Bibliotheca Kamtschatica Kulturstiftung Sibirien - Siberian-studies.org
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fleißigen Tieren aufgestapelt werden. Der Bau der Mäuse enthält nur Wurzelknollen<br />
lilienartiger Gewächse, zu denen nur eine andere Pflanzenart hinzukommt, nämlich<br />
kleine Wurzel- und Stängelteile des bitter und aromatisch schmeckenden Polygonum<br />
bistorta.<br />
Endlich wäre noch eine Pflanze aus diesem Bereich der [99] Wiesen und Birkenwälder<br />
anzuführen, welche eine Rolle im Leben der hiesigen Völker spielt. Es ist<br />
der Fliegenpilz, Amanita muscaria, der hier oft genannte Muchamor der Bewohner.<br />
Leuchtend rot mit seinen vielen großen, weißen Punkten ist dieser Pilz nicht selten<br />
und schon von Weitem im saftigen Grün etwas schattiger und feuchter Örtlichkeiten<br />
erkennbar. Obgleich die Kam tschadalen selbst ihn kaum gebrauchen, so sammeln<br />
sie ihn doch gern, um ihn im getrockneten Zustande den Korjaken und Tschuktschen<br />
zuzuführen, von denen er gern erhandelt wird. Im Norden scheint dieser dort<br />
sehr beliebte Pilz gar nicht oder doch als größte Seltenheit vorzukommen, dafür aber<br />
ist die berauschende, nervenerregende Wirkung des Muchamor weit und breit bei<br />
den Nordvölkern bekannt und sehr beliebt. Korjaken sowohl als auch Tschuktschen<br />
tragen gern ein kleines Döschen aus Betula nana bei sich, in welchem sie in kleine<br />
Stückchen zerschlagenen, getrockneten Fliegenpilz bei sich führen, um das beliebte<br />
Berauschungsmittel immer zur Hand zu haben. Eine zweite solche Dose enthält<br />
Tabak, der von ihnen in dreifacher Art genossen, und zwar geraucht, gekaut und<br />
geschnupft wird. Der Muchamor dagegen wird nur gekaut und dann der Saft verschluckt.<br />
Bei allen Festlichkeiten, besonders bei den Schamanen, spielt der Pilz eine<br />
wichtige Rolle, aber auch sonst wird er sehr häufig gebraucht von allen denen, die<br />
sich diesem Genuss ergeben haben und nun nicht mehr davon lassen können, ganz<br />
ähnlich wie es dem Trinker mit dem Alkohol und dem Opium Genießenden mit dem<br />
Opium ergeht. Wer sich diesem Genüsse hingegeben hat, ist bald ein Knecht desselben<br />
und wird alles hingeben, um sich diesen Rausch wieder zu verschaffen.<br />
Die Muchamor-Freunde schildern die Narkose als das Schönste und Herrlichste.<br />
Die schönsten Bilder, die man im [100] Leben sonst nie sieht, ziehen an ihnen vorüber<br />
und wiegen sie in einen Zustand höchster Genüsse. Von den häufigen Fällen, in denen<br />
ich selbst so Berauschte gesehen habe, ist mir kein Fall erinnerlich, wo ich tobende<br />
oder wild gewordene Personen vor mir hatte. Immer war die Wirkung äußerlich eine<br />
durchaus beruhigende, ich möchte fast sagen gemütliche. Meist sitzen sie lächelnd<br />
und freundlich da, leise Worte vor sich murmelnd, alle Bewegungen sind langsam<br />
und bedächtig. Das Gehen scheint ihnen unbequem, obgleich sehr wohl möglich.<br />
Das Auge ist gläsern, fast blödsinnig aussehend, als ob die Person die Umgebung<br />
kaum bemerkt, und die Gesichtszüge sind etwas verzerrt. Allgemein wird von den<br />
Leuten behauptet, dass das Pilzgift eine erhöhte und schönere Wirkung erhält, wenn<br />
es bereits durch einen anderen Organismus seinen Weg gefunden hat. So werden die<br />
Berauschten gern verfolgt, um ihren Urin aufzufangen, der diese Wirkung in besonders<br />
hohem Grade haben soll. Ebenso soll das Fleisch von Rentieren, die zufällig von<br />
dem Pilz gefressen, die berauschende Wirkung in sehr angenehmer Form erhalten.