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Cicero Die 100 Auf- und Absteiger des Jahres (Vorschau)

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Jasmine Golestaneh, 20, ist<br />

nebenberufliche Energieheilerin.<br />

Sie weiß, dass das Irrationale <strong>des</strong><br />

Heilens im krassen Gegensatz zu<br />

ihrem Geschichtsstudium in<br />

Oxford steht<br />

Damon Stang, 30, ist einer von<br />

drei Tarotkartenlesern in Catland,<br />

einem esoterischen Buchladen in<br />

Bushwick. Er gibt weiter, was<br />

„die Mächte da draußen“ ihm<br />

durch die Karten sagen<br />

argumentiert auch Wolfgang H<strong>und</strong> von<br />

der Gesellschaft zur wissenschaftlichen<br />

Untersuchung von Parawissenschaften<br />

im hessischen Roßdorf, die mit den Mitteln<br />

der <strong>Auf</strong>klärung gegen esoterische<br />

Heilslehren <strong>und</strong> ihre Verkünder vorgeht.<br />

„<strong>Die</strong> gesamte Esoterikszene“, sagt H<strong>und</strong>,<br />

„hat sich seit den achtziger Jahren von<br />

den ‚harten‘ Praktiken wie Channeling –<br />

damit ist der Empfang von Botschaften<br />

übernatürlicher Wesen oder Toter gemeint<br />

– <strong>und</strong> Gläserrücken hin zu einer<br />

Art Wellnessbewegung verlagert.“ Esoterische<br />

Praktiken dienen heute dem wohligen<br />

Luxus der Selbsterfahrung.<br />

ZURÜCK NACH BUSHWICK. Drei Tarotkartenleser<br />

arbeiten bei Catland. Nach<br />

dem Besuch der Website <strong>des</strong> Ladens<br />

hatte ich mich für Damon Stang entschieden.<br />

<strong>Auf</strong> dem Bild neben seiner Biografie<br />

schmiegt er sich mit nacktem Oberkörper<br />

neckisch an eine Diskokugel. Als ich den<br />

Laden betrete <strong>und</strong> nach ihm frage, höre<br />

ich ein Schniefen aus einem Verschlag<br />

hinter der Theke. Damon – Mod-Haarschnitt,<br />

große blaue Augen, drei Ketten<br />

aus lila Steinen um den Hals – hat sich<br />

am Vorabend ganz offenbar eine Fahne<br />

angetrunken <strong>und</strong> kurz noch ein Schläfchen<br />

gehalten. Ein bisschen verknittert<br />

bittet er mich in die Bude <strong>und</strong> an den<br />

Tisch <strong>und</strong> legt mir nach einem zehnminütigen<br />

Misch- <strong>und</strong> Abhebe-Ritual mein<br />

Blatt. Immer wieder beugt er sich über<br />

die Karten <strong>und</strong> schaut sie an, als sähe er<br />

die darauf abgebildeten Motive zum ersten<br />

Mal. Wenn ich seinen Aussagen widerspreche,<br />

wird er ein bisschen böse <strong>und</strong><br />

sagt, er gebe nur weiter, was „die Mächte<br />

da draußen“ ihm durch die Karten sagten.<br />

Und das sei Folgen<strong>des</strong>: Ich solle unbedingt<br />

dauerhaft in die USA umsiedeln,<br />

schon bald würde man mir ein sehr gutes<br />

Jobangebot machen, wahrscheinlich<br />

per Mail, <strong>und</strong> in sieben Monaten würde<br />

ich ein großes Liebesglück erleben, mit<br />

einem Mann Ende dreißig.<br />

Bis es dazu kommt, liest mir noch<br />

ein anderer Mann morgens im Bett erst<br />

sein <strong>und</strong> dann mein Horoskop vor, die<br />

