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die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette

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katholischen Kirchenfürsten Kardinal<br />

Michael (von) Faulhaber, verglichen.<br />

Für Faulhaber, gestorben 1952, wurde<br />

sofort – der Münchenkenner kann es<br />

noch heute bestätigen – eine nicht unansehnliche<br />

Münchner Innenstadtstraße<br />

in Kardinal-Faulhaber-Straße umbenannt.<br />

Faulhaber sofort höchst prominent<br />

geehrt – und wo bleibt da im pari tä -<br />

ti sche n Denken der Zeit <strong>die</strong> Evan gelische<br />

Kirche Bayerns? Wohl möglich, dass da<br />

mancher eine Lücke, zumindest eine of -<br />

fene Stelle verspürte.<br />

Genau zu <strong>die</strong>ser Zeit war der Sozialdemokrat<br />

Wilhelm Hoegner, Chef der sog.<br />

Viererkoalition, bayerischer Ministerpräsident.<br />

Er hatte schon bald nach dem<br />

Krieg versichert, dass „jeder gute Christ<br />

ohne Bedenken Sozialdemokrat und<br />

jeder Sozialdemokrat … ohne Bedenken<br />

gläubiger Christ sein“ könne, und<br />

behielt <strong>die</strong>se Meinung stets bei. Auch<br />

hatte er durch einen damals eher ungewöhnlichen<br />

Schritt, nämlich einen parteilosen<br />

Vizepräsidenten des Evangelischen<br />

Landeskirchenamtes zum<br />

Staats sekretär zu machen, ganz offenbar<br />

zu zeigen versucht, dass sich <strong>die</strong> Evangelische<br />

Kirche nicht nur von der CSU vertreten<br />

fühlen musste.<br />

Was lag bei einer solchen politischen<br />

Gefühlslage näher, als dem soeben ver-<br />

Heftkritik<br />

Unaufgeregt anspruchsvoll<br />

DIE GAZETTE: Viel Text, wenige Bilder, keine<br />

hochgekochten Sensationen<br />

Anders als üblich gab es DIE GAZETTE zunächst<br />

online, seit 1998, und erst sechs Jahre später auch<br />

gedruckt. Und anders als viele sonstigen Zeit -<br />

schriftengründungen hat <strong>die</strong> Münchner, vom Literaturwissenschafter<br />

Fritz R. Glunk gegründete<br />

Vierteljahresschrift nicht blätternde Zuschauer als<br />

Zielgruppe im Sinn, sondern denkende Leser. Das<br />

bedeutet auf 106 Seiten viel Text, wenige Bilder,<br />

keine hochgekochten Sensationen.<br />

„Eigentlich vollkommen unverkäuflich“, wie der<br />

Journalist Peter Littger in der internen „Heftkritik“<br />

der aktuellen Nummer noch eins nachlegt. Er meint<br />

das als Kompliment, und es ist ihm beizustimmen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Gazette</strong> ist das, was viele Diskurs-Plattformen<br />

