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Cicero Die 100 Auf- und Absteiger des Jahres (Vorschau)

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Herr Gysi, was machen Sie eigentlich<br />

noch hier in Ihrem Fraktionschefbüro?<br />

Gregor Gysi: Warum?<br />

Sie sind 65. Wäre die Rentenpolitik Ihrer<br />

Partei Gesetz, könnten Sie schon seit<br />

Jahren im Garten sitzen.<br />

Wir haben uns ja nicht durchgesetzt.<br />

Und ich habe mich als Spitzenkandidat<br />

zur Wahl gestellt. Alle sind davon ausgegangen,<br />

dass ich Verantwortung übernehme.<br />

Dann muss ich das auch machen.<br />

Ihre Partei ist noch so Gysi-abhängig,<br />

dass Ihnen eine Rücktrittsdrohung<br />

reichte, um Sahra Wagenknecht als Ko-<br />

Fraktionschefin zu verhindern.<br />

Ich habe nie mit Rücktritt gedroht.<br />

Ich habe nur vor dem Wahlkampf gesagt,<br />

ich muss keine Spitzenkandidatur<br />

machen. Aber wenn ich eine mache, dann<br />

werde ich auch wieder als Fraktionsvorsitzender<br />

ohne Nachfolger im gleichen<br />

Amt kandidieren.<br />

Zur Person<br />

Gregor Gysi lebt ein Drama. Nach<br />

dem Mauerfall 1989 zum letzten<br />

SED-Vorsitzenden gewählt, dann<br />

für die PDS ins Bonner Parlament.<br />

Fraktionschef <strong>und</strong> wieder nicht,<br />

Berliner Senator <strong>und</strong> wieder nicht.<br />

Comebacks, Kämpfe, Intrigen. Für<br />

Lafontaine, gegen Lafontaine. Zwei<br />

Ehen, zwei Scheidungen, drei Kinder,<br />

drei Herzinfarkte, eine Gehirn-OP.<br />

Heute ist er alleiniger Fraktionschef<br />

der Linken im Deutschen B<strong>und</strong>estag<br />

Fraktion anführt. Das wird 2014 der<br />

Lackmustest.<br />

<strong>Die</strong> Frage, ob der Linke Bodo Ramelow in<br />

Thüringen Regierungschef wird.<br />

So wie eine schwarz-grüne Regierung<br />

in Hessen, hätte es eine andere Qualität,<br />

wenn die SPD sagt: Okay, ihr seid<br />

stärker, ihr stellt den Ministerpräsidenten.<br />

erklärt. So lernt man, damit umzugehen.<br />

Der Fortschritt besteht darin, dass beide<br />

Seiten begriffen haben, dass sie sich gegenseitig<br />

benötigen. Jetzt müssen sie es<br />

nur noch schaffen, den Gedanken aufzugeben,<br />

alle Probleme seien gelöst, wenn<br />

der eine den anderen besiegt.<br />

2012 in Göttingen auf dem Linken-Parteitag<br />

sprachen Sie von zwei Lokomotiven,<br />

die aufeinander zurasen, von Hass.<br />

<strong>Die</strong> war doch spannend, meine Rede,<br />

oder? Mir war auch spannend dabei.<br />

Sie wirkten ohnmächtig.<br />

Es war nicht Ohnmacht, Verzweiflung<br />

würde ich es nennen. Und was ich<br />

nicht einschätzen konnte, ist: Zerstört<br />

die Rede oder baut sie auf? Danach habe<br />

ich auf Veranstaltungen bemerkt, dass<br />

der Beifall deutlich zugenommen hat. Im<br />

Osten, aber auch im Westen habe ich festgestellt:<br />

<strong>Die</strong> Rede wurde von vielen als<br />

heilsam empf<strong>und</strong>en.<br />

Warum?<br />

Ich möchte, dass die nächste Generation<br />

gleichberechtigt startet. Wenn<br />

ich jetzt jemanden an meine Seite nähme<br />

<strong>und</strong> dann ersetzte später jemand nur<br />

mich, wäre das unfair. Wenn mich zwei<br />

ersetzen müssen, egal wann, ist es ein<br />

fairer Start.<br />

Ihre Nachfolger sollen einmal Sahra Wagenknecht<br />

<strong>und</strong> <strong>Die</strong>tmar Bartsch sein?<br />

Das muss dann, wenn es so weit ist,<br />

die Fraktion entscheiden. Aber ich denke<br />

