die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette
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Niemals mehr habe ich <strong>die</strong>ses Gefühl abgeschält<br />
bekommen, das sich vielleicht nicht erst an <strong>die</strong>sem<br />
schlickigen Abend als alles endete bemerkbar<br />
machte, sondern, womöglich, viel früher: Als Taran<br />
mich unruhig machte oder sogar schon zur Zeit<br />
jenes lichtabgedunkelten Kindsommers, auf der<br />
Rückbank des Fiats von Bebe, immer auf dem Weg<br />
zur Küste.<br />
Auch da war Radio und möglich, es sind <strong>die</strong> Stimmen<br />
aus dem Nichts, <strong>die</strong> dann ein Leben lang nicht<br />
mehr aufhören zu soufflieren.<br />
Zischende Schnalzer und das Anhalten von Atem<br />
mitten im Wort und man muss in <strong>die</strong> Hände klatschen<br />
und all das herumscheuchen, bis Erschöpfung<br />
eintritt und der kataklystische Singsang kapituliert,<br />
und dann kann man dem Ganzen das Genick brechen<br />
oder Spitzen klöppeln.<br />
Da ist Toff, der Zwetschge ausschenkt, in der Flasche<br />
ein schwimmender Eisklumpen, weil Februar.<br />
Zwetschge tränt in <strong>die</strong> Gläser.<br />
Sechs Uhr und Ladenschluss bei Coop’s Grocery<br />
bringt kalte Luft und Aki und Zita und einen, den<br />
kenne ich nicht. Wieder Zwetschge, was das Gehör<br />
wattiert und <strong>die</strong> Augen von innen beschlägt.<br />
Ich sage nichts und Aki und Zita sprechen mit Toff<br />
über den Kampf, der andre sagt auch nichts und ich<br />
schiebe mir einen Beutel Tabak zwischen Zahnfleisch<br />
und Oberlippe und horche auf das Schweigen,<br />
das eintritt; was gibt es schon zu sagen darüber,<br />
dass Kid nach siebenjährigem Pausieren und dann<br />
gegen Cyclo, <strong>die</strong>se polierte, blutdurstige Visage,<br />
gegen einen Kampf also, der schon im Vornherein<br />
entschieden ...<br />
Ein Sturz Vögel, gegen Westen abdrehend,<br />
irgendwo am linken Horizontausschnitt und <strong>die</strong><br />
blaue Stunde, <strong>die</strong> der schwarzen weicht.<br />
Josie taucht auf, wird mit zotigen Ausrufen<br />
begrüßt und beginnt an dem Radiogerät rumzuschrauben,<br />
das Toff aus der Küche gebracht hat.<br />
Radio Nord also, als Josie es um fünf vor acht<br />
gelungen ist, das Radio in Schräglage auf einem<br />
Barschwamm und <strong>die</strong> Antenne, gestützt von einer<br />
Flasche Grasovska und Gin, <strong>die</strong> richtige Frequenz<br />
mit einem zum Schraubenzieher umfunktionierten<br />
Zitronenmesser einzustellen.<br />
Und gerade noch rechtzeitig fängt das Radio <strong>die</strong><br />
Story<br />
Radio Nord<br />
Von Corinna Sigmund<br />
<strong>ersten</strong> Wellen, eine zerfetzte Einmarschhymne,<br />
Opus 3, was ich gewußt habe, und das Geschrei der<br />
Leute und all der Applaus löscht Toffs Klitsche und<br />
ich bin mit Kid und wir laufen über <strong>die</strong> Mole zum<br />
Strand runter, dass der Sand stiebt und entsetzt kreisende<br />
Möwen und Kid, mit gut 20 Metern Vorsprung,<br />
breitet mitten im Endsprint <strong>die</strong> Arme aus,<br />
beschreibt einen scharfen Zirkel und ahmt das Kreischen<br />
der Möwen nach, während er sich auf mich<br />
stürzt, der ich, Zurückgebliebener, ihn einhole.<br />
Und von der Promenade brüllt Stieger mit seiner<br />
verfluchten Stoppuhr fuchtelnd auf uns, Blagen,<br />
runter, zetert, weil er <strong>die</strong> Zeit nicht nehmen konnte.<br />
Ich wusste, dass <strong>die</strong> Geschichte schlecht enden<br />
würde, als Wochen später Stieger mit Kätzchen in <strong>die</strong><br />
Kabine kam und sie Kid holten, der mir gerade auf<br />
einem Kassettenrecorder den Tap-Song vorspielte,<br />
und, ja Kid, es ist Zeit, Kätzchen wird sich in<br />
Zukunft um dich kümmern, ab morgen gehst du<br />
steil.<br />
<strong>Die</strong> Stille nach dem Verebben des Lärms im Stadion<br />
wird umso fühlbarer, als sie getragen wird vom<br />
körnigen Räuspern des Frequenzsuchers, den Josie<br />
mit millimeterkurzen Tarierbewegungen immer<br />
wieder besänftigt.<br />
Es ist nicht mehr Kätzchen, der Kid <strong>die</strong> Schultern<br />
massiert, es ist Prospero, <strong>die</strong>ses feiste Schwein, der<br />
ihm erst Recht den Rest gegeben hat.<br />
Allein lief ich weiter <strong>die</strong> Mole runter, allein trainierte<br />
mich Stieger weiter, meine Zeiten wurden<br />
besser und <strong>die</strong> Führhand, aber nicht <strong>die</strong> Möwenschreie<br />
und auch nicht der Kopf.<br />
Kätzchen war mit Kid abgehauen, und sonst nur<br />
gut verpackte Menschen auf den Straßen, also ich<br />
vom Center nach Haus, von zuhaus zum Center und<br />
zwischendurch Opus 3 und <strong>die</strong> Bücher, <strong>die</strong> Kid in<br />
seinem Spind vergessen hatte. Thomas, Miller und<br />
alles von Fjodor; zwischen den Seiten fand ich als<br />
Einmerker gebrauchte Passagen aus Woyzeck und<br />
Frühlingserwachen.<br />
Radio Nord sagt über Kid, dass er geschwächt in<br />
<strong>die</strong> zweite Runde geht, dass <strong>die</strong> Deckung nicht optimal<br />
und Cyclo beweglich, dass Kid auch zu defensiv<br />
und unkonzentriert, kurz, dass es <strong>die</strong> Ankündigung<br />
einer peinlichen Blamage, wenn nicht schlimmer...<br />
Toff, sage ich, gib mir Zwetschge.<br />
Aber selbst in <strong>die</strong>ser Vision Kids als Verlierer, <strong>die</strong><br />
später in Hochglanz in allen einschlägigen Journa-