1914–2014« - Österreich Journal
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ÖSTERREICH JOURNAL NR. 127 / 03. 02. 2014<br />
Innenpolitik<br />
61<br />
Fotos: SPÖ / Lehmann<br />
Universitätsprofessor Konrad Heinz Liessmann<br />
„Der globalisierte Kapitalismus produziert<br />
wunderbaren Reichtum für wenige,<br />
aber auch Verarmung, Verslumung und Verschmutzung“,<br />
mit diesen Worten leitete<br />
Liessmann seine Rede ein und sprach dabei<br />
die ungerechte Verteilung des Reichtums<br />
weltweit an, aber: „Mit seinen Möglichkeiten<br />
war das 20. Jahrhundert sozial und demokratisch.<br />
Wir haben alle Vorstellungen in uns<br />
aufgenommen und zur Selbstverständlichkeit<br />
werden lassen, die das Thema des sozialdemokratischen<br />
Jahrhunderts definieren:<br />
Wachstum, Gleichheit, Arbeit, Vernunft,<br />
Staat und Internationalismus“, zitierte Liessmann<br />
den Soziologen Ralf Dahrendorf.<br />
„Die Diskussionen aber stellen sich<br />
heute, nach der Krise, ganz anders dar, als<br />
damals, als man geglaubt hatte, der Staat<br />
habe seine Schuldigkeit getan und kann zu<br />
einer kleinen, schlanken Dienstleistungsagentur<br />
seiner Bürger werden. Denn heute<br />
wissen wir: Ohne Staat geht fast gar nichts.<br />
Wie sich Staat und Demokratie zueinander<br />
verhalten, ist eine der brennenden Fragen<br />
unserer Zeit“, betonte Liessmann.<br />
„Demokratie gibt es schon seit 2500<br />
Jahren, aber in unterschiedlicher Gestalt.<br />
Von einer res publica, der wir immer noch<br />
die Grundidee der Demokratie verdanken,<br />
bis zum neuen Parlamentarismus, wo Politik<br />
eine öffentliche, gemeinsame Angelegenheit<br />
ist“, so Liessmann, aber: „Wir beobachten<br />
nicht nur eine Erosion und Schwächung<br />
klassischer Institutionen, sondern überhaupt<br />
die zunehmende Verdrängung des Politischen<br />
durch die Interessen der Ökonomie.<br />
Mit der allgemeinen Mobilität geht ein radikaler<br />
Wandel der politischen Öffentlichkeit<br />
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einher. Diese war geprägt von der Grundstruktur<br />
des 19. Jahrhunderts und knüpfte an<br />
klassische Sozialschichten an. Der Politologe<br />
Franz Walter sagt dazu: Struktur und<br />
Selbstverständnis traditioneller Parteien<br />
haben sich grundlegend gewandelt.“<br />
„Die Sozialdemokratie ist in einem Milieu<br />
verankert, das sie grundlegend gestaltet<br />
hat“, sagte Liessmann und verwies auf die<br />
Einrichtungen der Sozialdemokratie: Arbeiterbildungsstätten,<br />
Volkshochschulen sowie<br />
einer „Arbeiter-Zeitung“. „All das sollte ein<br />
Lebensgefühl ermöglichen, das den einzelnen<br />
Mitgliedern und Anhängern dieser Partei<br />
Möglichkeiten offeriert, innerhalb dieses sozialen<br />
Milieus Karrieren verfolgen zu können.<br />
Solch eine Partei hatte ihren Mitgliedern<br />
mehr zu bieten als einmal alle paar Jahre<br />
in einer Wahlzelle ein Kreuz zu machen“,<br />
so Liessmann.<br />
Die moderne Chancengesellschaft ohne<br />
Kontext zur sozialdemokratischen Solidarität<br />
wäre eine ziemlich kalte, betonte Liessmann.<br />
„Chancengleichheit muß hergestellt<br />
werden, aber in der Chance liegt auch das<br />
Menetekel des Scheiterns. Man kann immer<br />
auch verlieren. Wer hier nicht mithalten kann,<br />
hat rundum und ein für alle Mal verloren.<br />
Wir kennen das Problem der Langzeitarbeitslosen<br />
und das der Leiharbeiter“, denn „Es<br />
stellt sich immer dringlicher die Frage, ob<br />
das Konzept der Lohnarbeit für die Lebens-,<br />
und Überlebensmöglichkeit der Menschen<br />
überhaupt ausreicht“, betonte Liessmann.<br />
„Die Frage nach dem Staat ist heute<br />
immer auch die Frage, welche Mittel und<br />
Wege staatlichem Handeln noch zur Verfügung<br />
stehen, um ordnungspolitische Aufgaben<br />
zu erfüllen und Regeln zu definieren und<br />
zu setzen. Denn der Staat soll den Menschen<br />
nicht nur ihre Freiheit garantieren, sondern<br />
diese auch davor schützen, daß alle Lebensbereiche<br />
den Prinzipien des Marktes bzw.<br />
den Interessen monopolähnlicher Marktbeherrscher<br />
unterworfen werden. Wie lange<br />
kämpfen wir schon um die Finanztransaktionssteuer<br />
und wie schwer ist es, so etwas<br />
einfaches, vernünftiges und nachvollziehbares<br />
gegen Minderheiten durchzusetzen?“, so<br />
Liessmann und weiter: „Man soll eine sinnvolle<br />
Grenze zwischen Markt und Gesellschaft<br />
suchen. Dinge, auf die Menschen<br />
einen Rechtsanspruch haben, können nicht<br />
alleine den Märkten überantwortet werden“,<br />
sagte Liessmann.<br />
Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek, JG-Katharina Kucharowits und ÖGB-<br />
Präsident Erich Foglar