GESCHICHTE VERSTEHEN
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Kapitel III<br />
Sowjetunion geändert. Haushofer schlug<br />
vor, die derzeitigen Befürchtungen der<br />
tschechoslowakischen Regierung unter<br />
anderem zum Abschluss eines Nichtangriff-<br />
Paktes mit der Tschechoslowakei für zehn<br />
Jahre zu nutzen. Der Pakt sollte eine<br />
Bestätigung und zugleich Erweiterung des<br />
1925 abgeschlossenen deutschtschechoslowakischen<br />
Arbitrageabkommens<br />
werden. Haushofer stellte auch<br />
Überlegungen an über die Vorbereitung<br />
eines deutsch-tschechischen Ausgleichs, der<br />
im Verzicht Deutschlands auf den<br />
Anschluss der tschechoslowakischen<br />
Grenzgebiete bestehen würde, solange die<br />
Deutschen in der ČSR eine vollständige<br />
kulturelle und wirtschaftliche<br />
Gleichstellung genießen würden. Er erwog<br />
zudem weitere mögliche politische und<br />
wirtschaftliche Vereinbarungen. Am Ende<br />
des Memorandums erinnerte er, dass das<br />
Hauptziel der Verhandlungen mit der<br />
Tschechoslowakei wäre, den Einfluss der<br />
Bündnisverträge der Tschechoslowakei mit<br />
Frankreich und der UdSSR zu verringern.<br />
Darüber hinaus – und wie die<br />
Sondierungsgespräche zeigten: vor allem –<br />
sollten weitgehende Änderungen in der<br />
inneren Struktur des tschechoslowakischen<br />
Staates erreicht werden, hautpsächlich in<br />
der Stellung der deutschen Minderheit.<br />
Kurz darauf erhielt Haushofer die<br />
Zustimmung, direkt mit Präsident Beneš zu<br />
verhandeln. Neben A. Haushofer nahm<br />
auch Graf Trautmannsdorff an den zwei<br />
geheimen Treffen am 13. November und am<br />
18. Dezember auf der Prager Burg teil, die<br />
nur dank der für die ČSR schwierigen<br />
internationalen Lage nach dem 7. März<br />
1936 überhaupt möglich waren. Beide<br />
deutsche Unterhändler traten in der Rolle<br />
von Hitlers Emissären auf. Das Resultat der<br />
Verhandlungen war die Entscheidung, einen<br />
Entwurf für einen deutschtschechoslowakischen<br />
Nichtangriffspakt<br />
vorzubereiten. Sowohl Beneš als auch<br />
Haushofer haben je eine Version erarbeitet.<br />
Anfang 1937 stellte Hitler jedoch die<br />
Verhandlungen ein. Die Idee eines<br />
Nichtangriffspaktes gab er übrigens schon<br />
davor auf. In Prag konnte man über die<br />
Ursachen eines derartigen Ausgangs der<br />
Verhandlungen nur mutmaßen.<br />
Entscheidend war wohl, dass Hitler bereits<br />
von der „tschechoslowakischen Frage besessen“<br />
zu sein begann und sich deshalb nicht mit<br />
diesem Staat vertraglich binden wollte.<br />
Zwanzig Jahre der Tschechen und Deutschen<br />
in der demokratischen ČSR<br />
104<br />
Seine Überlegungen, wie der „Lebensraum<br />
für das deutsche Volk“ zu gewinnen wäre,<br />
beschäftigten sich in erster Linie mit<br />
Mitteleuropa, wo Österreich und die<br />
Tschechoslowakei einverleibt werden<br />
sollten. Bei einer wichtigen Besprechung<br />
mit den obersten Kommandanten am<br />
5. November 1937, die aus dem sog.<br />
Hossbach-Protokoll bekannt ist, suchte Hitler<br />
nach einem Weg zur Ausschaltung der<br />
Tschechoslowakei in allen durchgespielten<br />
Szenarien der internationalen Lage. Er<br />
hoffte, einen Angriff gegen sie „blitzschnell“<br />
durchführen zu können, denn er war „von<br />
der Nichtbeteiligung Englands überzeugt (…)<br />
und daher an eine kriegerische Aktion<br />
Frankreichs gegen Deutschland nicht glaube“.<br />
Es endete die sog. „revisionistische Zeit“<br />
der deutschen Außenpolitik, in der sich<br />
Deutschland beschränkender militärischer<br />
Verpflichtungen entledigte, und es begann<br />
die Zeit der Landeroberungen. Die ersten<br />
davon sollten Mitteleuropa betreffen. Der<br />
Anschluss von Österreich gelang<br />
Deutschland im März 1938 noch ohne<br />
einen einzigen Schuss. Die Zerschlagung<br />
der Tschechoslowakei war jedoch durch<br />
einen einfachen Einmarsch des Militärs in<br />
das Land nicht zu bewerkstelligen. Hitler<br />
traf also ernsthafte Vorbereitungen zum<br />
Kampf unter der Voraussetzung, dass dieser<br />
schnell sein werde und das Opfer<br />
international isoliert bleibe. Dafür sollte die<br />
Politik sorgen, der die Wehrmacht mit<br />
gehöriger Demonstration ihrer Kraft sowie<br />
der Bereitschaft zum Angriff zur Seite<br />
stehen sollte. Die Politik sollte auch die<br />
nationale Heterogenität des<br />
tschechoslowakischen Staates nutzen, vor<br />
allem die Lage innerhalb der deutschen<br />
Minderheit, die von der bereits dem<br />
Deutschen Reich und dem<br />
Nationalsozialismus nahestehenden<br />
Sudetendeutschen Partei beherrscht wurde.<br />
Henleins Partei legte das Schicksal dieser<br />
Minderheit in Hitlers Hände in der<br />
Hoffnung, dass eine Lösung von der<br />
Machtposition ausgehend, mag sie auch<br />
gewaltsam sein, nur ein Gewinn sein würde.<br />
Die Welt lebte nach 1918 in der<br />
Vorstellung, dass der Frieden hauptsächlich<br />
auf politisch-diplomatischen Garantien<br />
beruhen sollte. Eine solche Auffassung<br />
entsprach der Tschechoslowakei und<br />
deshalb betrieb sie diese auch. Ihre 2000 km<br />
lange Grenze konnte sie mit eigenen<br />
Streitkräften kaum ganz verteidigen.