GESCHICHTE VERSTEHEN
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Kapitel V<br />
autonomen Wolgadeutschen Republik, aber<br />
auch z.B. die Amur-Koreaner.) Von den<br />
insgesamt 820.000 nordkaukasischen<br />
Tschetschenen, Inguschen, Krimtataren,<br />
Armeniern, Bulgaren und Griechen, die im<br />
Februar und Mai 1944 von den NKWD-<br />
Streitkräften in die Steppen und<br />
Halbwüsten Kirgisiens und Kasachstans<br />
ausgesiedelt wurden, überlebte gut ein<br />
Drittel der Deportierten den drastischen<br />
Transport, anfängliche Massaker sowie die<br />
extrem elenden ersten Monate in den<br />
Lagern Mittelasiens nicht. Das damalige<br />
Europa „wusste“ davon allerdings<br />
praktisch nichts.<br />
Als Adolf Hitler Anfang 1933 in<br />
Deutschland an die Macht gekommen war,<br />
ordnete er die Problematik der Vereinigung<br />
aller Deutschen in einem einheitlichen<br />
Nationalstaat (unter der Losung: „Ein Volk,<br />
ein Reich, ein Führer!“) in eine der führenden<br />
Stellen seines Programms ein. Der<br />
Umsiedlung der Minderheiten zog Hitler<br />
allerdings im Geiste des alten alldeutschen<br />
Konzepts die „Übernahme“ der von den<br />
Deutschen besiedelten Gebiete in das<br />
„Reich“ vor. So war es im Falle des<br />
Saarlandes, so lässt sich auch der<br />
„Anschluss“ von Österreich charakterisieren,<br />
so präsentierte Hitler auch die<br />
sudetendeutsche Frage. Und zuletzt war die<br />
internationale Öffentlichkeit bereit, das<br />
Münchner Diktat nicht nur als die Rettung<br />
des europäischen Friedens auf fremde<br />
Kosten, sondern auch als eine „bewährte<br />
Lösung“ der Minderheitenfrage<br />
wahrzunehmen. Auch im Rahmen von<br />
„München“ wurde übrigens mit Transfer<br />
und Austausch der Bevölkerung gerechnet.<br />
Damals wurde allerdings nur die<br />
Verdrängung eines großen Teils der<br />
tschechischen Minderheit aus den<br />
„Sudetengebieten“ realisiert. Den Angaben<br />
der damaligen tschechischen Statistiken<br />
zufolge verließen an die 140.000 sich zur<br />
tschechischen, 10.500 sich zur deutschen<br />
und 18.000 sich zur jüdischen Nationalität<br />
bekennende Flüchtlinge neben weiteren<br />
Staatsangestellten zwischen September 1938<br />
und März 1939 die durch Deutschland<br />
abgetrennten Gebiete. Aus den durch Polen<br />
und Ungarn von der tschechoslowakischen<br />
Republik abgetrennten Gebieten bzw. aus<br />
der Slowakei meldeten sich 42.000<br />
Flüchtlinge bis Ende März 1939 für<br />
Beiträge der Sozialpflege in den böhmischen<br />
Ländern. Vorschläge wie beispielsweise der<br />
Der internationale Rahmen der<br />
Zwangsaussiedlung der Sudetendeutschen<br />
200<br />
Versuch von Außenminister Krofta, die<br />
Eisenbahnverbindung Prag – Brno (Brünn),<br />
die durch die neu festgelegte Grenzlinie<br />
unterbrochen wurde, mittels eines<br />
umfangreichen Bevölkerungsaustausches in<br />
der Umgebung von Svitavy (Zwittau) zu<br />
retten, hatten bei seinem<br />
nationalsozialistischen Gegenüber aus<br />
begreiflichen Gründen keine Chance auf<br />
Erfolg. Die britische Diplomatie versuchte<br />
1939 noch im letzten Augenblick, den Krieg<br />
mit dem Vorschlag zu verhindern, einen<br />
weitreichenden Bevölkerungsaustausch in<br />
den national gemischten deutsch-polnischen<br />
Gebieten in Oberschlesien und im<br />
Polnischen Korridor durchzuführen. Das<br />
Dritte Reich war allerdings an einer solchen<br />
Lösung des sich inzwischen viel<br />
versprechend entwickelnden Konfliktes<br />
nicht interessiert.<br />
Obwohl sich diese Erläuterungen<br />
vorrangig auf die von Staaten organiserten<br />
Zwangsmigrationen großer<br />
Bevölkerungsgruppen konzentrieren,<br />
können große „freiwillig erzwungene“<br />
Migrationen im Vorkriegseuropa doch nicht<br />
völlig unerwähnt bleiben. Neben der<br />
national wie religiös bunten Masse von<br />
Flüchtlingen aus dem sowjetischen<br />
Imperium, die in großen Gruppen festen<br />
Fuss in der Tschechoslowakei, in<br />
Deutschland, Frankreich, aber auch in den<br />
Vereinigten Staaten fassten, neben<br />
zahlreichen jüdischen Gruppen, die während<br />
des Ersten Weltkrieges sowie in den<br />
zwanziger Jahren vor dem ausgeprägten<br />
russisch-ukrainischen und polnischen<br />
Antisemitismus flüchteten, ging es um<br />
Flüchtlinge aus politischen wie auch<br />
rassischen Gründen, oder präziser<br />
ausgedrückt, um Flüchtlinge aus autoritären<br />
und totalitären Staaten, die sich in die<br />
relative Sicherheit europäischer<br />
Demokratien begaben. An die 100.000<br />
christliche und jüdische Flüchtlinge,<br />
Emigranten und Vertriebene aus dem<br />
nationalsozialistischen Deutschland fanden<br />
in den dreißiger Jahren neben Flüchtlingen<br />
aus Mussolinis Italien Zuflucht in<br />
Frankreich. Die Tschechoslowakei, die für<br />
viele deutsche und österreichische<br />
Emigranten eine Drehscheibe auf ihrem<br />
Weg nach Westen diente, nahm an die<br />
20.000 Personen für deren<br />
vorübergehenderen Aufenthalt auf. In den<br />
Diktaturen der Zwischenkriegszeit wurde<br />
die Methode üblich, unbequeme