Cicero Die 100 Auf- und Absteiger des Jahres (Vorschau)
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SALON<br />
Gespräch<br />
„Franziskus rührt<br />
mit Gesten die<br />
Herzen, Benedikt<br />
tat es mit Worten.<br />
Der unmittelbare<br />
Effekt einer Geste<br />
ist größer“<br />
Franziskus wendet sich gegen eine<br />
„pessimistische Sicht der menschlichen<br />
Freiheit <strong>und</strong> der historischen Prozesse“.<br />
<strong>Auf</strong> den introvertierten Kulturkritiker<br />
folgte der extrovertierte Optimist.<br />
Einspruch! Sie übersehen, dass Benedikt<br />
sehr oft von der Freude <strong>des</strong> Glaubens<br />
gesprochen hat, denn „wer glaubt,<br />
ist nie allein“. Natürlich spielt die unterschiedliche<br />
intellektuelle Formung<br />
<strong>und</strong> Erfahrung eine große Rolle auch in<br />
den geistlichen Schlachten <strong>des</strong> päpstlichen<br />
Alltags.<br />
Kritiker sagen, Franziskus laufe Gefahr,<br />
als Papst, der zu viel plapperte, in die<br />
Geschichte einzugehen. Fast jeden Morgen<br />
hält er eine Predigt im Gästehaus<br />
Santa Marta. Andere stoßen sich an antikapitalistischen<br />
Tönen.<br />
Wir sollten den kurzen ökonomischen<br />
Abschnitt in „Evangelii Gaudium“<br />
nicht überbewerten. Es sind Striche zu<br />
einem Bild, das noch seiner Vollendung<br />
harrt. <strong>Die</strong> lateinamerikanische Erfahrung<br />
hat ihn gelehrt, dass ein radikaler<br />
Kapitalismus zur Verarmung breiter<br />
Schichten führt.<br />
Franziskus nimmt sich viele Freiheiten.<br />
Engen diese Freiheiten den Spielraum<br />
seiner Nachfolger ein? Müsste sich ein<br />
künftiger Papst rechtfertigen, wenn<br />
er ins päpstliche Apartment zieht oder<br />
rote Schuhe bevorzugt?<br />
Papst Franziskus zog nicht in die<br />
päpstliche Wohnung ein, weil sie ihm<br />
zu groß <strong>und</strong> zu „weit weg“, zu abgelegen<br />
schien. Das ist seine persönliche Entscheidung<br />
gewesen. Da habe ich nichts<br />
zu kommentieren. Glauben Sie mir, die<br />
päpstliche Wohnung ist bescheidener<br />
ausgestattet als manches Pfarr-, geschweige<br />
denn Bischofshaus in Deutschland.<br />
Aber Sie haben recht, ich glaube<br />
auch, dass diese Entscheidung in gewisser<br />
Weise eine Konditionierung für die<br />
Zukunft beinhaltet.<br />
In Deutschland ist der Jubel über Franziskus<br />
zuweilen auch der Erleichterung<br />
darüber geschuldet, dass ein Pontifikat<br />
vorbei ist, das vor allem aus Pleiten,<br />
Pech <strong>und</strong> Pannen bestand. Ist diese<br />
Wertung ungerecht?<br />
Sie ist nicht nur ungerecht, sie ist<br />
falsch <strong>und</strong> dumm. Natürlich gab es<br />
Schwierigkeiten, auch Missverständnisse.<br />
Aber acht Jahre als eine große Panne zu<br />
bezeichnen, ist schäbig <strong>und</strong> ehrenrührig.<br />
Im Übrigen bin ich absolut gelassen, was<br />
eine Wertung betrifft: <strong>Die</strong> Geschichte<br />
wird zu gegebener Zeit ihr Urteil fällen<br />
<strong>und</strong> die Wahrheit an den Tag bringen.<br />
Wie lautet die Wahrheit?<br />
Benedikt hat in hohem Alter das<br />
schwierigste Amt der Welt <strong>und</strong> ein nicht<br />
leichtes Erbe angetreten. Er hat all seine<br />
Kräfte, seine Fähigkeiten, seine Erfahrungen,<br />
seine ganze Person in den Petrusdienst<br />
hineingegeben. Schauen Sie auf<br />
die vielen Reisen ins Ausland, die unzähligen<br />
Begegnungen, die Dokumente, sein<br />
geistliches Vermächtnis, das Werk „Jesus<br />
von Nazareth“, <strong>und</strong> Sie erkennen: Benedikt<br />
hat sich verzehrt bis zum Letzten.<br />
Von einer „Diktatur <strong>des</strong> Relativismus“<br />
