Cicero Die 100 Auf- und Absteiger des Jahres (Vorschau)
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SICH WUNDERN“<br />
Hat sich Papst Franziskus schon bei Ihnen<br />
entschuldigt?<br />
Wie bitte, wofür denn?<br />
Im Telefonat mit einem Fre<strong>und</strong> soll Franziskus<br />
die „vielen Herrscher über den<br />
Papst“ kritisiert haben, die seinen Terminkalender<br />
führten. Das wurde auf Sie<br />
als Privatsekretär Benedikts bezogen.<br />
Aus seinem M<strong>und</strong>e habe ich, was<br />
mich betrifft, keine Kritik vernommen.<br />
Eine Entschuldigung ist nicht nötig.<br />
Aber es gab einen radikalen Wechsel Ihrer<br />
Lebensverhältnisse, seit sich Benedikt<br />
vom Papstamt zurückzog.<br />
Immerhin bin ich r<strong>und</strong> ein Jahr schon<br />
Präfekt <strong>des</strong> Päpstlichen Hauses. <strong>Auf</strong> dieser<br />
Ebene gibt es Kontinuität. Natürlich<br />
haben sich mein Leben, meine <strong>Auf</strong>gaben<br />
<strong>und</strong> mein Empfinden seit dem 28. Februar<br />
verändert. Am Anfang war es nicht leicht.<br />
Welches Empfinden beherrschte Sie?<br />
Ich spürte Schmerz, Trauer <strong>und</strong> Ungewissheit.<br />
Was würde nun kommen?<br />
Um die Welt ging das Bild mit den Tränen<br />
<strong>des</strong> Georg Gänswein.<br />
Mir war es wirklich h<strong>und</strong>eelend zumute,<br />
als ich in der päpstlichen Wohnung<br />
zum letzten Mal die Lichter ausgemacht<br />
habe <strong>und</strong> wir mit dem <strong>Auf</strong>zug nach unten<br />
fuhren. Da spürte ich: Es ist ein endgültiger<br />
Abschied, <strong>und</strong> der schmerzte sehr.<br />
Franziskus fliegen die Herzen zu. Wie<br />
gelingt ihm das?<br />
<strong>Die</strong> Frage habe ich mir schon oft gestellt.<br />
Er hat bei allem, was er tut <strong>und</strong><br />
sagt, Rückenwind. Bei Rückenwind fliegt<br />
alles in eine Richtung. Seine Herzlichkeit<br />
ist echt <strong>und</strong> keine strategische Aktion.<br />
Wollten die Kardinäle einen Bruch?<br />
<strong>Die</strong>se Vermutung halte ich für abwegig.<br />
Ich weiß nicht, ob die Kardinäle<br />
alle wussten, wen sie wählen.<br />
In der Art <strong>und</strong> Weise, wie<br />
Franziskus das Petrusamt<br />
ausübt, kann ich aber<br />
keinen Bruch in der Substanz erkennen.<br />
Unterschiede in der Form gibt es, weil die<br />
beiden Päpste unterschiedliche Persönlichkeiten<br />
mit unterschiedlichen Prägungen<br />
sind.<br />
In „Evangelii Gaudium“ fordert Franziskus<br />
eine „Neuausrichtung <strong>des</strong> Papsttums“<br />
<strong>und</strong> eine „wirksamere weibliche<br />
Gegenwart in der Kirche“.<br />
<strong>Die</strong> Stärke von Papst Franziskus ist<br />
sicherlich neben seiner einnehmenden<br />
Gestik seine reiche Bildersprache. Ein<br />
prägnantes Bild aber kann nie ganz die<br />
gesamte Wirklichkeit einfangen. Bei der<br />
verstärkten weiblichen Präsenz denken<br />
viele sofort an die Ämterfrage. Mir ist<br />
aber keine Äußerung von Papst Franziskus<br />
bekannt, dass er in dieser Hinsicht<br />
Änderungen vornehmen will – genauso<br />
wenig wie zuvor Papst Benedikt.<br />
Das Diakonat der Frau wird es also unter<br />
Franziskus nicht geben.<br />
Halte ich für ausgeschlossen.<br />
