GESCHICHTE VERSTEHEN
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Der internationale Rahmen der<br />
Zwangsaussiedlung der Sudetendeutschen<br />
Versorgungs-, Gesundheitswesens- und<br />
Unterbringungsbereich aufzuwenden, um<br />
die oftmals von fast völligem Zerfall<br />
betroffenen, besetzten Gebiete zu<br />
stabilisieren, in denen Massen von physisch<br />
wie psychisch zerstörten Flüchtlingen eine<br />
enorme Belastung und einen<br />
destabilisierenden Faktor für die<br />
Besatzungsverwaltung darstellten.<br />
Deshalb ließen sich pragmatisch<br />
motivierte Äußerungen vernehmen, die<br />
erstens zu einer rationalen Beschränkung der<br />
allzu umfangreichen Zwangsmigrationen<br />
aufforderten, zweitens und vor allem zur<br />
Beschränkung der „Vertreibung“ der<br />
Deutschen aus ihren Siedlungen und<br />
drittens zur nachdrücklichen Bevorzugung<br />
der relativ stabilisierteren Transfers, die auch<br />
aus der Sicht der Verwaltung weniger<br />
anstrengend und humaner organisiert und<br />
auf längere Zeitabschnitte verteilt werden<br />
konnten (die westlichen Alliierten erwogen<br />
einen zeitlichen Horizont von bis zu fünf<br />
Jahren). Neben den Aussiedlern und<br />
Flüchtlingen war es nämlich in den<br />
eroberten Gebieten auch nötig, enorme<br />
Mengen von befreiten, größtenteils<br />
entsetzlich heruntergekommenen,<br />
unterernährten und kranken Häftlingen und<br />
KZ-Häftlingen bzw. Kriegsgefangenen aus<br />
allen möglichen europäischen Nationen zu<br />
bewältigen und zu versorgen. Ebenso war es<br />
notwendig, die Bestrebungen von Millionen<br />
Zwangsarbeitern aus ganz Europa zu<br />
regulieren, die einerseits im Chaos der<br />
letzten Kriegsmonate oftmals auch<br />
Straftaten verübten, sich andererseits nach<br />
einer möglichst schnellen Rückkehr von<br />
Deutschland nach Hause sehnten. Deutsche<br />
Kriegsgefangene wurden in dieser<br />
unübersichtlichen Situation von den<br />
westlichen Alliierten massenweise über den<br />
Ozean in die Arbeitslager in den USA und<br />
in Kanada verschickt. Die sowjetische<br />
Führung schickte die deutschen Gefangenen<br />
zu Zwangsarbeiten zwecks des Aufbaus der<br />
im Krieg zerstörten Gebiete, aber auch nach<br />
Sibirien. Die Bemühung um ein „order and<br />
humane“ Verfahren der Zwangsaussiedlung<br />
der deutschen Minderheiten aus Mittel- und<br />
Osteuropa bekam allerdings erst auf der<br />
Potsdamer Konferenz Ende Juli und Anfang<br />
August 1945 eine klar formulierte Gestalt.<br />
FLUCHT UND EVAKUIERUNG<br />
Hitlers Nero-Befehl hatte für die deutsche<br />
Bevölkerung, Städte und Dörfer auch im<br />
207<br />
Kapitel V<br />
westlichen Teil des Deutschen Reiches fatale<br />
Folgen; die unvorstellbar umfangreiche<br />
Flucht von einigen Millionen Zivilisten aus<br />
dem Osten entzog sich jedoch allen<br />
Maßstäben. Nur am Rand sei daran erinnert,<br />
dass in dem gigantischen Wirbel der oft<br />
bombardierten, ewig hungrigen,<br />
erschöpften, frierenden und kranken<br />
Flüchtlingskolonnen, der wahnsinnigen<br />
Todesmärsche der KZ-Häftlinge und<br />
zugleich der sich in verschiedenste<br />
Richtungen bewegenden Militärtransporte<br />
im Winter 1944/45 durch Polen, Ungarn<br />
und die böhmischen Länder in Richtung<br />
Westen auch möglicherweise sogar einige<br />
hunderttausende deutsche Kinder unterwegs<br />
waren, die jünger als 14 Jahre waren und die<br />
es den nationalsozialistischen Behörden<br />
nicht mehr gelungen war, aus den Lagern<br />
und Erholungsheimen der Aktion<br />
„Kinderlandesverschickung“<br />
zurückzuziehen. Sie wurden dann<br />
größtenteils ihrem Schicksal überlassen. Es<br />
ist auch daran zu erinnern, dass ein Teil der<br />
baltischen und slawischen Bevölkerung, die<br />
bereits einmal die blutige Sowjetisierung<br />
ihrer Länder erlebt hatte und die nach ihren<br />
traumatischen Erfahrungen vom Ende der<br />
dreißiger und Anfang der vierziger Jahre<br />
scharf antisowjetisch gestimmt war,<br />
gemeinsam mit den Deutschen aus<br />
Osteuropa vor der Roten Armee in den<br />
Westen flüchtete.<br />
Die Menschenverluste im Rahmen dieser<br />
teils erzwungenen, teils spontanen<br />
Evakuierung, die nur partiell behördlich<br />
erfasst wurde, sind bis heute nicht präzise<br />
errechnet, sie gehen aber evident in die<br />
Hunderttausende. Es gab dabei sehr große<br />
regionale Unterschiede. Wenn<br />
beispielsweise die nationalsozialistische<br />
Evakuierung der Karpatodeutschen<br />
insgesamt geregelt verlief, so wurden<br />
Ostpreußen oder manche Teile Schlesiens<br />
von den Nationalsozialisten erst im letzten<br />
Augenblick, in größter Eile und chaotisch<br />
evakuiert. Die deutsche Bevölkerung im<br />
schlesischen Teil der Sudeten (Reichsgau<br />
Sudetenland) wurde beispielsweise nicht<br />
rechtzeitig und mittels gebührender<br />
Propaganda darauf vorbereitet,<br />
ihre Häuser zu verlassen, und wehrte sich<br />
dann hartnäckig gegen die<br />
Zwangsevakuierung, die größtenteils<br />
parallel mit der Einberufung von über<br />
14jährigen Jungen und Greisen in die<br />
Volkssturmsabteilungen verlief, die sofort