<strong>und</strong> dem Bestreben, Glaube <strong>und</strong> Vernunft<br />
zu versöhnen, hört man heute<br />
nur wenig.<br />
Da ist Bleiben<strong>des</strong> gesagt worden,<br />
auch wenn im Augenblick beide Thematiken<br />
in den Hintergr<strong>und</strong> gerückt sind.<br />
<strong>Die</strong> Probleme aber bestehen unverändert<br />
weiter. Der Relativismus – von dem<br />
auch Franziskus spricht – ist stark wie<br />
eh <strong>und</strong> je. Und das Binom Glaube/Vernunft<br />
ist eine bleibende <strong>Auf</strong>gabe <strong>und</strong><br />
Herausforderung.<br />
Es waren also acht gute Jahre?<br />
Es waren acht keinesfalls leichte<br />
Jahre für Papst Benedikt <strong>und</strong> acht gute<br />
Jahre für die Kirche <strong>und</strong> die Gläubigen.<br />
Franziskus berührt, weil er gern die<br />
Menschen berührt, sie anfasst. Machen<br />
Sie sich im Rückblick Vorwürfe, dass Sie<br />
Benedikt nicht stärker zu solchen Gesten<br />
animiert haben?<br />
Franziskus hat die Gabe <strong>des</strong> Berührens<br />
<strong>und</strong> auch <strong>des</strong> Berührtwerdens in das<br />
Petrusamt mitgebracht. Benedikt hat sich<br />
damit am Anfang etwas schwergetan,<br />
weil er vom Naturell her eher schüchtern<br />
ist. <strong>Auf</strong> den ersten Blick ist das der vielleicht<br />
größte Unterschied zwischen den<br />
beiden Päpsten: Franziskus rührt mit<br />
Gesten die Herzen, Papst Benedikt tat<br />
es mit Worten. Der unmittelbare Effekt<br />
einer Geste, einer Berührung ist größer.<br />
In der Zukunft wird sich zeigen, ob vielleicht<br />
das Wort, das zum Herzen dringt,<br />
nicht doch bleibende Früchte trägt.<br />
Vorwürfe machen Sie sich also nicht.<br />
Es war nicht meine <strong>Auf</strong>gabe, Anweisungen<br />
zum päpstlichen Leben zu geben.<br />
Ich habe versucht, den Papst in seinem<br />
<strong>Die</strong>nst zu unterstützen, ihm zur Hand zu<br />
gehen, wo immer das möglich <strong>und</strong> nötig<br />
war – nach bestem Wissen <strong>und</strong> Gewissen.<br />
Ich habe höchsten Respekt dafür, dass<br />
Benedikt im Amt seinem Stil <strong>und</strong> seinem<br />
Wesen die Treue hielt.<br />
Viele Menschen fühlten sich durch den<br />
Amtsverzicht vor den Kopf gestoßen.<br />
Darf ein Papst wie ein Politiker oder Manager<br />
den Bettel einfach hinschmeißen?<br />
Das ist eine saloppe Formulierung,<br />
die die Realität nicht trifft. Benedikt hat<br />
den Bettel nicht einfach hingeschmissen.<br />
Freilich gab es Menschen, die enttäuscht<br />
waren, weil sie Papst Benedikt<br />
sehr verehrt haben. Der Schlüssel zum<br />
richtigen Verständnis <strong>des</strong> Amtsverzichts<br />
liegt in den wenigen Worten, die er am<br />
11. Februar 2013 vor den Kardinälen gesagt<br />
hat, <strong>und</strong> in seiner kurzen Ansprache<br />
am Wahlabend auf der Segensloggia am<br />
19. April 2005: Er sei „nur ein einfacher<br />
Arbeiter im Weinberg <strong>des</strong> Herrn“, ein Instrument<br />
also in der Hand <strong>des</strong> Herrn. Und<br />
2013, so sagte er, kam er nach langem<br />
Ringen zur Überzeugung: <strong>Die</strong> ihm vom<br />
Herrn aufgebürdete Last, die schwere<br />
<strong>Auf</strong>gabe kann er nicht mehr länger tragen.<br />
„Heute“ brauche „das Schifflein<br />
Petri“ einen starken Steuermann. Der<br />
Schlüssel zur Deutung liegt nicht im Davonlaufen<br />
aus Unlust oder Enttäuschung,<br />
sondern in der Liebe zum Herrn <strong>und</strong><br />
seiner Kirche.<br />
Foto: Alessandro Pizzi/ SGP für <strong>Cicero</strong> (Seite 120)<br />
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<strong>Cicero</strong> – 1. 2014