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Cicero Die 100 Auf- und Absteiger des Jahres (Vorschau)

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KAPITAL<br />

Porträt<br />

DIE IRONIE DER KRISE<br />

Als Minister hat Mariano Rajoy einst Spaniens wirtschaftliches Chaos mitverursacht.<br />

Aber als Regierungschef scheint ihm jetzt die Rettung <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> zu gelingen<br />

Von WULF SCHMIESE<br />

Foto: Joan Tomas/Contour by Getty Images<br />

Im Herbst machte Mariano Rajoy ernst.<br />

Am 14. Oktober, keine zwei Jahre nach<br />

seiner Wahl zum spanischen Ministerpräsidenten,<br />

stand für ihn fest: Es reicht!<br />

Ich höre auf – mit dem Rauchen.<br />

Als Rajoy den Zigarren abschwor,<br />

hatte er soeben erfahren, dass sein Land<br />

bereits im Januar 2014 eine ganz andere<br />

Abhängigkeit loswerden würde: die vom<br />

Euro-Rettungsschirm. „<strong>Die</strong> Rezession ist<br />

vorbei“, war ihm versichert worden. <strong>Die</strong><br />

spanische Nationalbank sah die Wirtschaft<br />

im dritten Quartal 2013 erstmals<br />

seit neun Quartalen tiefer Rezession wieder<br />

im Plus. Wachstum! Wenn auch nur<br />

um 0,1 Prozent. EU <strong>und</strong> OECD bestätigten,<br />

echter <strong>Auf</strong>schwung sei ab 2015 möglich<br />

– als Folge strammen Sparens der Regierung<br />

Rajoy.<br />

Am schellackpolierten Kabinettstisch<br />

im Regierungspalast La Moncloa in<br />

Madrid herrscht nun sichtlich Entspanntheit.<br />

<strong>Die</strong> Wintersonne durchleuchtet das<br />

rote Weinlaub, das die Sprossenfenster<br />

umrankt, <strong>und</strong> lässt den weißen Regierungssaal<br />

glänzen. Der wirkt mit all den<br />

abstrakten Großgemälden so hell <strong>und</strong><br />

klar wie eine Galerie für moderne Kunst.<br />

„El Presidente del Gobierno“, wie Regierungspräsident<br />

Rajoy als Chef der neun<br />

Männer <strong>und</strong> vier Frauen seiner Ministerriege<br />

offiziell heißt, lehnt sich zurück <strong>und</strong><br />

erinnert sich an die düsteren Anfänge in<br />

dieser R<strong>und</strong>e vor genau zwei Jahren.<br />

Der spanische Winter 2011 begann<br />

trüb <strong>und</strong> verzagt. Vier Tage vor Heiligabend<br />

trat die konservative Regierung<br />

Rajoy ihren <strong>Die</strong>nst an. Der neue Regierungschef<br />

<strong>des</strong> für die EU gefährlichsten<br />

Euro-Wackelkandidaten wirkte vom ersten<br />

Tag an kreuzunglücklich.<br />

Der fusselbärtige Provinzler aus Galicien<br />

galt nicht als Siegertyp, sondern als<br />

ideenloser, langweiliger Karrierebeamter.<br />

Ein Jurist, der schon drei Ministerien<br />

geleitet hatte, aber auch schon zweimal<br />

als Herausforderer <strong>des</strong> sozialistischen<br />

Regierungschefs Zapatero gescheitert<br />

war. Als Redner konnte er noch nie punkten.<br />

Linkisch wirkten die Gesten <strong>des</strong> langen,<br />

schlaksigen Politikers, seine Augen<br />

weit aufgerissen, als suchten sie ständig<br />

Hilfe.<br />

Rajoy war als Vizechef der konservativen<br />

Regierung Aznar politisch mitverantwortlich<br />

für die Immobilienblase, die<br />

erst unter den Sozialisten geplatzt war.<br />

Nun hatten die Spanier Rajoys Partido<br />

Popular wieder an die Macht gewählt,<br />

mit absoluter Mehrheit sogar. Ironie der<br />

Krise.<br />

EIN ERSTER BLICK in die Bücher hinterließ<br />

