GESCHICHTE VERSTEHEN
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Kapitel VII<br />
Aggressor aus, der nicht nur die Vertreibung,<br />
sondern die physische Vernichtung ganzer<br />
Nationen und Rassen anstrebte, der auf dem<br />
Gebiet des historischen böhmischen Staates<br />
lebenden Bevölkerung, d.h. der Tschechen<br />
als einer Nation, der nach deutschem Recht<br />
(nach dem deutschen Blutsrecht) als niedere<br />
Rasse bezeichneten Juden und der<br />
tschechischen Zigeuner, die ebenfalls für die<br />
„Endlösung“ bestimmt waren.<br />
Der Inhalt des Gesetzes war in Europa<br />
keine Ausnahme. Auch andere Staaten<br />
(Frankreich, Italien) erließen Gesetze und<br />
Verordnungen , die die mit dem Widerstand<br />
gegen die Faschisten, Nationalsozialisten<br />
oder Deutschen als Okkupanten<br />
verbundenen Handlungen auf ähnliche<br />
Weise legitimierten. Auch der Zeitraum, auf<br />
welchen sich diese Maßnahmen bezogen,<br />
war weder außerordentlich noch am<br />
längsten. Diese Gesetze waren vor allem<br />
eine Reaktion auf die vorangehende<br />
Terrorrherrschaft, die das Deutsche Reich<br />
gegen die Zivilbevölkerung in verschiedenen<br />
Ländern installiert hatte, die sich gegen<br />
diesen Terror zur Wehr gesetzt hatte. Der<br />
Widerstand konnte nur dann erfolgreich<br />
sein, wenn auch die Mittel entsprechend<br />
wirksam waren. Er richtete sich nicht nach<br />
der Rechtsordnung des Feindes, des<br />
Okkupanten, sondern strebte dessen<br />
Niederlage und Vernichtung an. Das<br />
Okkupationsregime und seine<br />
Rechtsordnung waren verbrecherisch, sie<br />
standen im Gegensatz zur europäischen<br />
Zivilisation, die sich auf Freiheit und<br />
Gleichheit gründete. Der Widerstand gegen<br />
dieses Regime und seine Rechtsordnung war<br />
ein Widerstand gegen Verbrechen, die<br />
andauerten und weiterhin drohten, und er<br />
wahrte dadurch die Werte der jüdischchristlichen<br />
Zivilisation.<br />
Wie andere Staaten die Folgen des<br />
Kampfes gegen den Nationalsozialismus<br />
und Faschismus rechtlich auf ähnliche Weise<br />
zu lösen versuchten, lässt sich ausführlicher<br />
am Beispiel Österreichs zeigen. Das<br />
Bundesgesetz vom 21. Dezember 1945<br />
enthält eine Regelung, die die Einstelllung<br />
von Strafverfahren und den Straferlass für<br />
Widerstandskämpfer betraf. Der Nationalrat<br />
der Österreichischen Republik beschloss,<br />
dass bereits eröffnete Strafverfahren gegen<br />
Personen, die im Kampf gegen den<br />
Die Zwangsaussiedlung und ihre rechtlichen<br />
Aspekte<br />
260<br />
Nationalsozialismus oder Faschismus oder<br />
zur Unterstützung des österreichischen<br />
Kampfes für die Freiheit oder in der<br />
Absicht, das selbständige, unabhängige und<br />
demokratische Österreich<br />
wiederherzustellen strafbare Handlungen<br />
verübt hatten, eingestellt werden, eventuell<br />
bereits verhängte Strafen erlassen und<br />
Verurteilungen getilgt werden. Die<br />
Amnestie bezog sich auf alle Personen, die<br />
solche Delikte vom 5. März 1933 bis zum<br />
Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen<br />
hatten. Das Gesetz wurde am 19. Januar<br />
1946 in der Gesetzsammlung veröffentlicht<br />
und amnestiert wurden alle Personen, die<br />
solche – sonst strafbaren – Delikte von 1933<br />
bis 1946 begangen hatten. Ein bedeutender<br />
Grund für eine solche Amnestie waren also<br />
„edelmütige Beweggründe“ dieser sonst<br />
strafbaren Handlungen, die im Gesetz<br />
genannt wurden. Dieses Gesetz ist auch<br />
weiterhin ein Bestandteil der<br />
österreichischen Rechtsordnung.<br />
Unabhängige Gerichtsbarkeit<br />
und Amnestie<br />
Gesetze orientieren sich in der Regel an<br />
der Zukunft, Gnade und Amnestie beziehen<br />
sich immer auf die Vergangenheit. Gesetze<br />
werden verabschiedet, um Regeln für<br />
künftige Handlungen von Personen<br />
festzulegen, sie sollten deshalb nicht<br />
rückwirkend sein. Gnade und Amnestie<br />
beschäftigen sich dagegen mit den Folgen<br />
vorangehender Handlungen, die im<br />
Widerspruch zum Gesetz standen. Die<br />
Anwendung von Gnade und Amnestie ist in<br />
der Regel ein Eingriff in die Gerichtsgewalt,<br />
die unabhängig sein und die Vollstreckung<br />
des Rechts und der Gerechtigkeit an<br />
Straftätern garantieren soll. Gegen Gnadeund<br />
Amnestieerlasse können keine<br />
Rechtsmittel eingelegt werden wie bei<br />
Gerichtsurteilen, sie sind unwiderruflich<br />
und unaufhebbar. Sie können nur zugunsten<br />
der Schuldigen erlassen werden und sind ein<br />
einseitiger Akt desjenigen, der über dieses<br />
Recht laut Verfassung verfügt. Keines dieser<br />
theoretischen Postulate blieb und bleibt in<br />
der Praxis jedoch ohne Ausnahme.<br />
Die Kriegsfolgen und die damit<br />
verbundene Zerrüttung, der Übergang der<br />
Regierungsgewalt aus den Händen der<br />
einstigen Machthaber auf die