die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette
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Palermo ist nicht mehr <strong>die</strong> Hauptstadt der<br />
Mafia und wird es vielleicht nie mehr sein. Palermo<br />
war ein mal <strong>die</strong> Hauptstadt der Antimafia. Es hat eine<br />
Pe ri ode der Auseinandersetzungen und der Em pö -<br />
rung durchlebt. Heute aber, und nicht erst seit gestern,<br />
läuft Palermo Gefahr, nicht mehr Hauptstadt<br />
zu sein (weder der Mafia noch der Antimafia), sondern<br />
einfach und modern der Hauptsitz – der neuen<br />
Mafia.<br />
Und <strong>die</strong> auftauchenden Hauptfiguren heißen heu -<br />
te nicht mehr Badalamenti, Liggio, Riina, Bagarella,<br />
Provenzano (<strong>die</strong> historischen und inzwischen verhaf -<br />
teten Führer der Mafia) und auch nicht Lo Piccolo<br />
oder Messina Denaro (<strong>die</strong> jüngeren Leitfiguren). Sie<br />
nennen sich heute anders: Berater, Techniker, Ma -<br />
cher, werden von der guten Gesellschaft bewundert,<br />
tragen <strong>die</strong> Namen neuer, unbekannter Bosse, <strong>die</strong><br />
nur ge murmelt werden, wie Rossi oder Bianchi oder<br />
ähnlich.<br />
<strong>Die</strong>se neuen und bekannten und auch <strong>die</strong> un -<br />
bekannten Persönlichkeiten der Salons findet man<br />
auf Luxusyachten, <strong>die</strong> in winzigen Touristenhäfen<br />
vor Anker liegen; sie nehmen Partydrogen, <strong>die</strong> ihnen<br />
ihre Freunde beschafft haben, sie kleiden sich in<br />
Designerklamotten und besitzen vielzylindrige Mo -<br />
torräder oder Autos und sehen damit ganz und gar<br />
anders aus als <strong>die</strong> erbärmlichen und ungehobelten<br />
Pusher aus den Vororten.<br />
Es wird dahin kommen, dass ein altes Mo dell fröhliche<br />
Urständ feiert. Als „modern“ kehrt das ame ri -<br />
kanische Modell zurück, das schon den Familien der<br />
Bontade und Inzerillo vorschwebte und das durch<br />
das Aufkommen der Männer aus Corleone verdrängt<br />
worden war.<br />
Palermo ist nun dabei, sich um den neuen Hauptsitz<br />
der neuen Mafia zu bewerben.<br />
Diffuse Gesetzlosigkeit, unauffällige Blutbäder,<br />
dabei gleichwohl zusammengeraffter Reichtum, das<br />
Symbol für <strong>die</strong> gesellschaftliche Stellung, um <strong>die</strong><br />
man sie beneidet und der nachgeeifert wird; das<br />
Schweigegebot gewandelt in Selbstgefälligkeit. <strong>Die</strong><br />
Politik erweist sich als unfähig, dem neuen Kampf<br />
gegen <strong>die</strong> neue Mafia eine Stimme zu geben. Und<br />
während <strong>die</strong> Mafiosi aus grauer Vorzeit noch immer<br />
Kaufleute physisch bedrohen, ihnen Schutzgelder<br />
abpressen oder Wucherzinsen eintreiben oder Wäh-<br />
Palermo und <strong>die</strong> Mafia<br />
Der italienische Filz<br />
Dem Verfasser, von 1985 bis 2000 Bürgermeister von Palermo, gelang es, den Kampf gegen <strong>die</strong> Mafia weit über Sizilien hinauszu -<br />
tragen und ihm Stimme und Wucht zu verleihen. In <strong>die</strong>sem Beitrag appelliert er an <strong>die</strong> europäische Öffentlichkeit, den Kampf nicht<br />
aufzugeben, selbst wenn <strong>die</strong> Mafia ihre Methoden unendlich verfeinert hat und das Fernsehen keine blutigen Bilder mehr liefert.<br />
Von Leoluca Orlando<br />
lerstimmen kaufen oder erschwindeln, manipulieren<br />
<strong>die</strong> neuen Mafiosi <strong>die</strong> Macht der Behörden und<br />
das Finanzsystem ebenso wie Wahlvorgänge und<br />
deren amtliche Protokolle.<br />
Um sich der neuen, der modernen Mafia entgegenzustellen,<br />
bedarf es einer neuen, abge stimmten<br />
Reaktion der Behörden. Was wir brauchen, ist <strong>die</strong><br />
Empörung der Zivilgesellschaft, <strong>die</strong> kraftvoll für <strong>die</strong><br />
Sache einer Kultur der Gesetze und ihrer allseits verbreiteten<br />
Einhaltung eintritt.<br />
Es ist unerlässlich, dass <strong>die</strong> Gesetzgebung <strong>die</strong>sem<br />
Wandel von Strategie und Auftreten angepasst wird,<br />
um der <strong>die</strong>ser neuen Mafia entgegenzu treten.<br />
Es sind sicher weitere Gesetzesänderungen nötig,<br />
um <strong>die</strong> Grenzen, aber auch Unzulänglichkeiten der<br />
augenblicklichen Gesetzgebung zu überwinden, so<br />
wie das in der Vergangenheit mit bestimmten Paragraphen<br />
des italienischen Strafgesetzbuchs ja schon<br />
öfter ge schehen ist.<br />
Wir brauchen eine Zusammenarbeit zwischen den<br />
<strong>Die</strong>nsten. Ein breiter Konsens über eine Reihe von<br />
ethischen Werten, <strong>die</strong> ihrerseits einen anders gearteten<br />
Gemeinsinn herausbilden, muss ins Leben gerufen<br />
werden.<br />
Es stellt sich nachdrücklich eine neue<br />
ethische Frage: <strong>die</strong> nach einem anderen Lebensstil.<br />
Wir können nicht länger immer nur warten auf das<br />
Eingreifen der Justiz und ihre freundliche Unterstützung.<br />
Keime und Spuren einer neuen ethischen<br />
Bedeutung der Zivilgesellschaft zeigen sich im so -<br />
zialen und produktiven Umgang mit beschlag -<br />
nahmten Mafia-Gütern. <strong>Die</strong> Erfahrungen, <strong>die</strong> man<br />
mit Zivilcourage gemacht hat, mit der Entscheidung,<br />
aus der Logik der Schutzgelder heraus zu tre -<br />
ten, sind vielleicht unausgereift, aber bedeutungs -<br />
voll. Ein solches Vorgehen hat 1991 den Unter -<br />
nehmer Libero Grassi Ruhe und das Leben gekostet.<br />
Wir sehen also, es geht nicht lediglich um Strafanzeigen,<br />
sondern auch um öffentliche Alli an zen (zum<br />
Beispiel das Bündnis „Kritischer Konsum“), bestehend<br />
aus Händlern, <strong>die</strong> sich gegen Schutzgelder aussprechen,<br />
und Verbrauchern, <strong>die</strong> öffentlich erklären,<br />
nur noch bei eben <strong>die</strong>sen Händlern einkaufen<br />
zu wollen. Es ist auch nur recht und billig, an <strong>die</strong>ser<br />
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