so in die Richtung, ja. <strong>Die</strong> beiden symbolisieren<br />

für mich, dass etwas zusammengeführt<br />

werden muss. Sie stehen für die<br />

beiden Teile der Partei.<br />

SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht die beiden<br />

Teile so: ostdeutsche PDS-Pragmatiker<br />

<strong>und</strong> westdeutsche SPD-Hasser.<br />

Als wir nur die PDS waren, haben sie<br />

uns genauso ausgegrenzt. Das ist falsch,<br />

<strong>und</strong> es sind Zweckerklärungen, die die<br />

SPD benutzt, wie sie es gerade braucht.<br />

Woran werden wir in einem Jahr ablesen<br />

können, ob sich das Verhältnis der<br />

SPD zur Linken wirklich verändert hat?<br />

Zum Beispiel daran, ob die SPD bereit<br />

ist, einen Ministerpräsidenten der<br />

Linken zu wählen, wenn er die stärkere<br />

Wie halten Sie es künftig mit der SPD im<br />

B<strong>und</strong>estag: Attacke oder Annäherung?<br />

Wir werden die Regierung als Ganzes<br />

kritisieren, aber natürlich auch die<br />

SPD. Bloß, wenn die SPD sich wirklich<br />

öffnen will, dann müssen wir einen anderen<br />

Gesprächskontakt entwickeln. Wir<br />

müssen ein Gefühl dafür bekommen, wie<br />

weit der andere sich bewegen könnte.<br />

Wie ist Ihr Verhältnis zu Gabriel?<br />

Wir können schon miteinander sprechen,<br />

machen wir auch. Wir duzen uns ja.<br />

Wie würden Sie die zwei Teile der Linken<br />

beschreiben?<br />

Kulturell – jedenfalls bei der früheren<br />

Generation, nicht bei der neuen – gibt<br />

es einen Unterschied: <strong>Die</strong> früheren SED-<br />

Mitglieder waren in der DDR immer akzeptiert<br />

<strong>und</strong> plötzlich waren sie es nicht<br />

mehr. Darunter litten sie <strong>und</strong> dann fingen<br />

sie an, um Akzeptanz zu kämpfen.<br />

Wenn ich mich aber im Westen entschieden<br />

habe, ein Linker außerhalb der SPD<br />

zu werden, dann habe ich mich bewusst<br />

an den Rand der Gesellschaft begeben.<br />

Sie wollten gar keine Akzeptanz.<br />

Der Gegensatz hört sich unauflösbar an.<br />

Deshalb braucht man jemanden in<br />

der Verantwortung, der das sieht <strong>und</strong><br />

Sie haben einmal gesagt, Ihr eigentlicher<br />

Berufswunsch sei Facharzt für Psychologie<br />

<strong>und</strong> Neurologie gewesen …<br />

… Psychiatrie, bitte.<br />

Psychiatrie. Wie nah sind Sie diesem Berufsbild<br />

gekommen?<br />

Ich habe ja nicht Medizin studiert<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong>halb gar keine Ahnung davon.<br />

Aber es fasziniert mich immer noch zu<br />

verstehen, was im Gehirn läuft. Was passiert<br />

da eigentlich? Wie kommen welche<br />

Gedanken zustande?<br />

Sie studierten Jura <strong>und</strong> sitzen nun in einem<br />

Parlament voller Juristen.<br />

Heute nutzt mir der juristische<br />

Hintergr<strong>und</strong> wieder. Wobei ich auch<br />

sage: Der B<strong>und</strong>estag wird immer<br />

durchschnittlicher.<br />

Wegen der vielen Juristen?<br />

Auch, aber nicht nur. Sondern weil<br />

der untere Teil der Gesellschaft nicht<br />

in den B<strong>und</strong>estag kommt. Und der<br />

obere Teil will nicht hin. Dadurch werden<br />

wir immer mittiger, damit auch<br />

durchschnittlicher.<br />

Trifft das auch auf Ihre Fraktion zu?<br />

Der gesamte B<strong>und</strong>estag läuft darauf<br />

hinaus, Durchschnitt zu werden. Wir sind<br />

53<br />

<strong>Cicero</strong> – 1. 2014

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