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Cicero Die 100 Auf- und Absteiger des Jahres (Vorschau)

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CICERO<br />

Stadtgespräch<br />

In dieser politischen Zwischenzeit gibt es viele Abschiede <strong>und</strong> Umzüge, auf<br />

Ost- <strong>und</strong> Westbühnen wird viel gemordet <strong>und</strong> ein Sozi könnte auspacken<br />

Abschiedsessen im Kanzleramt:<br />

Mit Kohl verduften<br />

NSA-Affäre:<br />

Was weiß Machnig?<br />

Der doppelte Hamlet:<br />

Schein <strong>und</strong> Sein<br />

Neulich, abends, in einer Berliner<br />

Bar: Ein Minister, der gleich zum<br />

Abschiedsessen <strong>des</strong> alten Kabinetts ins<br />

Kanzleramt muss, nimmt vorher einen<br />

Drink. Angela Merkel hat eingeladen,<br />

vor allem, um sich von den Liberalen<br />

zu verabschieden. Das ist guter Brauch<br />

in Deutschland. Ach ja, seufzt der Minister.<br />

1998 sei er auch dabei gewesen –<br />

beim Abschiedsessen mit Helmut Kohl<br />

im Kanzlerbungalow. Unfassbar viel<br />

wurde da getrunken. Und irgendwann,<br />

sehr spät, erhebt sich der Kohl in seiner<br />

dunklen riesenhaften Strickjacke, die<br />

für andere ein Mantel gewesen wäre,<br />

<strong>und</strong> ruft: „Jetzt schiffen <strong>und</strong> scheißen<br />

wir noch in die Ecken, damit es hier<br />

richtig stinkt, wenn die Sozen kommen!“<br />

Der Minister, der sich seinerseits<br />

erhoben hat, setzt sich wieder <strong>und</strong> sagt<br />

noch: „Gut für Kohl, dass das keiner<br />

gemacht hat.“ Denn Kohl durfte noch<br />

einige Zeit im Bonner Bungalow wohnen.<br />

Sagt’s, schnappt seinen Mantel, der<br />

für Kohl eine Jacke gewesen wäre, <strong>und</strong><br />

geht zu Merkel ins Kanzleramt. swn<br />

Edward Snowden ist zum Helden<br />

<strong>des</strong> Informationszeitalters geworden,<br />

weil er in rauen Mengen Betriebsgeheimnisse<br />

seines Arbeitgebers<br />

Booz Allen Hamilton kopiert <strong>und</strong> veröffentlicht<br />

hat. <strong>Die</strong> Firma wird gern<br />

„Schatten geheimdienst“ genannt, weil<br />

sie (weltweit 24 500 Mitarbeiter) mit<br />

Staatsgeheimnissen handelt. „Wir tauschen<br />

wichtige Informationen aus <strong>und</strong><br />

wandeln diese in Wissen um“, heißt<br />

es auf der Homepage. <strong>Die</strong> SPD würde<br />

Snowden gern als Zeugen in den NSA-<br />

Untersuchungsausschuss laden, aber der<br />

hält sich in Russland versteckt. „Vielleicht<br />

sollten wir erst mal Matthias befragen“,<br />

frotzeln nun Genossen hinter<br />

vorgehaltener Hand. Matthias Machnig<br />

arbeitete von Januar 2004 bis April<br />

2005 in der Geschäftsleitung von Booz<br />

Allen Hamilton in Deutschland. Der<br />

stets etwas konspirativ wirkende Machnig<br />

(Spitzname: „Fürst der Finsternis“)<br />

soll nach seinem unrühmlichen Ende als<br />

Wirtschaftsminister Thüringens nun den<br />

Europawahlkampf der SPD leiten. ek<br />

Berlin ist Hamlet, Hamlet ist Berlin:<br />

Der Dänenprinz, zwischen Sein<br />

<strong>und</strong> Nichtsein ewig hadernd, ist das<br />

role model einer Stadt in permanenter<br />

Identitätskrise. Viele Worte macht<br />

Hamlet, manchmal rutscht ihm die<br />

Hand aus, dann ist das Geschrei groß,<br />

jemand muss das Blut wegwischen. Am<br />

Berliner Ensemble gibt es all das <strong>und</strong><br />

viel mehr, ein Mehr, das auf den Namen<br />

Christopher Nell hört. Der Schauspieler<br />

liefert die starke Antithese zu<br />

jenem anderen Hamlet, der an der<br />

Schaubühne vom dauerexaltierten Lars<br />

Eidiger gegeben wird. Nell lässt sogar<br />

in einer durchschnittlichen Leander-<br />

Haußmann-Inszenierung die Methode<br />

hinter dem Wahnsinn erkennen. Sein<br />

Fragen wird Gebärde, sein Morden ein<br />

Körperbild, eine aufrecht gekrümmte<br />

Schlange ist er, der fabelhafte Nell, ein<br />

springlebendiger Astheniker, wie er bei<br />

Shakespeare im Buche steht: „Ich bin<br />

sehr stolz, rachsüchtig, ehrgeizig; mir<br />

stehn mehr Vergehungen zu <strong>Die</strong>nst, als<br />

ich Gedanken habe, sie zu hegen.“ kis<br />

Illustrationen: Jan Rieckhoff<br />

10<br />

<strong>Cicero</strong> – 1. 2014

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