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Cicero Die 100 Auf- und Absteiger des Jahres (Vorschau)

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SALON<br />

Porträt<br />

OHNE SEX KEINE KUNST<br />

Wie <strong>und</strong> ob sich das Empfinden von Schönheit messen lässt, will Winfried Menninghaus<br />

erforschen. Er leitet ein Institut für Empirische Ästhetik in Frankfurt am Main<br />

Von ALEXANDER GRAU<br />

Winfried Menninghaus ist Literaturwissenschaftler.<br />

Nicht<br />

wenigen gilt er als der kreativste<br />

Kopf seines Faches in Deutschland.<br />

Ein Mann, der Rufe nach Princeton<br />

<strong>und</strong> Yale bekommen hat, der in Jerusalem<br />

lehrte <strong>und</strong> in Berkeley. Nun leitet er<br />

als einer von drei Direktoren das neu gegründete<br />

Max-Planck-Institut für Empirische<br />

Ästhetik in Frankfurt am Main.<br />

Noch steht kein Gebäude, selbst die<br />

Planungen für die provisorische Unterbringung<br />

sind nicht abgeschlossen. Doch<br />

das Institut wird, daran lässt Menninghaus<br />

keinen Zweifel, die Erforschung ästhetischer<br />

Wahrnehmung auf ein neues<br />

Niveau heben. Hier sollen Fragen beantwortet<br />

werden, die in den traditionellen<br />

Fächern vernachlässigt wurden. „<strong>Die</strong> Literaturwissenschaft“,<br />

erläutert er, „beschäftigt<br />

sich seit Jahren kaum noch mit<br />

der Ästhetik der Sprache. Kein Literaturwissenschaftler<br />

kann Ihnen erklären,<br />

was den Reiz eines Stiles ausmacht.“ So<br />

gäbe es nicht einmal analytische Kategorien,<br />

mit denen man den Prosarhythmus<br />

eines Romans erfassen könnte. „Ein<br />

Literaturwissenschaftler allein kann das<br />

nicht klären. Wir gehen das zusammen<br />

an, mit Linguisten <strong>und</strong> Mathematikern.“<br />

Mit der Mathematik verbindet den<br />

Literaturwissenschaftler eine ganz eigene<br />

Beziehung: „Von meiner Herkunft<br />

her waren Naturwissenschaften meine<br />

eigentliche Stärke. Ich war auf der Schule<br />

das Mathe-Ass.“ Menninghaus erzählt es<br />

mit leichtem Nachdruck. „Mathematik ist<br />

ein Glasperlenspiel. Das war schön damals,<br />

es gab diese Erfolgserlebnisse.<br />

Wenn man eine elegante Lösung für eine<br />

<strong>Auf</strong>gabe findet, ist das w<strong>und</strong>erbar.“<br />

<strong>Die</strong> Stimme ist unaufgeregt, das hagere<br />

Gesicht strahlt Konzentration aus.<br />

Sein schwarzer Anzug, das dunkelblaue<br />

Hemd, die Stahlrohrmöbel in seinem<br />

Büro, all das wirkt betont nüchtern. An<br />

der Wand hängt Edward Hoppers berühmtes<br />

Gemälde „Nighthawks“.<br />

Geboren wurde Winfried Menninghaus<br />

1952 im ostwestfälischen Halle.<br />

Sein Elternhaus war, wie er selber sagt,<br />

nicht betont musisch, auch wenn seine<br />

Schwester Klavier spielte, sein Vater Violine.<br />

Er selber sollte Cello lernen. Noch<br />

heute wird sein Widerwille deutlich: „Es<br />

war mir dann ein Ehrgeiz, das zu ändern.“<br />

Noch während seiner Schulzeit fing er an,<br />

im Fernstudium Informatik zu studieren.<br />

Dann kam eine existenzielle Krise, wie er<br />

es nennt. Das Mathematische langweilte<br />

ihn: „Mir fehlte viel, was ich da nicht gef<strong>und</strong>en<br />

habe. Ich wollte etwas anderes<br />

machen <strong>und</strong> begann, Philosophie <strong>und</strong> Literatur<br />

