GESCHICHTE VERSTEHEN
GESCHICHTE VERSTEHEN
GESCHICHTE VERSTEHEN
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Kapitel III<br />
NATIONALITÄTENPOLITIK<br />
DER ČSR<br />
Die neu entstandene Tschechoslowakische<br />
Republik war ein demokratischer Staat, der<br />
vom Prinzip der Gleichheit aller seiner<br />
Bürger ausging. Zugleich wurde sie als<br />
demokratische Republik definiert, deren<br />
Bürger über allgemeine und gleiche Rechte<br />
verfügten. Das Oberste<br />
Verwaltungsgerichtshof entschied jedoch<br />
noch im Verlaufe der<br />
Verfassungsverhandlungen, dass die<br />
Tschechoslowakische Republik ein<br />
Nationalstaat der „tschechoslowakischen<br />
Nation“ ist. In diesem politischen und<br />
rechtlichen Terminus verbarg sich die<br />
Gefahr mannigfaltiger und bisweilen auch<br />
ganz zweckdienlicher Interpretationen, die<br />
ihn seitdem bis in die heutige<br />
Zeit begleiten.<br />
Das brennendste politische Problem –<br />
sowohl aus innenpolitischer wie auch aus<br />
außenpolitischer Sicht – zeigte sich darin,<br />
dass die ČSR ihrem Charakter nach kein<br />
nationaler, sondern ein Nationalitätenstaat<br />
war. In ihrer Beziehung den Minderheiten<br />
gegenüber war die Republik einerseits durch<br />
ihre Verfassungsurkunde, andererseits durch<br />
das Völkerrecht gebunden. Ein Bestandteil<br />
der Friedensverträge von Versailles, die die<br />
Tschechoslowakei am 10. September 1919<br />
auf der Konferenz in Saint-Germain<br />
Zwanzig Jahre der Tschechen und Deutschen<br />
in der demokratischen ČSR<br />
66<br />
unterzeichnete, war auch der Vertrag zum<br />
Schutz der Minderheiten. Die<br />
Československá ústava (Tschechoslowakische<br />
Verfassung) bestimmte im § 128, dass alle<br />
Bürger der Republik vor dem Gesetz gleich<br />
sind und dieselben politischen und<br />
Bürgerrechte haben, ohne ihre Rasse,<br />
Sprache oder Religion in Betracht zu<br />
ziehen. Laut § 106 genossen alle Einwohner<br />
der ČSR „den vollkommenen Schutz ihres<br />
Lebens und ihrer Freiheit, unabhängig davon,<br />
welcher Herkunft, Staatsangehörigkeit,<br />
Der 35jährige Edvard Bene‰ im Jahre 1919 während seines Wirkens als führende<br />
Persönlichkeit der tschechoslowakischen Diplomatie auf der Friedenskonferenz in Paris.<br />
Sprache, Rasse oder Religion sie sind“. Darüber<br />
hinaus galt nach der Verfassung (§ 134)<br />
auch das Verbot eines zwangsweisen<br />
Verlustes der Volkszugehörigkeit. Strafbar<br />
war auch das Entfachen von Hass oder von<br />
Gewalttaten gegen Nationalität, Religion<br />
und Rasse.<br />
Jeder Bürger der ČSR hatte das gleiche<br />
Recht, öffentliche Ämter, Staatsdienste und<br />
Würden, jedes Gewerbe und jeden Beruf<br />
auszuüben, und das Recht, Schulen mit<br />
seiner Nationalitätensprache als<br />
Unterrichtssprache auf eigene Kosten sowie<br />
„nationale“ humanitäre oder religiöse<br />
Einrichtungen zu gründen. Als ein<br />
Gleichheitsrecht wurde auch die Benutzung<br />
der Nationalitätensprachen „in privatem und<br />
geschäftlichem Verkehr, in der Presse, in jeder<br />
beliebigen Publikation, in öffentlichen<br />
Versammlungen sowie im religiösen Gebrauch“