Erziehung zur Gleichstellung - Bundesministerium für Unterricht ...
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Sprache<br />
Es ist <strong>für</strong> jede Person essentiell wichtig, von anderen Personen wahrgenommen, beachtet und in ihrer Identität 70<br />
bestätigt zu werden. Wir sind irritiert, wenn wir von Leuten, die uns persönlich kennen, mit falschem Namen<br />
angesprochen werden; wir ertragen es schwer, wenn das ärztliche oder pflegende Personal im Krankenhaus<br />
über uns als "die gebrochene Zehe auf Zimmer 7" oder "die beidseitige Lymphdrüsenentzündung" spricht.<br />
Sprachwissenschaftliche Theorien betonen die gegenseitige Abhängigkeit von Sprache und Denken bzw.<br />
Bewusstsein. Sprache ist eingebunden in die Gesellschaft: zum einen entwickelt sie sich in Abhängigkeit von den<br />
jeweiligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Gegebenheiten. Zum anderen prägt Sprache auch die<br />
Wahrnehmung, das Denken und Handeln der Sprechenden. Wie wir die Welt sehen, hängt entscheidend auch<br />
davon ab, wie sie sprachlich strukturiert ist (so kennen z.B. die Inuits ca. 20 Bezeichnungen <strong>für</strong> Schnee).<br />
Sprache und Wandel<br />
Sprachliche und außersprachliche Realitäten hängen zusammen, sind ineinander verwoben und beeinflussen<br />
sich gegenseitig. Betrachten wir das Auftauchen neuer Wörter im allgemeinen Sprachschatz: Hätten wir vor<br />
wenigen Jahren von Tamagochi oder Pokémon gehört, hätten wir genauso ungläubig den Kopf geschüttelt wie<br />
unsere Eltern über Teflon und unsere Vorfahren über Elektrizität – heute benutzen wir diese Wörter, ohne uns zu<br />
wundern.<br />
Sprachwandel und Veränderung sind weniger 'natürlich', als von Interessen abhängig – jüngstes Beispiel ist die<br />
'neue Rechtschreibreform'. Sprachwandel wirkt auf das Bewusstsein und trägt damit unmittelbar <strong>zur</strong> Veränderung<br />
der sozialen Welt bei. Umgekehrt bewirkt eine Veränderung der sozialen Gegebenheiten eine Veränderung der<br />
Sprache. So ist es heutzutage politisch nicht korrekt, von Negerinnen und Negern zu sprechen, verwendet<br />
werden die Bezeichnungen Schwarze oder Afro-Amerikaner/innen. Ebenso verhält es sich mit den Roma und<br />
Romnia, den Sinti und Sintica und den Inuit (früher Eskimos).<br />
Veränderungen bezüglich der Rollen von Frauen und Männern in der Gesellschaft finden sich jedoch nicht in<br />
entsprechendem Ausmaß in der Sprache abgebildet. Im Gegenteil:<br />
- Ableitungen von weiblichen Bezeichnungen scheinen Männern nicht zumutbar zu sein – oder kennen<br />
Sie einen "Krankenbruder", einen "Zimmerburschen"?<br />
- Der Vergleich mit weiblichen Eigenschaften kann <strong>für</strong> Männer abwertend wirken – "Er heult wie ein<br />
Weib." Die Bezeichnung eines Mannes mit einem Femininum wird als Degradierung empfunden –<br />
Landeshauptfrau-Stellvertreter.<br />
70 "Identifiziertwerden ist (...) die Voraussetzung <strong>zur</strong> Gewinnung einer Identität, die wiederum Voraussetzung <strong>für</strong><br />
psychisches, soziales, wenn nicht sogar biologisches Überleben ist" (Pusch 1984, S. 24).<br />
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