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Cicero Die 100 Auf- und Absteiger des Jahres (Vorschau)

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TITEL<br />

<strong>Die</strong> Köpfe <strong>des</strong> <strong>Jahres</strong><br />

SALON<br />

AUFSTEIGER<br />

↗<br />

EDGAR REITZ<br />

Von MORITZ RINKE<br />

Der Hunsrück ist weltberühmt. Nicht<br />

durch die Römer, nicht durch die<br />

Franken oder Napoleon, sondern<br />

durch Edgar Reitz. Als der Filmregisseur<br />

1984 seinen ersten Teil der<br />

„Heimat“-Trilogie zeigte, saß ich als<br />

Schüler gebannt vor dem Fernseher<br />

<strong>und</strong> dachte: So etwas muss ich irgendwann<br />

auch einmal mit meiner Heimat<br />

Worpswede machen. Reitz drehte zuerst<br />

in Woppenroth, <strong>und</strong> Woppenroth<br />

war bei Reitz plötzlich nicht mehr nur<br />

Woppenroth, sondern ein Kosmos, ja,<br />

aus Woppenroth wurde das fiktive<br />

Schabbach, ein Weltdorf.<br />

Als ich 25 Jahre später mit „Der<br />

Mann, der durch das Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

fiel“ aus meiner Heimat mein eigenes<br />

Schabbach gemacht hatte <strong>und</strong><br />

ein Kritiker „Heimatroman!“ schrieb,<br />

war ich beleidigt. Hatte Heimatroman<br />

nicht etwas von Heimatfilm, Schmonzette?<br />

Erst kürzlich war ich zu einem<br />

Heimatabend in Bellevue beim B<strong>und</strong>espräsidenten<br />

eingeladen; na klar,<br />

dachte ich, der B<strong>und</strong>espräsident<br />

hatte die Kritik über meinen „Heimatroman“<br />

gelesen <strong>und</strong> nun gehörte<br />

ich zur Zielgruppe für Heimatabende.<br />

Kaum war ich im Schloss, erlebte ich<br />

die größte Heimat-Rehabilitation:<br />

Joachim Gauck erklärte, wie sehr es<br />

Edgar Reitz vermocht habe, uns einen<br />

„der schönsten, kostbarsten <strong>und</strong><br />

meistmissbrauchten deutschen Begriffe“<br />

zurückzugeben. Und plötzlich<br />

stand vor mir ein ganz jung aussehender<br />

älterer Mann auf, umarmte<br />

Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Gefährten <strong>und</strong> sogar<br />

Woppenrother <strong>und</strong> sagte, dass Heimat<br />

nichts anderes sei als „Erzählung“,<br />

ein „Strom von Geschichten“.<br />

Jetzt wusste ich wieder, woher ich<br />

das alles hatte. <strong>Die</strong>ser Edgar Reitz! Eigentlich<br />

ist er ein literarischer Erzähler,<br />

ein filmender Marcel Proust oder<br />

Edgar Reitz ist<br />

ein literarischer<br />

Erzähler, ein<br />

filmender<br />

Marcel Proust<br />

Günter Grass oder Walter Kempowski.<br />

<strong>Auf</strong> jeden Fall ein großes Vorbild.<br />

Er erwähnte in einem Interview,<br />

der neue Film „<strong>Die</strong> andere Heimat –<br />

Chronik einer Sehnsucht“ sei durch<br />

einen Brief einer Krankenschwester<br />

aus Brasilien entstanden. <strong>Die</strong> Frau<br />

habe ihm mitgeteilt, dass sie ihn im<br />

Fernsehen gesehen habe <strong>und</strong> dass<br />

er Ähnlichkeit mit ihrem Chef habe,<br />

der ebenfalls Reitz hieße. Wer solche<br />

Briefe bekommt, muss unbedingt<br />

noch viele Filme drehen!<br />

MORITZ RINKE ist Schriftsteller<br />

<strong>und</strong> Dramatiker <strong>und</strong> stammt aus<br />

Worpswede bei Bremen<br />

Foto: Sandro Bäbler/Ex-Press<br />

38<br />

<strong>Cicero</strong> – 1. 2014

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