Forschungsbericht 2010 - ZfP Südwürttemberg
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Kurzbezeichnung:<br />
BERL 3<br />
Die Psychoanalyse in der bundesdeutschen Tagespresse (1945-<br />
1995)<br />
Beteiligte: Désirée Ricken(Charité Berlin), Thomas Müller<br />
Als die Psychoanalyse um 1900 von dem Wiener Neurologen Sigmund Freud zuerst<br />
beschrieben wurde, stieß sie zunächst auf erheblichen Widerstand in der<br />
Fachwelt und der Öffentlichkeit, was aufgrund ihrer sexuellen Inhalte, der positivistischen<br />
Grundlagen der Medizin und der Tatsache, dass Freud Jude war,<br />
in der damaligen Zeit und der Wiener Gesellschaft nicht verwundert. Freud<br />
beschrieb diese Tatsache 1905 in seiner „Selbstdarstellung“. Diese überwiegend<br />
ablehnende oder ignorierende Haltung änderte sich zwar bald und die<br />
Psychoanalyse fand schnell eine große und begeisterte Anhängerschaft, doch<br />
auch trotz ihrer späteren weltweiten Etablierung blieb sie umstritten und oft<br />
heftigen Angriffen ausgesetzt, so dass sich vor allem innerhalb der psychoanalytischen<br />
Fachgesellschaften die Ansicht hielt, die Psychoanalyse würde<br />
bis zum heutigen Tage entweder totgeschwiegen oder überwiegend negativ<br />
rezensiert. Beim Literaturstudium der Fachpresse sowie einiger Tageszeitungen<br />
zeigte sich rasch, dass diese Urteile sehr stark einem zeitlichen Wandel<br />
unterworfen waren. Die aus der Auswertung des Materials sich ableitende<br />
Hauptthese der Arbeit, dass die Psychoanalyse quasi zu allen Zeiten eine sehr<br />
große und zustimmende Rezeption erfahren hat und weiterhin erfährt, gilt es<br />
statistisch und qualitativ zu belegen. Der breiten Rezeption der Psychoanalyse<br />
entsprechend, die sich keinesfalls auf die Fachpresse beschränkt, wurden<br />
vier große bundesdeutsche Tageszeitungen als Quellen unterschiedlichen politischen<br />
Hintergrundes ausgewählt: mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung<br />
als rechtskonservatives Blatt über die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter<br />
Rundschau als liberale, bürgerliche Blätter bis hin zur tageszeitung, das<br />
linkspolitische Spektrum einbeziehend. Insgesamt umfasst das Material 1.087<br />
Artikel aus den vier ausgewählten Tageszeitungen, bei-getragen von 363 verschiedenen<br />
Autor(inn)en. Dieses Projekt stellt in der BRD eine neue Form der<br />
Psychoanalyseforschung dar. Eine in gewisser Weise komplementäre Arbeit<br />
wurde 1999 in Österreich von Tichy und Zwettler-Otte vorgelegt, in der die<br />
Rezeption der Psychoanalyse in der österreichischen Presse (1895-1938) zu<br />
Freuds Lebzeiten untersucht wurde. In ihren Ergebnissen zeichnet sich schon<br />
für die damalige Zeit eine breite Wirkung der Psychoanalyse in Österreich<br />
ab, wie dies auch die bisher vorliegenden Auswertungen für das Nachkriegs-<br />
Deutschland andeuten.<br />
Projektiertes Ende: 2011<br />
63 <strong>Forschungsbericht</strong> <strong>2010</strong>