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Cicero Die 100 Auf- und Absteiger des Jahres (Vorschau)

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WELTBÜHNE<br />

Porträt<br />

DER DIEB ALS PRÄSIDENT<br />

Hat der ukrainische Präsident überzogen? Nach der Absage an die Europäische Union<br />

muss sich Viktor Janukowitsch seiner aufgebrachten Landsleute erwehren<br />

Von SABINE ADLER<br />

Foto: Andrei Mosienko/RIA Novosti<br />

Das ganze Land lachte. Wo steckte<br />

der Präsident? Nicht in Moskau?<br />

Aber da wollte er doch hin! In der<br />

russischen Hauptstadt wurde er jedenfalls<br />

nicht gesichtet. Viktor Janukowitsch –<br />

vom Erdboden verschluckt! Doch, doch,<br />

er sei in Russland gewesen, habe mit Putin<br />

gesprochen. Was? Wo? Ein paar Tage<br />

später war niemandem mehr zum Lachen<br />

zumute. Das mysteriöse Treffen hatte<br />

ungeahnte Folgen, schockierte das Volk,<br />

entsetzte Europa: <strong>Die</strong> Ukraine steigt aus<br />

dem EU-Assoziierungsprozess aus.<br />

Wer seinen Landsleuten eine solche<br />

Ohrfeige verpasst, muss selbst ordentlich<br />

einstecken können. Wenn Janukowitsch<br />

etwas kann, dann das. Austeilen kann<br />

er noch besser.<br />

Geboren fünf Jahre nach dem Ende<br />

<strong>des</strong> Zweiten Weltkriegs, der kaum ein<br />

Land mehr verwüstete als die Ukraine,<br />

wuchs er in Jenakiewo auf. Keine Spur<br />

von Dorfidylle, sondern ein schmutziges<br />

Nest im Donbass, jener Region im Osten<br />

der Ukraine, wo an Hochöfen <strong>und</strong> in<br />

Bergwerken die Produktionsschlachten<br />

<strong>des</strong> Wiederaufbaus geschlagen, die Familien<br />

in den Rhythmus von Früh-, Spät<strong>und</strong><br />

Nachtschichten gezwungen wurden.<br />

Wer sich nicht eintaktete, blieb draußen.<br />

So wie Janukowitsch, Sohn eines Lokführers<br />

<strong>und</strong> einer Krankenschwester. <strong>Die</strong><br />

Mutter starb, als er zwei Jahre alt war.<br />

Der Vater kümmerte sich nicht. Als Straßendieb<br />

<strong>und</strong> Schläger landete der Teenager<br />

zwei Mal hinter Gittern, wegen<br />

Raub <strong>und</strong> Körperverletzung.<br />

Wer wagt eine Karriere in öffentlichen<br />

Ämtern, wenn der Start ins Leben<br />

so verkorkst ist? Oder ist aus dem kleinen<br />

Gauner ein großer geworden, wie seine<br />

Gegner behaupten?<br />

Als sich der junge Tunichtgut nach<br />

dem Gefängnis entschloss zu arbeiten,<br />

wurde er Gasinstallateur, dann<br />

Fuhrparkchef. Sein eigentlicher <strong>Auf</strong>stieg<br />

begann 1991 mit dem Zerfall der Sowjetunion.<br />

Eine Zeit, in der sich die Skrupellosesten<br />

das ehemalige Volkseigentum<br />

aneigneten. Janukowitsch brachte es<br />

zum Generaldirektor eines Transportunternehmens,<br />

1996 zum Gouverneur <strong>des</strong><br />

Donbass. Er trat aus der Kommunistischen<br />

Partei aus, in die Vereinigung „Einheit,<br />

Übereinstimmung <strong>und</strong> Erneuerung“<br />

ein, wurde Regionalabgeordneter, später<br />

Parteivorsitzender. 2000 gehörte er zu<br />

den Mitbegründern der „Partei der Regionen“,<br />

die er seit zehn Jahren führt. Seine<br />

Qualifikation? Treue zum Oligarchen Rinat<br />

Achmetow, dem Paten <strong>des</strong> Donbass<br />

<strong>und</strong> reichsten Mann der Ukraine, <strong>des</strong>sen<br />

zuverlässiger politischer Statthalter er ist.<br />

RÜCKSICHTSLOS GEGEN JEDEN, der es wagte,<br />

die neuen Kreise von Geld <strong>und</strong> Macht zu<br />

