Ausblick und Perspektiven 78 86 92 96 Freiberuflichkeit im Spannungsfeld sozialstaatlicher Bindungen Die Zukunft der Heilberufekammern im Spiegel der europäischen Entwicklung Zahnarzt der Zukunft: Generalist oder Spezialist? Kammer – Selbstverwaltung der Zahnärzte | 77
Die Freiberuflichkeit des Zahnarztes im Spannungsfeld sozialstaatlicher Bindungen 78 | Das Berufsbild des Zahnarztes im System der Freien Berufe Der Zahnarzt als Freier Beruf im Sozialstaat bezeichnet eine berufs-, gesundheits- und sozialpolitische Problemstellung, die trotz jahrzehntelanger politischer, rechts- und sozialwissenschaftlicher Diskussionen unter einer Flut gesetzgeberischer Aktivitäten im Gesundheits- und Sozialwesen nichts an Aktualität eingebüßt hat und bei jeder Gesundheitsreform erneut auf dem Prüfstand steht. Das <strong>50</strong>-jährige Bestehen der <strong>Landeszahnärztekammer</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> gibt erneut Anlass, sich mit der Rolle des Arztes und Zahnarztes in ihrer Ambivalenz zwischen freiberuflicher Eigenverantwortung und zunehmend restriktiver werdenden sozialstaatlichen Bindungen zu befassen. Dabei sind die Einwirkungen des Berufsund Vertragsarztrechts auf die Berufsausübung, die vielfältigen Determinanten des medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritts, das sich wandelnde orale Morbiditätspanorama, die komplexen gesundheitsökonomischen Bestimmungsfaktoren und nicht zuletzt die sich entwickelnde Dimension einer europäischen Sozialunion zu berücksichtigen. Die viel beschworene Kernfrage, ob der Arzt oder Zahnarzt insbesondere in seiner Erscheinungsform als Vertrags(zahn-)arzt noch ein Freier Beruf ist, begegnet von vornherein der Schwierigkeit einer gewissen begrifflichen Unschärfe eines Freiberuflichkeitsverständnisses, das in seiner Genese nicht juristischer, sondern soziologischer Natur ist. Ein solches berufssoziologisches Vorverständnis der Freiberuflichkeit liegt sowohl der für die Freien Berufe übergreifenden Gesetzgebung, zum Beispiel des Steuerrechts, als auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Grunde, soweit sie den Zahnarzt als Freien Beruf im Sozialstaat verortet. Normative, insbesondere grundrechtliche Schranken für staatliche Eingriffe und Statusbestimmungen des Zahnarztes als Freier Heilberuf durch den Gesetzgeber ergaben sich bisher nicht aus dem Rechtsgehalt der Freiberuflichkeit, sondern den allgemeinen Schrankenvorbehalten und grundgesetzlichen Gewährleistungen, insbesondere der Berufsfreiheit des Art. 12 GG, der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 GG), dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) oder der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) sowie rechtsstaatlichen Kriterien, wie dem Verhältniskeits- oder Vertrauensschutzprinzip. Der Begriff der Freiberuflichkeit in seiner Vieldeutigkeit und Unschärfe ist dadurch gekennzeichnet, dass er berufssoziologisch höchst unterschiedliche Berufs- bilder und Berufstypen aggregiert und sowohl gegenüber gewerblichen Implikationen als auch Selbstständigkeitskriterien und staatlicher Einbindung schwer abzugrenzen ist. Sowohl teilweise gewerblich ausgerichtete Berufe, wie die Apotheker, als auch staatlich Beliehene, wie Notare, werden zu den Freien Berufen gezählt. Freie Berufe, können in angestellter oder selbstständiger Form oder in Kombination von beiden Ausübungsformen praktiziert werden: § 1 der Bundesärzteordnung und § 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung definieren den Arzt oder Rechtsanwalt als Freien Beruf, dessen Tätigkeit kein Gewerbe ist, unabhängig davon, ob er in freiberuflicher Niederlassung oder als Angestellter, zum Beispiel als Krankenhausarzt oder als Syndikusanwalt, praktiziert wird. Der „Dichtegrad“ der öffentlich-rechtlichen Einbindung Freier Berufe ist ebenfalls höchst unterschiedlich: Neben weitgehend „staatsfreien“ Freiberuflern, wie Künstlern und Publizisten, stehen staatlich gebundene Berufe, wie zum Beispiel Rechtsanwälte, die vom Gesetz als „unabhängiges Organ der Rechtspflege“ bezeichnet werden (§ 1 BRAO), Apotheker, denen nach dem Apothekengesetz die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung obliegt, oder Ärzte und Zahnärzte, die nach der Bundesärzteordnung und dem Zahnheilkundegesetz bei der Ausübung ihres Berufes der medizinischen Versorgung der Bevölkerung ebenfalls in staatliche Sozialpflichten eingebunden sind. Den höchsten Dichtegrad öffentlich-rechtlicher Einbindung weisen Freie Berufe auf, die wie zum Beispiel Notare oder öffentlich bestellte Vermessungsingenieure mit staatlichen Hoheitsfunktionen beliehen sind, sodass ihre Freiberuflichkeit durch die Indienstnahme für Staatsfunktionen weitgehend öffentlich-rechtlich überlagert ist. Schließlich zeigt die Debatte um die Zulässigkeit von Werbeverboten und gesellschaftsrechtlichen Formen der Berufsausübung Freier Berufe die Probleme einer Abgrenzung zur Vergewerblichung, die auch vor dem Berufsbild des Zahnarztes in seinen verschiedenen Ausübungsformen als Privatzahnarzt, als Vertragszahnarzt, als Hochschullehrer oder Angestellter öffentlicher Institutionen nicht Halt macht. Besonders der Status des Vertragszahnarztes muss sich vor dem Hintergrund der Systembedingungen der GKV und seiner zunehmenden Funktionalisierung für die Zwecke der sozialen Krankenversicherung auf seine Freiberuflichkeit befragen