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Die Zwangsaussiedlung und ihre rechtlichen<br />

Aspekte<br />

127 Personen wurden zur Freiheitsstrafe von<br />

20 - 30 Jahren und 202 Personen zur<br />

Freiheitsstrafe von 5 - 10 Jahren verurteilt.<br />

Von den Verurteilten waren 3.722 Ungarn,<br />

1.609 Slowaken, 559 Deutsche und 77<br />

Angehörige anderer Nationalitäten.<br />

Nach dem sog. kleinen<br />

Retributionsdekret konnten die<br />

Bezirksnationalausschüsse Gefängnisstrafen<br />

bis zu einem Jahr auferlegen, des Weiteren<br />

auch Geldstrafen bis zu 1.000.000 Kronen<br />

oder öffentliche Rügen für „ungebührliches,<br />

das Nationalgefühl des tschechischen oder des<br />

slowakischen Volkes verletzendes Verhalten“ in<br />

der Zeit der erhöhten Bedrohung der<br />

Republik aussprechen. Das angeführte<br />

ungebührliche Verhalten musste zudem ein<br />

„öffentliches Ärgernis“ erregen. Zu diesem<br />

Rahmendekret wurden detaillierte<br />

Richtlinien des Innenministeriums vom<br />

26. November 1945 erlassen, die schrittweise<br />

drei Mal ergänzt wurden: am 7. Mai und am<br />

28. November 1946 sowie am 7. Januar<br />

1947. Die Richtlinien waren für die<br />

Nationalausschüsse verbindlich. Sie regelten<br />

detailliert die Fälle, die man als<br />

„ungebührliches, das Nationalgefühl des<br />

tschechischen oder des slowakischen Volkes<br />

verletzendes Verhalten“ ansah. Als Anlage<br />

hatten sie auch ein Verzeichnis der<br />

faschistischen (nationalsozialistischen)<br />

Organisationen, zusammengestellt zwecks<br />

der Retributionsdekrete. Im Falle des<br />

„ungebührlichen Verhaltens“ ging es<br />

beispielsweise um bewusste Unterstützung<br />

der Entnationalisierungsbemühungen der<br />

Deutschen oder Ungarn, freiwilliges<br />

Bekenntnis zur deutschen oder ungarischen<br />

Nationalität, politische Mitarbeit mit<br />

Deutschen oder Ungarn sowie um<br />

Mitgliedschaft in den faschistischen<br />

Organisationen, „wenn der Täter besonders<br />

eifrig gehandelt und so den Rahmen seiner<br />

Pflichten überschritten hat“. Des Weiteren<br />

ging es auch um Propagierung,<br />

Verteidigung, Lobpreisung oder<br />

Unterstützung des Nationalsozialismus,<br />

Faschismus oder Antisemitismus, um<br />

Billigung, Unterstützung oder Verteidigung<br />

feindlicher Äußerungen oder Taten von<br />

Nationalsozialisten, Faschisten und<br />

tschechischen oder slowakischen Verrätern,<br />

um sachverständige Zusammenarbeit mit<br />

Deutschen und Ungarn sowie mit<br />

255<br />

Kapitel VII<br />

tschechischen oder slowakischen Verrätern,<br />

die die Grenzen einer angeordneten<br />

durchschnittlichen Leistung überschritten<br />

hatte. Es handelte sich aber auch um Streben<br />

nach Beförderung, Auszeichnung,<br />

Belohnung, Diensten und anderen Vorteilen<br />

bei deutschen oder ungarischen Behördern<br />

und Ämtern oder Funktionären oder um<br />

Gewährung des Entgeltes und verschiedener<br />

anderer Vorteile an Okkupanten, um<br />

Missbrauch der Leitungsposition, die mit<br />

Hilfe der Okkupanten zwecks der<br />

Gewinnung oder Sicherstellung des privaten<br />

Nutzens durch Lakaiendienste für die<br />

Okkupanten auf Kosten der<br />

untergeordneten Mitarbeiter erreicht<br />

worden war. Hierher gehörten auch<br />

Misshandlungen oder Schikanieren der<br />

Tschechen und Slowaken, die im Dienste<br />

oder im Interesse der Okkupanten oder mit<br />

der Absicht, diesen zu gefallen, getan<br />

worden waren. Die in den Richtlinien des<br />

Innenministeriums enthaltene Empfehlung,<br />

auch den „das Maß der unerlässlichen<br />

Notwendigkeit überschreitenden<br />

gesellschaftlichen Umgang mit Deutschen oder<br />

Ungarn sowie wirtschaftliche Beziehungen zu<br />

Deutschen oder Ungarn, die dieses Maß zum<br />

Zweck überdurchschnittlicher Bereicherung<br />

überschritten hatten und auf die bewusste<br />

Unterstützung der Okkupanten abgezielt<br />

waren“ zu bestrafen, wurde vor allem in den<br />

von der Öffentlichkeit verfolgten Prozessen<br />

gegen einige der Kollaboration mit den<br />

Deutschen beschuldigte Schauspieler,<br />

Künstler und Unternehmer angewandt.<br />

Das kleine Retributionsdekret wurde<br />

ähnlich wie das große Retributionsdekret<br />

einige Mal novelliert. In den<br />

Durchführungsrichtlinien des<br />

Innenministeriums tauchte beispielsweise<br />

ein neuer Tatbestand auf, nach dem gemäß<br />

dem kleinen Retributionsdekret auch<br />

derjenige vor Gericht gestellt werden<br />

konnte, der „bewusst oder aus grober<br />

Fahrlässigkeit unrichtige Erklärung über die<br />

Staats- und nationale Zuverlässigkeit der<br />

Person abgibt, die sich gegen die Tschechoslowakische<br />

Republik oder gegen das tschechische<br />

oder slowakische Volk schuldig gemacht hatte,<br />

wenn derjenige, der die Erklärung abgegeben<br />

hat, begründet voraussetzen konnte, dass die<br />

Erklärung zum Gegenstand amtlicher<br />

Handlung werden kann“.

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