stören. Verwaltung, Sicherheitsorgane,<br />

Medien, Abgeordnete brachte Janukowitsch<br />

auf Linie. Oppositionelle nennt<br />

er Schleppery, ein Wort, das es weder in<br />

der russischen noch ukrainischen Sprache<br />

gibt, im Verbrechermilieu aber „kleine<br />

<strong>Die</strong>be“ meint. Alle zwingt er zu Gehorsam,<br />

so wie er sich selbst unterordnet,<br />

wenn er noch jemanden über sich<br />

hat. Wie jetzt den russischen Präsidenten<br />

Wladimir Putin. Der hält allein die<br />

Überlegung, sich der EU anzunähern, für<br />

Verrat, den er entsprechend bestrafte: mit<br />

Einfuhrbeschränkungen <strong>und</strong> -verboten,<br />

immer neuen Zollvorschriften. <strong>Die</strong> ganze<br />

Palette, wie schon bei Armenien <strong>und</strong><br />

Weißrussland. Oder Georgien <strong>und</strong> Moldau.<br />

Letztere haben widerstanden, wie<br />

sich auch die baltischen Länder nicht einschüchtern<br />

ließen.<br />

Putin ist nicht gewillt, die Ukraine<br />

herzugeben, denn Russlands Geburtsort<br />

liegt dort, genau in der ukrainischen<br />

Hauptstadt. <strong>Die</strong> „Kiewer Rus“ gilt als<br />

Stammland Russlands <strong>und</strong> erstreckte sich<br />

über heute russisches, weißrussisches <strong>und</strong><br />

ukrainisches Gebiet. <strong>Die</strong> Ukraine versteht<br />

Putin <strong>des</strong>halb als Herzstück Russlands.<br />

Dass die Mehrheit der 45 Millionen<br />

Ukrainer 1991 die Unabhängigkeit von<br />

Moskau wählte, zählt offenbar nicht. Putin<br />

macht sich eiskalt die Schwäche der<br />

ukrainischen Wirtschaft zunutze. <strong>Die</strong><br />

hat die Modernisierung verpasst, ist abhängig<br />

von russischen Energielieferungen<br />

<strong>und</strong> hängt damit am russischen Tropf.<br />

Zudem ist der Staat notorisch klamm,<br />

weil hoch verschuldet. Und hochkorrupt,<br />

sagt Korruptionswächter Oleh Rybachuk:<br />

„Janukowisch – seine Partei, seine Geschäftsleute,<br />

die sogenannte Familie –<br />

bringen je<strong>des</strong> Jahr mehr als ein <strong>Jahres</strong>budget<br />

außer Lan<strong>des</strong>.“<br />

160 Milliarden Euro benötige sein<br />

Land, um europäischen Standards zu<br />

genügen, hatte Janukowitsch im Vorfeld<br />

<strong>des</strong> EU-Gipfels „Östliche Partnerschaft“<br />

in Vilnius erklärt. 160 Milliarden Euro –<br />

das ist ein halber B<strong>und</strong>eshaushalt. Mit<br />

dem die EU die Ukraine aus der Eurasischen<br />

Zollunion herauskaufen soll? Europas<br />

Staats- <strong>und</strong> Regierungschefs verdrehten<br />

die Augen, belehrten Janu kowitsch:<br />

Eine Transformation bekommt man nicht<br />

bezahlt oder geschenkt, sie ist ein Prozess,<br />

den ein Land, seine Institutionen<br />

<strong>und</strong> Akteure durchlaufen müssen.<br />

Janukowitsch stellte ihre Geduld auf<br />

die Probe, als er detailreich das Ausmaß<br />

der russischen Abhängigkeit beschrieb,<br />

die Schäden durch den Wirtschaftskrieg<br />

auflistete. Warum er sich nicht aus dieser<br />

Abhängigkeit befreit, beantwortete<br />

er nicht. Weil das einem Offenbarungseid<br />

gleichgekommen wäre?<br />

Vermutlich haben die russischen Oligarchen<br />

genügend Druckmittel gegen die<br />

ukrainischen Kollegen in der Hand, gegen<br />

Janukowitsch <strong>und</strong> <strong>des</strong>sen Sohn, der<br />

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<strong>Cicero</strong> – 1. 2014

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