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Kapitel I Historische Wurzeln<br />

NATIONALISIERUNG<br />

DES 19. JAHRHUNDERTS<br />

Die Entstehung der sogenannten<br />

„Konfliktgemeinschaft“ von Tschechen und<br />

Deutschen auf dem Territorium der<br />

böhmischen Länder ist mit der Entstehung<br />

und Verbreitung der „Nationalbewegungen“<br />

beider Nationen und ihren politischen<br />

Programmen verbunden. Allerdings nicht<br />

nur damit. Die Bewegung der nationalen<br />

Emanzipation präsentierte sich auch mittels<br />

Kultur, Bildung und nicht zuletzt durch<br />

wirtschaftliche Faktoren.<br />

Die tschechische Politik orientierte sich<br />

von 1848 bis zum Ersten Weltkrieg an der<br />

Habsburgermonarchie bzw. bemühte sich<br />

um die Wiederherstellung der<br />

tschechischen Staatlichkeit darin. Den<br />

ersten und prinzipiellen Entwurf<br />

präsentierte František Palacký auf dem<br />

Kremsierer Reichstag. Sein Entwurf ähnelte<br />

dem von Löhner (auch er rechnete mit<br />

einem besonderen deutschen Grenzgebiet),<br />

er verlangte jedoch die Verknüpfung von<br />

Böhmen, Mähren und der Slowakei in<br />

einem der erwogenen Teilstaaten. Er hatte<br />

keinen Erfolg – der Reichstag von Kremsier<br />

neigte zu einer konservativeren Variante<br />

und vor allem: er wurde durch die<br />

Bajonette der kaiserlichen Soldaten<br />

auseinandergetrieben.<br />

Nach dem Niedergang des darauf<br />

basierenden Neoabsolutismus (maßgeblich<br />

geprägt durch A. von Bach) und nach dem<br />

preußisch-österreichischen Krieg von 1866,<br />

nach welchem die tschechiche Politik<br />

weiterhin den Habsburgern treu blieb,<br />

eröffnete sich für die Tschechen eine neue<br />

Chance beim Umbau des österreichischen<br />

Kaiserreiches. Diese Reform endete jedoch<br />

nur in einem sog. Dualismus, der Aufteilung<br />

in Österreich (Zisleithanien) und Ungarn<br />

(Transleithanien). Den Tschechen gelang es<br />

nicht, einen sog. Trialismus durchzusetzen,<br />

der einen gleichberechtigten tschechischen<br />

Staat bedeutet hätte. So blieb nichts anderes<br />

übrig, als sich auf ein „niedrigeres“<br />

Staatsgebilde zu orientieren – den sog.<br />

Subdualismus innerhalb von Zisleithanien.<br />

Auch dieses misslang und die Tschechen<br />

mussten sich mit einer bloßen Politik der<br />

kleinen Schritte zufrieden geben; schon die<br />

Bezeichnung besagt, bis wohin sie<br />

zurückfielen.<br />

Trotz allen Niederlagen kehrte der Kern<br />

der tschechischen politischen Führung der<br />

Monarchie nicht den Rücken (bis auf einige<br />

28<br />

kleine radikale Gruppen) und betrieb unter<br />

J. Kaizls Regie, eines der führenden Politiker<br />

der jungtschechischen Partei, die sogenannte<br />

„positive“ Politik, die darauf ausgerichtet<br />

war, Staatsposten in Wien und Prag zu<br />

infiltrieren und dem Hause der Habsburger<br />

gegenüber immer noch loyal war. Dies alles<br />

beendete, wie noch zu sehen sein wird, der<br />

Erste Weltkrieg. Vor diesem Hintergrund<br />

nationalisierten sich die tschechischdeutschen<br />

Beziehungen zunehmend, was<br />

allmählich alle Bereiche des politischen,<br />

sozialen wie auch wirtschaftlichen und<br />

kulturellen Lebens erfasste. In den<br />

böhmischen Ländern formierten sich nun<br />

zwei in sich immer mehr geschlossene<br />

nationale Gemeinschaften, deren<br />

Zusammenleben mehr und mehr von<br />

Konflikten bestimmt wurde. Es finden sich<br />

allerdings auch ruhigere Zeiten, in denen die<br />

gegenseitigen Animositäten zurückgedrängt<br />

waren. Dazu gehört beispielsweise die Zeit<br />

zwischen 1905 und 1908, als wiederholt<br />

gemeinsame Erwartungen dominierten, die<br />

durch eine Demokratisierung des<br />

öffentlichen Lebens hervorgerufen wurden<br />

und in der Einführung des allgemeinen<br />

Wahlrechts in Österreich gipfelten. Beispiele<br />

bewusster Zusammenarbeit und positiven<br />

Verständnisses finden sich ebenfalls<br />

innerhalb der Kultur oder im Alltag. Die<br />

neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts<br />

bedeuteten dagegen den Höhepunkt der<br />

gegenseitigen Konflikte. Sie begannen 1890<br />

mit dem Versuch einer Punktation, die das<br />

Nationalitätenproblem in Böhmen durch<br />

eine Aufteilung der Verwaltung nach<br />

ethnischem Prinzip lösen wollte. Die<br />

Konflikte setzten sich fort – und<br />

kulminierten zugleich – in der von Badenis<br />

Sprachverordnungen hervorgerufenen Krise<br />

(1897), die das Tschechische dem Deutschen<br />

teilweise gleichstellten. Eine tiefe Krise der<br />

gegenseitigen Beziehungen brachte auch die<br />

Zeit von 1908 bis 1914.<br />

Im Gegensatz dazu entwickelte sich<br />

Mähren in der zweiten Hälfte des 19.<br />

Jahrhunderts relativ ruhig, wo nationale<br />

Reibereien nicht so an Intensität gewannen<br />

wie in Böhmen und wo es 1905 gelang,<br />

durch den sog. mährischen Ausgleich eine<br />

nationale Aussöhnung zu erzielen. Dadurch<br />

wurde Mähren faktisch proportional nach<br />

der nationalen Zusammensetzung der<br />

Bevölkerung aufgeteilt.<br />

Es ist sicher kein Zufall, dass schon seit<br />

der Revolution von 1848 Entwürfe und

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