beim katholischen Rajoy, verheiratet,<br />

zwei Söhne, alles andere als<br />

Feiertagsstimmung kurz vor Weihnachten<br />

2011. <strong>Die</strong> Banken standen vor dem<br />

Kollaps, seine Wahlversprechen waren<br />

nicht haltbar. „Viel dummes Zeug hatten<br />

wir in der Opposition gesagt <strong>und</strong><br />

gemacht“, sagt ein Minister Rajoys nun<br />

zwei Jahre später – man habe sich im<br />

Wahlkampf nicht getraut zu sagen, was<br />

getan werden muss. Statt<strong>des</strong>sen: Keine<br />

Steuern erhöhen, keine Einsparungen<br />

bei Rente <strong>und</strong> Bildung, kein Steuergeld<br />

für Banken – das alles hat Rajoy vor<br />

der Wahl versprochen <strong>und</strong> gleich danach<br />

gebrochen.<br />

Eine seiner ersten Amtshandlungen<br />

war der Notruf nach Brüssel: S. O. S., wir<br />

brauchen Geld, sonst geht hier alles unter!<br />

Wirtschaftsminister Luis de Guindos<br />

verband das damals mit dem dramatischen<br />

Appell an die EU: „<strong>Die</strong> Schlacht<br />

um den Euro wird in Spanien geschlagen!“<br />

Spanien nahm Geld an aus dem<br />

immer größer aufgepumpten ESM-Rettungsboot:<br />

gut 41 Milliarden Euro. Mit<br />

diesem Kredit verfolgte Madrid nur ein<br />

einziges Ziel: drei staatliche Banken<br />

oben zu halten, die von der Vorgängerregierung<br />

zu Großsparkassen zwangsfusioniert<br />

worden waren. Sie waren damit<br />

zu groß geworden, um sie einfach pleitegehen<br />

zu lassen.<br />

Rajoy ist sich sicher, dass die Geldhäuser<br />

2014 den EU-Stresstest bestehen<br />

<strong>und</strong> dann reprivatisiert werden. Den<br />

ESM-Kredit werde Spanien bis 2022 zurückgezahlt<br />

haben.<br />

<strong>Die</strong> Spanier spüren aber bisher nichts<br />

vom Erfolg. Eine Umfrage ergab, dass<br />

88 Prozent nicht an Besserung glauben.<br />

„Wir können nicht von <strong>Auf</strong>schwung sprechen,<br />

solange sich im Geldbeutel der Spanier<br />

nichts ändert“, greift der sozialistische<br />

Oppositionsführer Alfredo Pérez<br />

Rubalcaba die miese Stimmung auf <strong>und</strong><br />

damit Rajoy an. Eine Million Jobs hat die<br />

Krise gekostet, auch wegen Rajoys radikaler<br />

Reformen im Staatsapparat. <strong>Die</strong><br />

Arbeitslosenquote von 26 Prozent sinkt<br />

selbst in den Regierungsvorschauen nur<br />

um einen Prozentpunkt pro Jahr ab 2014.<br />

Doch die gesunkenen Lohnkosten haben<br />

die Exportkurve Spaniens steil nach<br />

oben gebogen, 7 Prozent Zuwachs 2013.<br />

„Wir werden auch jetzt keinen Gang<br />

herunterschalten“, sagt Rajoy <strong>und</strong> zählt<br />

die nächsten Reformen auf, die den Arbeitsmarkt<br />

flexibler machen sollen. Ermittlungen<br />

gegen seine Partei wegen <strong>des</strong><br />

Verdachts auf Korruption ängstigen ihn<br />

nicht. Rajoy behauptet seelenruhig, alles<br />

offengelegt zu haben.<br />

Er möchte auch Weihnachten 2015<br />

noch im La Moncloa arbeiten. Dann ist er<br />

60 <strong>und</strong> will als – frisch wiedergewählter –<br />

Regierungschef beweisen, dass er Spanien<br />

dauerhaft aus der Krise geholt hat.<br />

WULF SCHMIESE moderiert das ZDF-<br />

Morgenmagazin. Als FAZ-Korrespondent<br />

schrieb er zuvor ein Jahrzehnt lang über<br />

Präsidenten, Kanzler <strong>und</strong> Minister<br />

91<br />

<strong>Cicero</strong> – 1. 2014

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