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Cicero Die 100 Auf- und Absteiger des Jahres (Vorschau)

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BERLINER REPUBLIK<br />

Beziehungsgeschichte<br />

KOPF<br />

UND<br />

BAUCH<br />

<strong>Die</strong><br />

SMS, der Brief, das Lob.<br />

Angela Merkel <strong>und</strong> Sigmar Gabriel<br />

haben zueinandergef<strong>und</strong>en<br />

Von CHRISTOPH SCHWENNICKE<br />

In den frühen Morgenst<strong>und</strong>en <strong>des</strong><br />

26. November, als Sigmar Gabriel von<br />

Goslar redet, bekommt Angela Merkel<br />

eine fast mütterliche Anwandlung. <strong>Die</strong><br />

ganze Nacht hindurch haben die Verhandlungsgruppen<br />

von SPD, CDU <strong>und</strong><br />

CSU, hatten vor allem aber die drei Parteivorsitzenden<br />

die letzten Schleifen an<br />

den Koalitionsvertrag geb<strong>und</strong>en. Alle<br />

hatten Watte in den Beinen <strong>und</strong> Schleier<br />

der Schlaflosigkeit vor den Augen.<br />

Da sagte Sigmar Gabriel zu Angela<br />

Merkel, dass er jetzt nach Goslar fahre,<br />

seine Frau habe Geburtstag, da wolle er<br />

zum Frühstück da sein, man sehe sich<br />

um zwölf in der B<strong>und</strong>espressekonferenz.<br />

Merkel versuchte, ihn davon abzubringen.<br />

„Wollen Sie sich das wirklich antun?“,<br />

fragte Sie: „Sind Sie sicher, dass<br />

das eine gute Idee ist?“ Sie fand es wohl<br />

verrückt <strong>und</strong> einen Tort, den sich Gabriel<br />

antut. Aber rührend fand sie es irgendwie<br />

auch.<br />

Gabriel fuhr. Zwei St<strong>und</strong>en Hinfahrt,<br />

50 Minuten Geburtstag, zwei St<strong>und</strong>en<br />

Rückfahrt. Danach saß er neben Merkel<br />

vor der blauen Wand der B<strong>und</strong>espressekonferenz,<br />

er sah aus, als würde<br />

er Kaugummi kauen, wie ein etwas ungezogener<br />

Junge, aber einer mit wachen<br />

Augen <strong>und</strong> wachem Verstand. Vier Mal<br />

sprach dieser etwas ungezogene Junge<br />

von „Frau Dr. Merkel“. Das klang nach<br />

Distanz, aber auch nach Respekt.<br />

Merkel <strong>und</strong> Gabriel, das ist das neue<br />

politische Paar in Deutschland. <strong>Auf</strong> den<br />

ersten Blick ein sehr ungleiches Pärchen.<br />

Hier die Kühle, Rationale, Beherrschte,<br />

Kontrollierte, der Kopfmensch. Da der<br />

Irrwisch, der Impulsive, der Rumpelstilz,<br />

der Bauchmensch.<br />

ES LIEGEN NICHT nur diese Eigenschaften<br />

zwischen ihnen. Es gibt einen Vorgang,<br />

den Merkel Gabriel lange nicht<br />

verziehen hat. Eigentlich eine Erfahrung,<br />

nach der es nie wieder etwas werden<br />

konnte mit den beiden. Lange bevor<br />

man wusste, dass Merkels Kurznachrichten<br />

ohnehin von einer ganzen Menge<br />

Leuten mitgelesen werden, war eine Antwort<br />

von der Kanzlerin auf eine SMS <strong>des</strong><br />

SPD-Vorsitzenden bekannt geworden.<br />

Gabriel hatte ihr im Sommer 2010 auf<br />

diesem Wege den Präsidentschaftskandidaten<br />

Joachim Gauck als Nachfolger von<br />

Horst Köhler vorgeschlagen. „Danke für<br />

die info <strong>und</strong> herzliche grüße am“, knibbelte<br />

sie damals zurück. Und las diese<br />

Antwort alsbald im Spiegel.<br />

In solchen Sachen ist Merkel eigen.<br />

Ein „einmaliger Vorgang, schlicht ungeheuerlich<br />

<strong>und</strong> durch nichts zu erklären<br />

oder zu entschuldigen“, ließ sie damals<br />

ausrichten. Franz Müntefering hätte<br />

so was niemals gemacht. Da war er wieder<br />

– Bruder Leichtfuß – <strong>und</strong> fand sich<br />

48<br />

<strong>Cicero</strong> – 1. 2014

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