er jeden Tag per App auf sein iPhone geschickt<br />

bekommt. Während es bei mir<br />

um Beziehungen geht, wird er darin bestärkt,<br />

in professionellen Dingen auf dem<br />

richtigen Weg zu sein. Der Mann ist Maler,<br />

bereitet gerade eine Ausstellung seiner<br />

Bilder vor <strong>und</strong> sagt, er finde es nett,<br />

jeden Morgen einen Einzeiler über sich<br />

zu lesen.<br />

<strong>Die</strong> App gehört zur 1995 von einer<br />

New Yorkerin namens Susan Miller<br />

gegründeten Horoskope-Website Astrology<br />

Zone. <strong>Die</strong> Seite <strong>und</strong> die App<br />

sind kostenlos, ihr Geld – <strong>und</strong> das ihrer<br />

zwei Dutzend Angestellten – macht<br />

Miller mit Büchern, Vorträgen, Kalendern<br />

<strong>und</strong> Astro-Kolumnen, die in derzeit<br />

zehn verschiedenen internationalen<br />

Modemagazinen erscheinen. Ein<br />

typisches Miller-Horoskop lautet etwa:<br />

„Angesichts der rückläufigen Venus zwischen<br />

21. Dezember <strong>und</strong> 31. Januar sollten<br />

Sie, liebe Jungfrau, Abstand von<br />

Schönheitsoperationen <strong>und</strong> einem neuen<br />

Haarschnitt nehmen. Feiern Sie Silvester<br />

maßvoll. Nach Paris fliegen können<br />

Sie immer noch am Valentinstag, wenn<br />

Venus ihren Orbit wieder geregelt hat.“<br />

Susan Millers Tipps sind konkret, lebenspraktisch<br />

<strong>und</strong> harmlos – ganz im<br />

Gegensatz zu jenen der ehemals auf der<br />

7th Avenue praktizierenden Hellseherin<br />

Sylvia Mitchell. <strong>Die</strong>se wurde Mitte November<br />

wegen schweren <strong>Die</strong>bstahls zu<br />

15 Jahren Haft verurteilt, nachdem sie<br />

für schuldig bef<strong>und</strong>en wurde, zwei ihrer<br />

K<strong>und</strong>innen um 147 000 Dollar erleichtert<br />

zu haben. Sie hatte den Damen erzählt,<br />

ihre krankhafte Bindung an Geld<br />

dadurch heilen zu können, es ihr auszuhändigen<br />

– mit dem Rat: „Sie müssen<br />

lernen loszulassen.“<br />

ANNE WAAK hat sich aus ihrem Berliner<br />

Alltag als freie Autorin für ein paar<br />

Monate nach New York verabschiedet. Sie<br />

schreibt am liebsten über Pop <strong>und</strong> Mode<br />

Anzeige<br />

© Foto Kretschmann: Staatsministerium Baden-Württemberg; Schwennicke, Löwisch: Andrej Dallmann<br />

<strong>Die</strong> Schippe<br />

selber in die<br />

Hand nehmen<br />

Das <strong>Cicero</strong>-Foyergespräch<br />

<strong>Cicero</strong>-Chefredakteur Christoph<br />

Schwennicke <strong>und</strong> <strong>Cicero</strong>-Redakteur<br />

Georg Löwisch im Gespräch mit<br />

Winfried Kretschmann.<br />

<strong>Die</strong>nstag, 25. Februar 2014, 19 Uhr<br />

ZKM Karslruhe,<br />

Lorenzstraße 19, 76135 Karlsruhe<br />

25. FEBRUAR<br />

Winfried<br />

Kretschmann<br />

Tickets:<br />

Kostenfreie Tickets zum Selbstausdruck<br />

ab dem 16.12. 2013 unter www.zkm.de<br />

sowie an der ZKM-Infotheke, Lorenzstr. 19,<br />

76135 Karlsruhe, Di – Fr 10 – 18 Uhr,<br />

Sa/So 11 –18 Uhr.<br />

113<br />

<strong>Cicero</strong> – 1. 2014

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