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Cicero Die 100 Auf- und Absteiger des Jahres (Vorschau)

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WELTBÜHNE<br />

Porträt<br />

Der Mann, der es<br />

vom Straßendieb<br />

zum Präsidenten<br />

brachte, hat<br />

möglicherweise<br />

den Fehler seines<br />

Lebens begangen<br />

sich im Schatten <strong>des</strong> Vaters ein Imperium<br />

aufbaute <strong>und</strong> einer der reichsten Männer<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> geworden ist. Ein „Batja (Vater)<br />

verrät seine Kinder nicht“ – lautet<br />

Janukowitschs Verständnis von Familie.<br />

Der Mann, der den patriarchalen<br />

Führungsstil akzeptiert <strong>und</strong> selbst pflegt,<br />

wurde immer weiter nach oben geschoben,<br />

Präsident Leonid Kutschma hatte<br />

den Oligarchenvertrauten zum Ministerpräsidenten<br />

auserkoren. Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> Politik verzahnten sich immer enger,<br />

hielten den inzwischen schwerreichen<br />

Unternehmern Steuerprüfungen<br />

<strong>und</strong> lästige Konkurrenz vom Leib.<br />

2004, als Kutschma nicht mehr zur<br />

Wahl antreten kann, macht er Janukowitsch<br />

zum Präsidentschaftskandidaten.<br />

Der gewinnt. Fast. <strong>Die</strong> Wahlfälschungen<br />

werden bekannt, eine Revolution<br />

bricht los. <strong>Die</strong> Orangenen bekämpfen<br />

die Blauen, Westen gegen Osten, Demokratie<br />

gegen Autokratie, <strong>Auf</strong>bruch gegen<br />

Stabilität. Nach wochenlanger Besetzung<br />

<strong>des</strong> Maidan-Platzes in Kiew findet<br />

eine Neuwahl statt, bei der er gegen Viktor<br />

Juschtschenko unterliegt. Aus dem<br />

„Wahlfälscher“ wird der Wahlverlierer,<br />

wieder ergießt sich Häme über ihn.<br />

SIE SCHEINT IHM NICHTS auszumachen.<br />

Wie auch jetzt, da H<strong>und</strong>erttausende auf<br />

den Straßen nicht nur „Ukraine – EU“<br />

skandieren, sondern „Bandu get – Banditen<br />

weg!“ Janukowitsch, der Mann mit<br />

der Betonfrisur, hält seine Gesichtszüge<br />

unter strenger Kontrolle. Nur das Umfeld<br />

bekommt zu sehen, was sich hinter der<br />

Maske regt. Wenn die Fassade zu bröckeln<br />

beginnt, springt alles in Deckung,<br />

dann wird der Zwei-Meter-Mann gefährlich:<br />

laut <strong>und</strong> handgreiflich.<br />

Er ist rechenschaftspflichtig, wie soll<br />

er vor Achmetow, seinen Sohn, die Oligarchen<br />

treten? Zugeben, dass ihm die<br />

Macht entgleitet?<br />

In der Öffentlichkeit klingen Janukowitschs<br />

Sätze wie aus einem mechanischen<br />

Sprechwerk, das manchmal ins<br />

Stocken gerät, wenn er ein Wort sucht.<br />

Als ihm Jolka, Weihnachtsbaum, nicht<br />

einfiel, weil er meinte, es heiße im Ukrainischen<br />

anders als im Russischen, kicherte<br />

das ganze Land.<br />

Überhaupt der Weihnachtsbaum:<br />

Weil er auf dem Unabhängigkeitsplatz,<br />

dem Maidan, im Stadtzentrum von<br />

Kiew aufgestellt werden sollte, wurden<br />

die K<strong>und</strong>gebungen verboten, die in der<br />

nächtlichen Kälte ausharrenden Aktivisten<br />

fortgeprügelt. <strong>Die</strong> Demonstranten organisierten<br />

K<strong>und</strong>gebungen, wie sie die<br />

Ukraine zuletzt vor zehn Jahren erlebt<br />

hat. Ohne Julia Timoschenko, die auf Geheiß<br />

<strong>des</strong> Präsidenten im Gefängnis sitzt.<br />

<strong>Auf</strong> seine Gnade wird sie vergeblich hoffen.<br />

Der Frau die Freiheit zu schenken,<br />

hieße, ihr die Bühne zu überlassen, auf<br />

der sie ihm die Show stiehlt. Nicht, dass<br />

er das Scheinwerferlicht sucht. Im Gegenteil.<br />

