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Kapitel II<br />

harren aus, bis wir gesiegt haben! Wir harren<br />

aus, bis wir die Selbständigkeit unserer Nation<br />

begrüßen werden!<br />

Sei gegrüßt, tschechoslowakische Nation!<br />

Bleibe ein wachsender Zweig, es komme<br />

Deine Zeit! Blühe und gedeihe frei in Deinem<br />

Vaterland sowie in der großen brüderlichen<br />

Völkerfamilie der Welt für Dein Glück und für<br />

das Wohl der künftigen befreiten Menschheit!“<br />

Die Ereignisse setzten sich in Bewegung.<br />

An der Westfront musste die deutsche<br />

Armee vor einer neuen Offensive der<br />

Franzosen, Briten und Amerikaner<br />

zurückweichen. Die italienische Front<br />

zerfiel. Deutschland und vor allem<br />

Österreich-Ungarn waren völlig entkräftet.<br />

Der amerikanische Präsident Wilson ließ<br />

darüber hinaus am 18. Oktober 1918<br />

Österreich-Ungarn mitteilen, dass er für<br />

Tschechoslowaken und Südslawen nicht nur<br />

die Autonomie (wie in seinen 14 Punkten<br />

vom 8. Januar) verlange, sondern dass es<br />

diesen Nationen überlassen bleibe, wie sie<br />

sich entscheiden, ihre nationalen<br />

Bestrebungen zu befriedigen.<br />

Der neue Habsburger Kaiser Karl (der<br />

„greise Monarch“ Franz Joseph I. verstarb<br />

im November 1916) versuchte in dieser<br />

Situation am 16. Oktober die Monarchie<br />

durch das Angebot einer Föderalisierung<br />

von deren zisleithanischer Hälfte zu retten.<br />

Dieser Vorschlag hätte 1848 oder ein<br />

bisschen später Erfolg haben können, nicht<br />

aber jetzt, nach dem im Prinzip verlorenen<br />

Krieg und dem, was damit zusammenhing.<br />

Alle „Völker des Kaisers“ (einschließlich der<br />

slawischen Nationen in Ungarn, obwohl sie<br />

diese Föderalisierung nicht betreffen sollte),<br />

lehnten ab.<br />

Masaryk erklärte sofort die Trennung der<br />

Tschechen und Slowaken von der Habsburger<br />

Monarchie, und zwar im Namen der<br />

tschechoslowakischen Exilregierung, die am<br />

29. September von ihm, Edvard Beneš und<br />

dem Slowaken Milan R. Štefánik gebildet<br />

und schrittweise von den Regierungen der<br />

Tripelentente anerkannt wurde:<br />

„Die Föderalisierung und noch mehr die<br />

Autonomie unter der Habsburgerdynastie<br />

bedeuten nichts. Unsere Nation kann sich nicht<br />

frei in der habsburgischen Pseudo-Föderation<br />

entwickeln, die nichts anderes ist als eine neue<br />

Form entnationalisierender Unterdrückung,<br />

unter der wir die vergangenen drei<br />

Jahrhunderte gelitten haben.<br />

Wir können und wollen auch nicht unter der<br />

direkten oder indirekten Herrschaft derjenigen<br />

Tschechen, Deutsche und die Entstehung der ČSR<br />

46<br />

weiterleben, die Belgien, Frankreich und<br />

Serbien vergewaltigt haben, zu Mördern<br />

Russlands und Rumäniens werden wollten und<br />

Mörder Zehntausender Bürger und Soldaten<br />

unseres Blutes sind und mitschuldig an<br />

unzähligen Verbrechen, die in diesem Krieg von<br />

diesen degenerierten und verantwortungslosen<br />

Dynastien gegen die Menschlichkeit verübt<br />

wurden. Die mit einem ungeheueren Erbe von<br />

Fehlern und Verbrechen belastete<br />

Habsburgerdynastie ist eine ständige<br />

Bedrohung für den Weltfrieden, und wir halten<br />

es für unsere Pflicht gegenüber der Menschheit<br />

und Zivilisation, zu deren Fall und Zerstörung<br />

beizutragen.<br />

Unsere Nation berief die Habsburger aus<br />

freiem Willen auf den böhmischen Thron und<br />

mit demselben Recht setzt sie sie ab. Wir<br />

erklären hiermit die Habsburgerdynastie für<br />

unwürdig, unsere Nation zu führen, und<br />

erkennen ihr sämtliche Herrscherrechte im<br />

tschechoslowakischen Staat ab, welcher – wie<br />

wir hier und jetzt erklären – von nun an von<br />

einem freien und unabhängigen Volk, von<br />

einer freien und unabhängigen Nation<br />

gebildet wird.“<br />

Den letzten Impuls zum Zerfall der<br />

Habsburger Monarchie gab die Note des<br />

österreichisch-ungarischen Außenministers,<br />

Graf Gyuly Andrássy, vom 27. Oktober, die<br />

Wilsons Bedingungen zustimmte und um<br />

Frieden bat. Die ersten Abtrünnigen des<br />

„alten Österreichs“ waren allerdings nicht<br />

die Tschechen, sondern deutschösterreichische<br />

Abgeordnete, die sich am<br />

21. Oktober „ohne Bedauern von diesem Staat<br />

verabschiedet haben, um sich auf die<br />

Lebenskraft des eigenen Volkes zu stützen und<br />

sich eine neue staatliche Behausung zu schaffen“<br />

– was letztendlich das Einfügen in ein<br />

geplantes Großdeutsches Reich bedeutete.<br />

Erst dann erfolgte am 28. Oktober die<br />

Gründung der selbständigen ČSR<br />

(Tschechoslowakische Republik) unter der<br />

Führung des Prager Nationalausschusses,<br />

dessen Teil, der sog. Sozialistische Rat, die<br />

Selbständigkeit bereits am 14. Oktober<br />

proklamiert hatte. Parallel dazu verlief in der<br />

Schweiz eine Verhandlung der Delegation des<br />

Nationalausschusses mit Karel Kramář an der<br />

Spitze mit der von Edvard Beneš geleiteten<br />

Delegation der Exilregierung. Die<br />

Verhandlung gelangte zu einem ähnlichen<br />

Ergebnis: es entsteht die<br />

Tschechoslowakische Republik mit dem<br />

Präsidenten Tomáš G. Masaryk an der Spitze.<br />

Dem schloss sich am 30. Oktober auch der

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