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Kapitel VII<br />

jeder beliebigen Staats-, Stadt- und<br />

Kreisregierung oder örtlichen Organen<br />

zugestanden hatten“. Die Regierungen der<br />

Alliierten stimmten im Namen<br />

Deutschlands der Aussiedlung der<br />

deutschen Volksgruppen auf das Territorium<br />

Deutschlands zu und akzeptierten diese.<br />

Deutschland wurde zu dieser Zeit nur von<br />

dem alliierten Kontrollrat regiert. Die<br />

Vertreter der drei Großmächte entschieden<br />

vor allem als Garanten der künftigen<br />

Weltfriedensordnung. Es hatte sich nämlich<br />

gezeigt, dass die Konzeption des Systems<br />

von Versailles zum Minderheitenschutz<br />

gerade in Bezug auf Deutschland und<br />

deutsche Minderheiten in anderen Staaten<br />

versagt hatte. Die Siegermächte des Ersten<br />

Weltkrieges durchbrachen damals das<br />

Prinzip der Staatssouveränität bei den sog.<br />

Nachfolgestaaten sowie bei den besiegten<br />

Staaten in Bezug auf die Minderheiten. Eine<br />

Ausnahmestellung wurde nur Deutschland<br />

zugestanden, das nicht zum<br />

Minderheitenschutz verpflichtet wurde,<br />

obwohl es auf deutschem Territorium<br />

Minderheiten gab und kein Grund bestand,<br />

diesen den Schutz zu verweigern. Die<br />

Weimarer Verfassung beschränkte später die<br />

Stellung der Minderheiten durch die<br />

Bestimmung ihres Artikels Nr. 113 als<br />

„fremdsprachige Volksteile“ und definierte<br />

diese „Volksteile“ nicht als Minderheiten.<br />

Die deutsche Regierung, die 1918 den<br />

sezessionistischen Versuch der deutschen<br />

Minderheit in der Tschechoslowakei nicht<br />

unterstützt hatte, half später aktiv bei<br />

Beschwerden und Petitionen von<br />

Angehörigen deutscher Minderheiten aus<br />

verschiedenen Staaten, die an den<br />

Völkerbund adressiert waren, gegen die<br />

Regierungen dieser Staaten. Nach Hitlers<br />

Machtergreifung wurden die deutschen<br />

Minderheiten in der Tschechoslowakei und<br />

den anderen Staaten – bis auf<br />

antifaschistische Ausnahmen – zum<br />

gesteuerten Werkzeug der Politik der<br />

deutschen Regierung, um diese Staaten zu<br />

destabilisieren und den Weltkrieg zu<br />

entfesseln. Die deutschen Minderheiten<br />

waren also nicht loyal gegenüber den<br />

Staaten, in denen sie lebten, sondern nur<br />

gegenüber Deutschland und seinem Regime<br />

im Einklang mit der damals in Deutschland<br />

herrschenden Ideologie. Sie negierten somit<br />

Die Zwangsaussiedlung und ihre rechtlichen<br />

Aspekte<br />

274<br />

das Grundprinzip, auf welchem der<br />

Minderheitenschutz nach dem Ersten<br />

Weltkrieg basierte, und zeigten dadurch<br />

seine Mängel. Die tschechoslowakische und<br />

die polnische Regierung vertraten eine<br />

deutlich unterschiedliche Politik<br />

Deutschland sowie den Minderheiten im<br />

eigenen Land gegenüber, dies beeinflusste<br />

jedoch keineswegs Deutschlands Streben<br />

nach Vernichtung beider Staaten.<br />

Es ist bemerkenswert, dass die<br />

gegenwärtige deutsche Verfassung – das<br />

Grundgesetz – keine Bestimmung zum<br />

Minderheitenschutz enthält. Die<br />

Bundesregierung war aber stets bemüht, den<br />

Schutz deutscher Minderheiten in anderen<br />

Staaten verglichen mit anderen<br />

Minderheiten überstandardmäßig durch<br />

internationale Verträge und ohne<br />

Reziprozität zu sichern. Ein Beispiel dafür<br />

ist der deutsch-tschechoslowakische Vertrag<br />

aus dem Jahr 1992.<br />

Die Umsiedlungspolitik Deutschlands<br />

Die Ursachen und Wurzeln der deutschen<br />

Politik, die zuletzt in den Zweiten Weltkrieg<br />

mündete, waren viel breiter und tiefer. In<br />

beträchtlichem Maß wies diese Politik eine<br />

Kontinuität ohne Unterschied in der<br />

Staatsform und des politischen Regimes auf.<br />

Sie beschränkte sich bei der Durchsetzung<br />

expansiver Ziele nicht nur auf die<br />

Ausnutzung der deutschen Minderheiten in<br />

anderen Staaten. Auch die deutsche<br />

Rechtstheorie schuf Argumente, die die<br />

Aggressionspolitik rechtfertigen sollten.<br />

Während des Ersten Weltkrieges machte<br />

darauf auch Tomáš G. Masaryk<br />

aufmerksam.<br />

Schon zu Anfang des Ersten Weltkrieges<br />

proklamierten deutsche<br />

Völkerrechtstheoretiker das Recht auf den<br />

Zustand „der Notwendigkeit“. Diese Theorie<br />

rechtfertigte zum Beispiel den Angriff auf<br />

Belgien als unerlässlich für die Sicherheit<br />

Deutschlands. Die Besetzung von Belgien<br />

wäre eine gerechte Strafe für Belgiens<br />

Verteidigung. Ob es sich um die „Sicherheit<br />

Deutschlands“ handle, konnte nur die<br />

deutsche Regierung ermessen. Deutschland<br />

wählte dafür auch Mittel, die die Integrität<br />

des Staates zerlegten, insbesondere<br />

unterstützte es flämische Forderungen dem<br />

belgischen Staat gegenüber. Die Theorie des

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