Franziskus ruft dazu auf, in der Kirche<br />
wagemutig <strong>und</strong> kreativ zu sein. Ist er<br />
der Papst der Reformkatholiken, während<br />
Benedikt der Papst der Traditionskatholiken<br />
war?<br />
Manche Kräfte, auch <strong>und</strong> gerade in<br />
Deutschland, möchten Franziskus gerne<br />
vor ihren eigenen Karren spannen. Ich<br />
glaube aber kaum, dass der Papst sich<br />
in seinem Pontifikat von gewissen deutschen<br />
Initiativen drängen lässt. Er hat<br />
eine andere Agenda.<br />
Mancher reformbegeisterte Basiskatholik,<br />
der ihm zujubelt, wird merken,<br />
dass seine Blütenträume nicht reifen?<br />
Ja. Es kann sein, dass solchen Jublern<br />
schnell der Jubel in der Kehle stecken<br />
bleibt.<br />
Bisher waren in den Ansprachen von<br />
Franziskus drei Begriffe dominant:<br />
Barmherzigkeit, Armut <strong>und</strong> Teufel.<br />
In der Tat haben Sie mit diesen Begriffen<br />
drei tragende Pfeiler benannt.<br />
Ich sehe darin eine Ausformung klassischer<br />
ignatianischer Spiritualität. Papst<br />
Franziskus ist Jesuit durch <strong>und</strong> durch. Er<br />
wirkt als treuer Sohn <strong>des</strong> heiligen Ignatius<br />
von Loyola. Hätte Papst Benedikt<br />
so oft über den Teufel <strong>und</strong> die Versuchung<br />
der Weltlichkeit gesprochen wie<br />
sein Nachfolger, hätte man ihm vorgeworfen,<br />
er falle hinter das Niveau eines<br />
Proseminars im Alten Testament zurück.<br />
Aber der <strong>Auf</strong>ruf zur Entweltlichung der<br />
Kirche war das geistliche Testament<br />
Benedikts für Deutschland.<br />
Ja, <strong>und</strong> jeder versuchte es im eigenen<br />
Interesse zu deuten oder misszudeuten.<br />
Ich lade herzlich dazu ein, die Freiburger<br />
Rede Benedikts nochmals genau zu<br />
lesen – man mag dann erkennen: Was Benedikt<br />
forderte, löst Franziskus ein, auf<br />
ganz unkomplizierte Weise.<br />
<strong>Die</strong> entweltlichte Kirche Benedikts ist<br />
also identisch mit der „armen Kirche<br />
für die Armen“, die Franziskus einklagt?<br />
<strong>Die</strong> „arme Kirche“ darf man nicht<br />
missverstehen. Armut hat mit Ärmlichkeit<br />
nichts zu tun. <strong>Die</strong> Kirche muss<br />
Raum geben für das Schöne, für das<br />
Große, für das Vornehme, weil es auf<br />
Gott verweist. Papst Franziskus hat einen<br />
geistlichen, keinen soziologischen<br />
Armutsbegriff, es geht ihm um den armen<br />
Christus. Zugleich haben ihn seine<br />
Erfahrungen als Erzbischof von Buenos<br />
Aires während der schweren argentinischen<br />
Wirtschaftskrise vor einigen Jahren<br />
tief geprägt.<br />
Benedikt war ein Papst für Europa, Franziskus<br />
ist ein Papst für Lateinamerika?<br />
In dieser Zuspitzung halte ich das für<br />
falsch. Benedikt ist ein Papst aus Europa.<br />
Franziskus ist ein Papst aus Lateinamerika.<br />
Als Papst sind sie Hirte der Universalen<br />
Kirche. Ich denke aber, in Benedikt<br />
ist die europäische Tradition gleichsam<br />
inkarniert. Mit Papst Franziskus gelangte<br />
das erste Mal ein Lateinamerikaner auf<br />
den Petrusstuhl, ein Jesuit mit italienischen<br />
Wurzeln allerdings.<br />
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<strong>Cicero</strong> – 1. 2014