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Cicero Die 100 Auf- und Absteiger des Jahres (Vorschau)

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SALON<br />

Bibliotheksporträt<br />

DU MUSST SPION SEIN<br />

IN DIESER WELT<br />

Der Schriftsteller Assaf Gavron wäre ohne Romane aus England<br />

<strong>und</strong> Amerika nicht zum Erzähler Israels geworden<br />

Von MARKO MARTIN<br />

Assaf Gavron ruft aus dem Wohnzimmer hinüber in die Küche: „Stammt<br />

euer Olivenöl etwa aus den besetzten Gebieten?“ Zwiebel <strong>und</strong> Minze werden<br />

gehäckselt, Tomaten geschnitten, das Geräusch hin <strong>und</strong> her geschobener<br />

Pfannen ist zu vernehmen. „Glaube ich nicht, auf dem Etikett steht nichts davon“,<br />

kommt kurz darauf die Antwort seiner Frau, eher amüsiert. „Ich sehe<br />

auch nichts – <strong>und</strong> ich bin die Lehrerin“, sagt eine zweite weibliche Stimme.<br />

Er habe seiner Gattin zum Geburtstag einen Kochkurs geschenkt, erklärt<br />

Assaf Gavron, der trotz seiner 45 Jahre wie ein schlaksiger Student<br />

wirkt. Er drückt sein Kreuz gegen die Stuhllehne, ruckelt am Brillengestell<br />

<strong>und</strong> fährt mit dem Handteller über sein T-Shirt. Eines der Kinder hat dort<br />

Fingerabdrücke aus Joghurt hinterlassen. „Wenn nun sogar die Kochlehrerin<br />

sagt, dass das Olivenöl wahrscheinlich in Kern-Israel hergestellt ist …“<br />

Ein scheues Lächeln soll testen, ob der Besucher den launigen Dialog<br />

<strong>und</strong> das Ambiente nicht etwa falsch versteht: eine sonnenüberflutete Wohnung<br />

im Norden von Tel Aviv, Kinderspielzeug <strong>und</strong> Kuchenkrümel auf dem<br />

Fliesenboden, die Bücherregale an der Wand, bis oben hin angefüllt mit<br />

Gavrons geliebter angelsächsischer Literatur, im rechten Winkel zu den<br />

CD-Stapeln unter der Fensterfront <strong>und</strong> einem Wäschetrockner voll kunterbunter<br />

Höschen <strong>und</strong> Söckchen. In einem solch idyllischen Milieu ist der<br />

viel gelobte 544-Seiten-Roman „<strong>Auf</strong> fremdem Land“ entstanden, der in der<br />

vermeintlich archaischen Welt der Westbank-Siedler spielt?<br />

Als vor sechs Jahren die deutsche Übersetzung seines Romans „Ein<br />

schönes Attentat“ erschienen war, musste Gavron oft die Frage beantworten,<br />

wie man sich wohl in das Seelenleben eines palästinensischen Selbstmordattentäters<br />

hineinversetzen könne, während man gleichzeitig riskiere,<br />

vor der Tür in die Luft gesprengt zu werden. <strong>Die</strong> überraschende Antwort,<br />

die Gavron damals gegeben hatte, wiederholt er nun fast wortgenau bezüglich<br />

seines neuen Romans aus der Welt der Siedler: „Schriftsteller sollten immer<br />

Spione sein in Welten, die unbekannt sind oder in medialen Stereotypen<br />

überbelichtet, was auf das Gleiche herauskommt. Aber muss ein Spion seine<br />

Werkzeuge vorzeigen, jene ‚Voraussetzungen <strong>des</strong> Schreibens‘, von denen<br />

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<strong>Cicero</strong> – 1. 2014

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