Doch er darf die Macht nicht verlieren.<br />

Timoschenkos Freilassung aber wäre<br />

sein politischer Selbstmord.<br />

Dass die EU das Assoziierungsabkommen<br />

mit Timoschenkos Haftverschonung<br />

verknüpft hatte, war daher eine<br />

Strategie, die scheitern musste. Nur über<br />

seine Leiche. Angeblich hasst er sie abgr<strong>und</strong>tief.<br />

Obwohl er sie 2010 besiegt hat,<br />

das orangene Lager heillos zerstritten<br />

war <strong>und</strong> Juscht schenko wie Timoschenko<br />

stark an Zustimmung verloren hatten.<br />

Zwar hat erst er sie zur Märtyrerin gemacht,<br />

aber den Landsleuten gilt sie mitnichten<br />

als makellose Demokratie-Ikone.<br />

Außerdem spricht Janukowitsch, <strong>des</strong>sen<br />

Muttersprache – wie ihre – Russisch ist,<br />

weit besser Ukrainisch als sie <strong>und</strong> noch<br />

viel besser als der neue Star unter den<br />

Oppositionellen, Vitali Klitschko. Der<br />

Schwergewichtsweltmeister könnte dem<br />

Amateurboxer Janukowitsch gefährlich<br />

werden. Doch der ist Profi in der Verteidigung<br />

– seiner politischen Macht.<br />

Janukowitsch lehnt einen Nato-Beitritt<br />

ab, will jetzt die Zollunion mit Russland<br />

<strong>und</strong> war damit dem Durchschnitts-<br />

Viktor weit näher als die weltgewandten<br />

westlich ausgerichteten Timoschenko-<br />

Leute. Hat das Volk seine Meinung geändert,<br />

hat er sich so verschätzt?<br />

Janukowitsch hält eine Menge aus.<br />

Er fuhr zum Gipfeltreffen nach Vilnius,<br />

als sei nichts geschehen, obwohl er gerade<br />

die ganze EU brüskiert hatte. Aber<br />

anzunehmen, dass man ihn hofiert, als<br />

käme er zur Unterschrift, war vermessen.<br />

<strong>Die</strong> EU-Diplomaten ließen ihn auf<br />

ihre Weise spüren, was sie von der Kehrtwende<br />

hielten <strong>und</strong> platzierten ihn in<br />

größtmöglicher Distanz zu ihren Repräsentanten,<br />

auf gleicher Höhe mit dem Außenminister<br />

Weißrusslands. Eine Herabsetzung,<br />

die den ehrpussligen Ukrainer<br />

gekränkt haben dürfte.<br />

AUSGERECHNET VON EINER FRAU, der litauischen<br />

Präsidentin Dalia Grybauskaite,<br />

musste er sich anhören: „Druck von außen<br />

kann keine Entschuldigung sein für<br />

Entscheidungen, die ein souveränes Land<br />

trifft. Druck funktioniert nicht, wenn<br />

man den Willen hat, ihm standzuhalten.<br />

Hier diente möglicherweise der Druck<br />

von außen mehr als Entschuldigung dafür,<br />

dass die ukrainische Regierung selbst<br />

den EU-Integrationsprozess gestoppt hat.“<br />

Der Mann, der es vom Straßendieb<br />

zum Präsidenten brachte, hat möglicherweise<br />

den Fehler seines Lebens begangen.<br />

Zwar ist er ein Politiker „russischen<br />

Typs“, dem es vor Transparenz graut <strong>und</strong><br />

der auf Demokratie gut verzichten kann,<br />

für den <strong>des</strong>halb ein Bündnis mit Russland<br />

viel näher liegt. Doch lieber wäre ihm gewesen,<br />

mit seiner Schaukelpolitik fortzufahren.<br />

Hin <strong>und</strong> Her zwischen Moskau<br />

<strong>und</strong> Brüssel.<br />

Vielleicht kehrt er zu ihr zurück, um<br />

sich zumin<strong>des</strong>t bis zur planmäßigen Präsidentenwahl<br />

Anfang 2015 im Amt zu<br />

halten.<br />

Danach hätte er endlich Zeit, sich<br />

den Geschäften zuzuwenden – Leute<br />

kennt er genug.<br />

SABINE ADLER hat bereits die Orangene<br />

Revolution verfolgt. Sie hofft, dass es die<br />

Demonstranten dieses Mal schaffen, die<br />

Ukraine in Richtung Europa zu führen<br />

80<br />

<strong>Cicero</strong> – 1. 2014

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