nur simulieren (Littger erwähnt etwa das von ihm<br />

mitbegründete Cicero), ein Diskussionsorgan im<br />

altmodischen Sinn, anspruchsvoll und nicht ohne<br />

storbenen protestantischen Oberhirten<br />

Bayerns auch von seiten der Landeshauptstadt,<br />

dazu noch unter Führung<br />

derselben Partei wie <strong>die</strong> Staatsregierung,<br />

<strong>die</strong> gleiche Ehre zuteil werden lassen wie<br />

wenige Jahre zuvor Faulhaber? Den Zeitungen<br />

und Nachrufen jener Zeit ist zu<br />

entnehmen, dass Bischof Hans Meiser<br />

den Münchnern und Bayern in der letzten<br />

Phase seines Lebens vor allem wegen<br />

seines bei aller Kritik der Biographen<br />

offenbar hohen Charismas im Gedächtnis<br />

blieb, und <strong>die</strong> subjektive Erschütterung<br />

so manches Berichts ist auf ihre<br />

Weise durchaus glaubwürdig. Und gar<br />

nicht zu verschweigen ist, dass eine solche<br />

Ehrung auch für <strong>die</strong> Ehrenden politischen<br />

Ertrag versprach und – wie am<br />

damaligen Echo zu sehen – keineswegs<br />

nur versprach.<br />

<strong>Die</strong> zumindest partiellen Verstrickungen<br />

Meisers in das Un rechtsregime der<br />

NS-Zeit mögen bei der damaligen Be -<br />

wertung eine nur geringe Rolle gespielt<br />

haben, und damit befand er sich zu jener<br />

Zeit, 1957, zweifellos in wenn nicht<br />

guter, so doch gro ßer Zeitgenossenschaft.<br />

<strong>Die</strong>s alles ist, retrospektiv betrachtet,<br />

freilich nicht schön. Aber wann ist Ge -<br />

schichte schon „schön“? Und mit welcher<br />

Legitimation machen wir Spätergebore-<br />

nen uns an heischig, Ge schichte durch<br />

Umschreiben, Wegretuschieren wie<br />

dem Entfernen eines Namens von einer<br />

Straßentafel, zu „verschönern“?<br />

Aber damals, 1957, in einer Welt, in<br />

der <strong>die</strong> Überlebenden von 1945 gerade<br />

auf der Höhe ihrer Schaffenskraft waren<br />

und <strong>die</strong> Mitte der Gesellschaft bildeten,<br />

war es politisch zumindest nicht unvorteilhaft,<br />

für den, nach damaliger Lesart,<br />

ver<strong>die</strong>nten Kirchenmann auf solche<br />

Weise Verständnis zu zeigen und <strong>die</strong>s<br />

über <strong>die</strong> Benennung symbolisch zu<br />

bekräftigen.<br />

So wie der Beschluss einer hochweisen<br />

Obrigkeit 2007 den Beifall vieler gefunden<br />

hat, <strong>die</strong> wohlmeinend sind, aber ent -<br />

weder nicht <strong>die</strong> Voraussetzungen oder<br />

nicht <strong>die</strong> Zeit haben, solche alten Akten<br />

nachzulesen; es ist der Beifall da rüber,<br />

dass man sich hier von einem Stück Vergangenheit<br />

befreit, das viele von uns<br />

anfangen, als Makel zu empfinden.<br />

Verschönerung aber sollte auf Lebensbereiche<br />

wie auf das Aufstellen von<br />

Ruhebänkchen durch den Verschönerungsverein<br />

beschränkt bleiben. Denn<br />

schon als Selbstverschönerung, vulgo<br />

Kosmetik, wird sie in vielem fragwürdig.<br />

Den Spiegel reichen wir gerne.<br />

Anton Stahlberg<br />

Überraschungen. Mag man Julian Nida-Rümelins<br />

Beitrag über „Gerechtigkeit in Europa“ noch als Teil<br />

des etablierten bundesrepublikanischen Dialogs<br />

sehen, so fällt der kluge und zynische Beitrag des<br />

kenianischen Autors Binjawanga Wainaina über <strong>die</strong><br />

wohlgemeinten Initiativen der Ersten Welt zur Rettung<br />

der Dritten („Biogas, Aufziehradio, One Laptop<br />

Per Child“) schon aus dem Rahmen. „Der Internationale<br />

Währungsfonds wird dazu lächeln.“<br />

Man nehme dazu <strong>die</strong> Aufzählung von Matthias<br />

Horx' 100 Top-Trends von 2004, <strong>die</strong> sich von selbst<br />

verreißt, oder Zé do Rock, wie er in seinem quasideutschen<br />

Idiom Witziges und Ernstes aus Kuba<br />

berichtet, oder <strong>die</strong> brisante Rekonstruktion eines<br />

Geheimtreffens von Dissidenten und Regimespitzen<br />

mitten in der DDR, 1976 und kurz nach der<br />

Ausweisung Biermanns: Das Ergebnis ist rund,<br />

spannend und formal in einer unaufgeregten<br />

Ästhetik zwischen dem seligen Transatlantik und<br />

Datum angesiedelt. Ein Gewinn.<br />

(Michael Freund/DER STANDARD, Wien; Printausgabe,<br />

6. November 2007)<br />

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