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Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg 50 Jahre ... - Lzk Bw

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und legitimen persönlichen Wünschen des Patienten im Einzelfall<br />

nicht entspricht, oder eine Leistung zu beschaffen, die<br />

gleichsam ein sozialstaatliches „ultra posse“ darstellt, weil sie<br />

in einer Disproportionalität zur jeweiligen finanziellen Leistungsfähigkeit<br />

der Krankenkasse steht.<br />

Gerade auch beim Zahnersatz mit seinen vielfältigen Wahlmöglichkeiten<br />

und Versorgungsformen musste der Gesetzgeber<br />

die unzulängliche Flexibilität öffentlich-rechtlicher Anspruchsnormierung<br />

anerkennen und die Möglichkeit eröffnen, dass<br />

der Versicherte nicht nur den Eigenanteil (§ 30 Abs. 2 SGB V),<br />

sondern für aufwändigere Versorgungsformen die Mehrkosten<br />

selbst zu tragen hat (§ 30 Abs. 3 SGB V). Das Gleiche gilt für<br />

Zahnfüllungen (§ 28 Abs. 2 S. 2 SGB V). Wie ausgeprägt das<br />

Beharrungspotential des Sachleistungsprinzips im deutschen<br />

Sozialversicherungsrecht ist, beweist die Neuregelung des<br />

Zahnersatzes im „Gesetz zur Modernisierung des Gesundheitssystems“<br />

(GMG) vom 1. Januar 2004, durch das befundorietierte<br />

Festzuschüsse zum Zahnersatz vorgesehen sind. Andererseits<br />

wird durch den Regelungsentwurf das starre Korsett<br />

der Sachleistung mit seiner Alles-oder-Nichts-Beschränkung<br />

gesprengt, weil der Versicherte, wenn er sich für aufwändigere<br />

gleich- oder andersartige Versorgungsformen entscheidet, den<br />

Festzuschuss in diese Versorgungsform „mitnimmt“.<br />

Der weitgehende Ausschluss der Privatautonomie im Sachleistungsprinzip,<br />

die Herauslösung konstituierender Gestaltungskomponenten<br />

des Vertragstypus, nämlich Leistung und Gegenleistung<br />

aus der Vertragsbeziehung zwischen Zahnarzt und<br />

Patient, zerreißt das duale Schuldverhältnis als synallagmatisches<br />

Regelungsgefüge und Gestaltungseinheit und wirft<br />

darüber hinaus bedeutsame Fragen des Selbstverständnisses<br />

(zahn-)ärztlicher Berufsausübung im System der Gesetzlichen<br />

Krankenversicherung auf: Der für privatrechtliche Vertragsverhältnisse<br />

charakteristische Konsens wird bereits auf öffentlichrechtlicher<br />

Ebene antizipiert, nämlich in den Beziehungen<br />

Versicherter/Krankenkassen einerseits und Krankenkasse/<br />

Kassen(zahn-)ärztliche Vereinigung/Kassenarzt andererseits.<br />

Die Sachleistungsgewährung und das Arzt-Patienten-Verhältnis<br />

werden damit gekennzeichnet von der Anonymität und<br />

Intransparenz der Leistungsbeziehung. Die öffentlich-rechtliche<br />

Präformierung des Behandlungsverhältnisses wird aber<br />

der Vertrauensbeziehung zwischen (Zahn-)Arzt und Patient,<br />

in die elementare Rechtsgüter wie Persönlichkeitsrechte,<br />

körperliche Integrität usw. eingebracht werden, nicht gerecht.<br />

Der Arztvertrag hat mehr zu regeln als die bloße Kostenfrage,<br />

er betrifft Aufklärung und Einwilligung ebenso wie Wahl- und<br />

Selbstbestimmungsrechte oder Mitwirkungspflichten des<br />

Patienten. Angesichts der Grundrechtssensibilität der beteiligten<br />

Rechtsgüter und der Rechte-Pflichten-Relation im<br />

Kassenarztrecht müssen auch im Arzt-Patienten-Verhältnis die<br />

konstitutiven Elemente des Privatvertrages erhalten bleiben.<br />

Gerade der für seine individuelle Lebensplanung eigenverantwortliche<br />

Patient kann in seiner Persönlichkeitsentfaltung nicht<br />

so weit eingeschränkt werden, dass er auf anonyme Leistungsbeziehung<br />

verwiesen ist. Die Wiederbelebung privatvertraglicher<br />

Elemente innerhalb und außerhalb des Sachleistungssystems<br />

und seine Eingrenzung auf die Leistungsbereiche,<br />

die der sozialen Schutzfunktion der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />

gerecht werden, ist eine rechtsstaatliche Aufgabe,<br />

die der Subjektstellung von (Zahn-)Arzt und Patient Rechnung<br />

trägt und der individualrechtlichen Prägung des Behandlungsverhältnisses<br />

gerecht wird.<br />

Haftungs- und europarechtliche Inkompatibilitäten<br />

Sie ist darüber hinaus erforderlich, um eine Kollision (zahn-)<br />

ärztlicher Pflichten im Spannungsfeld unterschiedlicher Anforderungen<br />

aufzulösen, die einerseits das an ökonomischen<br />

Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitskriterien ausgerichtete<br />

öffentlich-rechtliche Vertragsarztrecht, andererseits das am<br />

allgemeinen wissenschaftlich-medizinischen Standard orientierte<br />

zivilrechtliche Haftungsrecht an den (Zahn-)Arzt stellen:<br />

Im Sachleistungsprinzip des SGB V darf der Vertrags(zahn-)<br />

arzt neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur anwenden,<br />

wenn der Bundesausschuss der Ärzte bzw. Zahnärzte<br />

und Krankenkassen diese Methoden anerkannt hat; gemäß<br />

zivilrechtlichem Arzthaftungsrecht hat der Vertrags(zahn-)arzt<br />

die Pflicht, seine Behandlung nach eigener Prüfung an den<br />

aktuellen medizinisch- wissenschaftlichen Standards auszurichten.<br />

Es besteht also ein ungelöstes Konfliktpotential<br />

zwischen der sozialversicherungsrechtlichen Wirtschaftlichkeitsanforderung<br />

(§ 12 Abs. 1 S. 2 SGB V) und dem zivilrechtlichen<br />

Haftungsmaßstab. Eine weitere Inadäquanz des<br />

Sachleistungsprinzips als leistungsrechtliches Handlungsforum<br />

betrifft die Europakompatibilität der Sachleistung.

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