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Die Zwangsaussiedlung und ihre rechtlichen<br />

Aspekte<br />

überwog bei den Deutschen, während<br />

Denunziation das am häufigsten abgeurteilte<br />

Delikt bei den Tschechen war.<br />

Für führende Vertreter des Protektorats –<br />

d.h. der Protektoratspräsident Emil Hácha,<br />

Mitglieder der Protektoratsregierung,<br />

Mitglieder der Führungszentrale von Vlajka<br />

und Kuratorium, Funktionäre der Česká liga<br />

proti bolševismu, führende Vertreter der<br />

Národní odborová ústředna sowie bekannte<br />

Journalisten, Beamte und Industrielle – , die<br />

dem großen Retributionsdekret<br />

entsprechende Straftaten begangen hatten,<br />

wurde per Dekret Nr. 17/1945 Sb. vom<br />

19. Juni 1945 das sog. Národní soud<br />

(Nationalgericht) einberufen. Dieser<br />

Gerichtshof funktionierte einerseits als<br />

Strafgericht, andererseits als Ehrengericht.<br />

In seiner Funktion als Ehrengericht konnte<br />

das Nationalgericht festlegen, dass die oben<br />

angeführten Personen sich nach dem<br />

28. Mai 1938 „nicht so verhalten haben, wie es<br />

sich für treue und tapfere tschechoslowakische<br />

Bürger ziemt“. Dann wurden ihnen sowohl<br />

das aktive wie auch das passive Wahlrecht<br />

sowie weitere politische Rechte entzogen.<br />

Die Anklage vertrat ein von der Regierung<br />

ernannter Staatsanwalt, der entschied,<br />

welche Personen, die das Dekret betraf,<br />

tatsächlich vor das Nationalgericht gestellt<br />

werden. Vor dem Nationalgericht wurden<br />

insgesamt 36 Strafanträge gegen 80<br />

Personen verhandelt, nur in drei Fällen<br />

fungierte das Gericht als Ehrengericht.<br />

Angesichts der Tatsache, dass die<br />

bekanntesten Kollaborateure Emil Hácha,<br />

Emanuel Moravec und František<br />

Chvalkovský noch vor der Konstituierung<br />

des Nationalgerichtshofes starben oder<br />

Selbstmord verübten, waren die Prozesse<br />

gegen die Mitglieder der<br />

Protektoratsregierung Jaroslav Krejčí,<br />

Richard Bienert, Adolf Hrubý, Jindřich<br />

Kamenický und Josef Kalfus die<br />

bedeutendsten vor dem Nationalgericht<br />

verhandelten Fälle. Es folgten dann Prozesse<br />

gegen den Innenminister und General der<br />

Gendarmenie Jan Ježek und gegen die<br />

Minister der Protektoratsregierung Jan<br />

Kapras und Dominik Čipera. In einem<br />

gesonderten Prozess wurden führende<br />

Mitglieder der Regierungen der<br />

sogenannten Zweiten Republik Jiří Havelka,<br />

Rudolf Beran und Jan Syrový verurteilt. Die<br />

253<br />

Kapitel VII<br />

eben erwähnten Prozesse verliefen in einer<br />

emotional aufgeputschten Atmosphäre und<br />

unter deutlichem Druck insbesondere<br />

seitens der kommunistischen Partei. Trotz<br />

des Druckes durch die Regierung konnte<br />

sich das Gericht nicht dazu entschließen,<br />

Todesstrafen für die Mitglieder der<br />

Protektoratsregierung auszusprechen. (Die<br />

höchsten Freiheitsstrafen – lebenslänglich<br />

und 25 Jahre schweren Kerkers – bekamen<br />

Adolf Hrubý und Jaroslav Krejčí. Rudolf<br />

Beran und Jan Syrový wurden zu 20 Jahren<br />

schweren Kerkers verurteilt.) Auch erneute<br />

Bemühungen, vor allem seitens der<br />

Kommunisten, um Wiederaufnahme der<br />

Strafverfahren gegen die Mitglieder der<br />

Protektoratsregierungen, um somit strengere<br />

Urteile zu erreichen, hatten keinen Erfolg.<br />

Zu den weiteren Beschuldigten, die vor das<br />

Nationalgericht gestellt wurden, gehörten<br />

die Vertreter der Národní souručenství<br />

(Nationale Gemeinschaft), der Vlajka,des<br />

Kuratorium, der Česká liga proti bolševismu<br />

sowie der Industrielle Jan Baťa, der in<br />

Abwesenheit zu 15 Jahren schweren Kerkers<br />

verurteilt wurde. Zuletzt wurden 18<br />

Personen zur Todesstrafe verurteilt, unter<br />

ihnen die führenden Mitglieder der Vlajka<br />

( Jan Rys-Rozsévač, J. Burda, J. Čermák und<br />

O. Polívka), des Kuratorium pro výchovu<br />

mládeže ( J. Svoboda, E. Chalupa – beide<br />

begnadigte der Präsident zu einer<br />

lebenslänglichen Freiheitsstrafe,<br />

K. Mihalíček und F. Teuner) sowie der Sohn<br />

von Emanuel Moravec, Igor, der SS-Offizier<br />

gewesen war. Besonders hohe Strafen<br />

verhängte das Nationalgericht im Prozess<br />

gegen aktiv gewesene Journalisten.<br />

Insgesamt wurden sieben von ihnen zur<br />

Höchststrafe verurteilt, unter ihnen auch<br />

Vladimír Krychtálek und in Abwesenheit<br />

Emanuel Vajtauer.<br />

Die Retributionsverfahren vor den<br />

außerordentlichen Volksgerichten endeten<br />

nach mehrfachen Änderungen der<br />

ursprünglichen Präsidialdekrete erst am<br />

4. Mai 1947. Der kleine Prozentsatz der<br />

noch offenen Fälle wurde den ordentlichen<br />

Gerichten zur abschließenden Bearbeitung<br />

übergeben, die jedoch strafrechtliche<br />

Bestimmungen des großen<br />

Retributionsdekretes anwandten. Ähnlich<br />

sollte auch bei den Fällen verfahren werden,<br />

die erst nach dem 4. Mai 1947 angezeigt

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