zu studieren.“<br />

DENNOCH HAT IHN der Rationalitätsanspruch<br />

der Mathematik nie losgelassen.<br />

Und nicht ihre Ästhetik: „Ich bin immer<br />

Genauigkeits- <strong>und</strong> Klarheitsfanatiker gewesen“,<br />

betont er. Das ist als Kritik am<br />

Jargon vieler Geisteswissenschaftler gemeint.<br />

Aber auch an ihrer Unbeweglichkeit:<br />

„Es ist w<strong>und</strong>erbar, dies <strong>und</strong> das zu<br />

behaupten. Jeder hat seine Lieblingsidee,<br />

<strong>und</strong> die kann man immer weiterpflegen –<br />

aber man kann sie auch infrage stellen.“<br />

An den Punkt, alles infrage zu stellen,<br />

kam Menninghaus Mitte der neunziger<br />

Jahre. „Ich habe eine Vorlesungsreihe<br />

gehalten über die Theorien <strong>des</strong> Schönen in<br />

der Antike. Man geht in eine solche Vorlesung<br />

ja mit dem Vorsatz, dass man selber<br />

etwas besser verstehen möchte.“ Am<br />

Ende der Vorlesungsreihe beschlich ihn<br />

ein schales Gefühl: „Ich hatte den Eindruck,<br />

nicht erreicht zu haben, was ich<br />

den Studenten bieten wollte.“<br />

So liest Menninghaus sich in die empirische<br />

Forschung ein, studiert Arbeiten<br />

über körperliche Schönheit, über Darwin<br />

<strong>und</strong> die Evolutionsbiologie. Nach Jahren<br />

<strong>des</strong> Selbststudiums spricht er Biologen<br />

<strong>und</strong> Neurologen an. Ästhetische Wahrnehmung,<br />

dies ist ihm nun klar geworden,<br />

kann man nur dann sinnvoll erforschen,<br />

wenn Wissenschaftler aus verschiedensten<br />

Gebieten zusammenarbeiten:<br />

empirische Psychologen, Hirnforscher,<br />

Sprachwissenschaftler.<br />

„Es geht um empirische Wahrnehmung<br />

<strong>und</strong> Bewertung“, erklärt Menninghaus.<br />

„Und es geht darum, dass<br />

noch immer nicht verstanden wird, welche<br />

Mechanismen uns dazu bringen, etwas<br />

schön, interessant, cool oder peppig<br />

zu finden.“ Er illustriert das anhand der<br />

Literatur: „<strong>Die</strong> Frage ist, weshalb nehmen<br />

wir Sätze überhaupt als ästhetische<br />

Gestalten wahr?“ Menschen würden<br />

Sätze automatisch ästhetisch bewerten,<br />

immer, unbewusst. Doch anhand welcher<br />

Aspekte? Aus welchen Gründen?<br />

Welche neuronalen Mechanismen spielen<br />

eine Rolle, wie entwickelt man Algorithmen,<br />

die diese Prozesse abbilden?<br />

<strong>Die</strong> Frage, die Menninghaus eigentlich<br />

umtreibt, geht tiefer: Weshalb gibt<br />

es überhaupt Kunst? Der Anfang <strong>des</strong><br />

menschlichen Schönheitsempfindens<br />

liegt in der Partnerwahl. Ohne Sex keine<br />

Kunst. Und nur im ästhetischen Urteil,<br />

lehrt Immanuel Kant, könne sich der<br />

Mensch in seiner Ganzheit erfahren. Nur<br />

das ästhetische Erleben verschaffe uns<br />

das Gefühl, in der Welt zu Hause zu sein.<br />

Seine Stimme ist leiser geworden,<br />

während er diese letzten Sätze spricht.<br />

Man spürt, dass ihn hier etwas jenseits<br />

aller empirischen Wissenschaft berührt:<br />

Es ist die Suche nach dem Gr<strong>und</strong> von<br />

Geborgenheit.<br />

ALEXANDER GRAU versucht sich trotz<br />

akademischer Bildung den Sinn für das<br />

Schöne zu bewahren – etwa in seiner<br />

Stilkolumne bei cicero.de<br />

Foto: Julia Zimmermann für <strong>Cicero</strong><br />

118<br />

<strong>Cicero</strong> – 1. 2014

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