GESCHICHTE VERSTEHEN
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Kapitel III<br />
Grenzgebiete sehr bedrückten – viel mehr<br />
als ihre tschechischen Mitbürger im<br />
Binnenland. Man darf jedoch nicht<br />
vergessen, dass hinter dem damaligen<br />
deutschen „Wirtschaftswunder“ die riesige<br />
Aufrüstung stand, und zwar sowohl direkt<br />
als auch indirekt, in die beispielsweise die<br />
Investitionen in den öffentlichen Sektor,<br />
insbesondere in die Infrastruktur flossen –<br />
z.B. Bau der Autobahnen. Beides musste<br />
zuletzt jedoch von jemandem bezahlt<br />
werden.<br />
Die bedrückenderen Auswirkungen der<br />
Wirtschaftskrise auf die deutsche<br />
Bevölkerung der Grenzgebiete sind durch<br />
die unterschiedliche Industriestruktur und<br />
die andere soziale Schichtung in den von<br />
Tschechen und Deutschen bewohnten<br />
Gebieten zu erklären. In den Grenzgebieten<br />
herrschte die Textil-, Glas-, Porzellan- oder<br />
Spielzeugindustrie vor, also<br />
Produktionszweige, deren Erzeugnisse<br />
während wirtschaftlicher Erschütterungen<br />
als erste ihre Kunden verlieren. Zudem<br />
waren es Industriezweige, die fast fatal vom<br />
Export abhängig waren. Die<br />
Wirtschaftskrise mit ihren Zollbarrieren<br />
betraf sie deshalb zuerst und am stärksten.<br />
Eine logische Folge dieser Vorgänge war<br />
dann die höhere Arbeitslosigkeit in den<br />
Grenzgebieten. In den vollständig deutsch<br />
Zwanzig Jahre der Tschechen und Deutschen<br />
in der demokratischen ČSR<br />
92<br />
besiedelten Bezirken oder in den Bezirken<br />
mit weniger als 20% tschechischer<br />
Bevölkerung erreichte die Arbeitslosigkeit<br />
Ende des Jahres 1931 19,2%, während in<br />
den Bezirken, in denen höchstens 20%<br />
Deutsche lebten, die Arbeitslosigkeit „nur“<br />
9,16% betrug. Es wäre ein Fehler, die sozialpsychologischen<br />
Folgen dieser<br />
unerfreulichen Situation zu unterschätzen.<br />
Zweifelsohne fanden sie ihren Niederschlag<br />
auch in der politischen Orientierung. Sie<br />
trugen in bedeutendem Maße zur<br />
Der deutsche Sozialdemokrat Wenzel Jaksch (links) kämpfte zunächst gegen Hitler und<br />
Henlein, später dann in britischem Exil gegen das Vorhaben der Vertreibung. Der Führer der<br />
Sudetendeutschen Partei Konrad Henlein bei einer Rede.<br />
Radikalisierung der politischen Meinungen<br />
und Einstellungen bei, in denen sich<br />
ebenfalls alte nationale Vorurteile und<br />
Stereotype widerspiegelten. Der<br />
Negativismus begann sich wieder zu<br />
verstärken. Wirtschaftliche Schwierigkeiten<br />
radikalisierten übrigens politische<br />
Meinungen und Einstellungen auch in<br />
anderen Ländern. Am Rande der<br />
Diskussionen, ob es möglich gewesen wäre,<br />
diese Entwicklung durch eine gezielte<br />
Interventionspolitik des Staates<br />
vorzubeugen, ist anzumerken, dass nur ein<br />
Jahrfünft der Gesamtexistenz der Ersten<br />
Tschechoslowakischen Republik eine aus<br />
Wirtschaftssicht normale Zeit darstellte<br />
und dass die Regierungen weder langfristige<br />
Wirtschaftsziele noch ein<br />
Integrationskonzept der Wirtschaft des