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die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette

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englische Choräle allemal, vielleicht Adeste fideles,<br />

mit der unnachahmlichen Lateinaussprache, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Englischsprechenden für normal halten. On the<br />

first day of Christmas my true love gave to me – zwölf<br />

Tage und zwölf Nächte wie in alten Zeiten dauern<br />

<strong>die</strong>se Weihnachten des Liedes, viel braucht der<br />

Liebste für so viele Tage zum Schenken, und viel<br />

haben <strong>die</strong> Kinder auswendig zu lernen und zu singen,<br />

bis <strong>die</strong>ser Zauber wieder vorbei ist. Aber das ist<br />

ja der Zauber: Twelve golden rings ...! Der Blizzard,<br />

der dem stabilen Spätherbstwetter ein Ende macht,<br />

passt zur Wildnis, <strong>die</strong> 5 <strong>die</strong>ses Land immer noch<br />

ist. Wieder werden einige unvorsichtige Autofahrer<br />

aus den Ballungsräumen mit ihren Sommerreifen<br />

auf der Autobahn liegengeblieben sein. Ein<br />

Glück, wenn es für eine dumme Hausfrau oder den<br />

naseweisen 28-jährigen Handelsgehilfen nicht mit<br />

dem Erfrierungstod endet. <strong>Die</strong> Straßen sind zu, auf<br />

eine Weise überfroren, <strong>die</strong> Kälte beißt, wie es sich<br />

im wohltemperierten alten Europa niemand träumen<br />

ließe, <strong>die</strong> Schulen schließen vor den Schneestürmen<br />

sicherheitshalber einige Tage, ehe <strong>die</strong><br />

eigentlichen Weihnachtsferien beginnen. So ist das<br />

hier immer. Etwas Schnee, und dann in allen<br />

Nachrichten und Köpfen gleich <strong>die</strong> Schnee<strong>katastrophe</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Bären haben inzwischen längst ihre<br />

Höhlen bezogen, Winterschlaf überdeckt alles.<br />

Ein Weihnachtsmorgen in <strong>die</strong>sen Waldtälern<br />

Neuenglands, einige Zoll Schnee auf den Feldern,<br />

im Sonnenlicht werfen <strong>die</strong> Äste ihre Schneelast<br />

voller Glitzer ab. Das ist <strong>die</strong> richtige Feierstunde.<br />

<strong>Die</strong> eine, auf <strong>die</strong> das Land hier ein ganzes Jahr<br />

gewartet zu haben scheint. Noch immer treten <strong>die</strong><br />

Menschen so fröhlich vors Haus an <strong>die</strong>sem <strong>ersten</strong><br />

Feiertag, wie es schon der alte James Fenimore<br />

Cooper beschrieben hat in seinem „Lederstrumpf“,<br />

und vielleicht auch selber gemacht. Das<br />

waren, da einer ja meist von den glücklichen Tagen<br />

seiner Jugend schreibt, noch <strong>die</strong> Feste im längstvergangenen<br />

18. Jahrhundert, für ihn schon Jahrzehnte<br />

entfernt – und wie viele für uns? Offenbar<br />

viel weniger, als es den Anschein hat.<br />

In Cooperstown, im Upstate New York, ist er<br />

begraben. Erst nach seinem Tode haben sie das<br />

Dorf nach ihm benannt. Es liegt, wie es sich gehört,<br />

am Otsego-See. Dort sieht es genauso aus, wie es<br />

der alte Cooper in seinen Geschichten beschreibt.<br />

Viel stärker ist er da, als wenn er sich versucht, über<br />

<strong>die</strong> Prärien zu schreiben. <strong>Die</strong>se halb schlafende<br />

Waldlandschaft, der Kälte und der Dunkelheit<br />

zugewendet, mit den verstohlen umherschleichenden<br />

Indianern darin, das ist Cooper. Mit Ausnahme<br />

der edlen Wilden und des Kampfes auf<br />

Leben und Tod zwischen gut Englischgesinnten<br />

und Franzosenfreundchen in <strong>die</strong>sem Krieg, der<br />

damals schon ein Weltkrieg war, ist alles beim alten<br />

geblieben. Und in seiner Beschreibung hat er uns<br />

<strong>die</strong> Augen geöffnet.<br />

Einer der kältesten Tage des Jahres, und der fröhlichste.<br />

Sam, der Neger aus <strong>die</strong>sen Seiten des<br />

„Lederstrumpfs“, hatte vor lauter Kälte graue<br />

Backen, als er voller Eifer in der <strong>ersten</strong> Morgen-<br />

sonne den Weihnachtsschlitten anspannte. Bis<br />

zum Bauch standen <strong>die</strong> dampfenden Pferde im<br />

frisch gefallenen Schnee. Heute lebt Sam sicherheitshalber<br />

nicht mehr hier, und kaum einer seiner<br />

möglichen Nachkommen. <strong>Die</strong> eisigen Backen<br />

haben wir noch heute, wenn wir den morgendlichen<br />

Vorgarten da durchqueren. Ein Glück, dass<br />

der Motor des im Freien geparkten Autos <strong>die</strong> ganze<br />

Nacht über elektrisch geheizt war, so wie das <strong>die</strong><br />

meisten hier halten. Der fröhlichste Tag des Jahres.<br />

Vorbei mit den nächtlichen Wehen. Jetzt ist er da,<br />

jetzt, bei helllichtem Tag kann gefeiert werden. Wir<br />

werden feiern – und wahrhaft, wir tun es!<br />

Obwohl das Land hier eine Wiege <strong>die</strong>ser Nation<br />

ist, ist es vom übrigen Amerika so abgeschieden in<br />

seiner Fröhlichkeit und seiner diskreten Trauer,<br />

dass <strong>die</strong> Klugen und <strong>die</strong> Begüterten aus den ganzen<br />

USA meinen, hier könnten sie ihre Heranwachsenden<br />

unbesorgt herschicken, damit <strong>die</strong>se ungestört<br />

etwas Schliff bekämen und eine anständige Erziehung.<br />

Ohne dabei auf schlechte Gedanken zu<br />

kommen. Und es spricht für <strong>die</strong> Klugheit <strong>die</strong>ser<br />

Väter und Mütter, <strong>die</strong> das vielleicht selbst schon<br />

durchgemacht haben zu ihren Zeiten, dass sie <strong>die</strong>ses<br />

Land für ein gutes Land halten, wert, den Hintergrund<br />

zu liefern für <strong>die</strong> prägenden Jahre ihrer<br />

Kinder. So fern von allem anderen, als käme das<br />

Verbrechen niemals hierher. Aber es kommt, verlasst<br />

euch drauf, und wir wissen es.<br />

Trotzdem: Vielleicht sollte man, wenn abermals<br />

200 Jahre vergangen sind seit jenem Augenblick,<br />

da <strong>die</strong>ses Land im hellen Licht der Geschichte<br />

stand, wieder herkommen und nachsehen, ob es<br />

noch immer das ist, was es so gut und so lange war<br />

und was es heute noch ist: Landschaft des Wartens<br />

und versteckten Heranreifens, eine halb verborgene<br />

Welt mit langsamem Puls und ganz anders als<br />

vieles andere, das gleich nebenan einem aufstößt.<br />

Weihnachtslandschaft vielleicht.<br />

Das überlassen wir aber besser dem, der sich dann<br />

hier umsieht, wie gesagt, 200 Jahre nach uns.<br />

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