River, der hier <strong>die</strong> Landesgrenze bildet,<br />
hat sich so etwas wie ein geschlossenes Dorf<br />
gebildet, mit kleinen Häuschen und nicht viel größeren<br />
Scheunen, überall <strong>die</strong> amerikanische Ausgabe<br />
der verdächtigen ochsenblutfarbenen falufärg<br />
an den Schalungen der Holzhäuser. Und hier nun<br />
Pickups, doch <strong>die</strong>se endlich einmal an einem richtigen<br />
Ort, und auch sonst manche Autos, <strong>die</strong> mehr<br />
Erdkrumen an den Reifen und innen auf dem<br />
Gummiboden haben und verschmierte Fenster, als<br />
der Städter es gewohnt gewesen wäre. Neben dem<br />
typisch amerikanischen Wagen auffällig viele Volvos,<br />
Kombis natürlich, mit Anhängerkupplung,<br />
und sogar, seht her, einen ebensolchen Mercedes.<br />
<strong>Die</strong> Hänger stehen nebenbei, sorgfältig aufgereiht,<br />
alle mit dem offenen Heck zur Straße gerichtet;<br />
Strohreste und Tiermist auf den Anhängerböden<br />
und auf der Straße.<br />
<strong>Die</strong> Weihnachtsauktion, zu der aus dem ganzen<br />
großen Umkreis <strong>die</strong> Leute kommen, ist eine Vieh -<br />
auktion. Von altersher. An einem der meist strahlenden<br />
Tage vor Weihnachten, in <strong>die</strong> eisige Kälte<br />
hinein, <strong>die</strong> dem Vieh aber nicht schadet. <strong>Die</strong> Rinder<br />
tragen ihren dicken Winterpelz und sind wie<br />
überall in den Staaten das Leben im Freien ge -<br />
wohnt. Winterlich ist auch der Aufzug der Besucher,<br />
sie laufen in ihren dicken, gewürfelten Lumberjacks<br />
umher, mit denen sie während der letzten<br />
Wochen zur Jagd gingen, rot und in anderen<br />
schreienden Farben, nicht um das Wild zu erschrecken,<br />
sondern zur Warnung für <strong>die</strong> anderen Jäger.<br />
Da passiert in einer jeden Jagdsaison etwas, Un -<br />
glück genug für eine Woche Valley News, aber das<br />
gehört nun einmal dazu.<br />
In eine der Scheunen ist ein Ring eingebaut, mit<br />
einem Podium für den Auktionator und seinen<br />
Assistenten, der kassiert, ringsum hinter den rohen<br />
Stangen sitzen <strong>die</strong> Farmer, Verkäufer und Käufer.<br />
In, wie gesagt, Lumberjacks und mit dicken Mützen,<br />
Ohrenklappen lose herabfallend. Gespanntes<br />
Schweigen unter den Anwesenden. Der Versteigerer<br />
erklimmt gerade, indem er <strong>die</strong> soeben im Kreise<br />
vorgeführte Färse oder den Jungstier wohlwollend<br />
und melodisch anpreist, seinen Auftakt und trommelt<br />
dann wie eine ununterbrochen angeschlagene<br />
Glocke seine Zahlenketten über Rinder und Menschen.<br />
Geboten wird in das Zahlenstakkato, in das<br />
kaum verständliche, hinein mit einem Fingerzeig,<br />
den der Unkundige jederzeit übersehen hätte. Hat<br />
er nun gekauft oder hat er nicht? Wir werden es nie<br />
erfahren. Wir müssten nur draußen bei den<br />
Anhängern lauern, später, wenn <strong>die</strong> Tiere wieder<br />
abgefahren werden.<br />
Aber da gibt es nicht nur <strong>die</strong> Tiere, den Auktionator,<br />
<strong>die</strong> Verkäufer und Käufer. <strong>Die</strong> Weihnachtsauktion<br />
von Orford war längst im ganzen Landkreis<br />
und darüber hinaus eine Attraktion geworden, zu<br />
der man einfach fuhr. Auf der Dorfstraße gehen