Ein weiterer Großtrend, <strong>der</strong> auf <strong>den</strong> ersten Blickeher negative Wirkungen auf die Entwicklung<strong>der</strong> Wirtshausbesuche in Bayern hat, ist die Individualisierungin unserer Gesellschaft. Dochdieser grundlegende Prozess <strong>der</strong> sozialen Verän<strong>der</strong>ungbietet an<strong>der</strong>erseits durchaus Chancenfür die <strong>Wirtshauskultur</strong> in Bayern: Mit <strong>der</strong>Individualisierung geht vielfach einher, dassimmer mehr Menschen unter zunehmen<strong>der</strong>Einsamkeit lei<strong>den</strong>, was für Wirtshäuser alsklassische Orte <strong>der</strong> sprichwörtlichen Geselligkeitund <strong>bayerischen</strong> Gemütlichkeit durchausChancen eröffnet. Diese müssten allerdingsgeschickt und mit guten Ideen und Konzeptengenutzt wer<strong>den</strong>.Anteil in %40302010038,2 %29,9 %24,3 %11,3 %um 19001950Anteil <strong>der</strong> Landwirtschaftan <strong>den</strong> Erwerbstätigen2,5 %1,2 %1,6 %0,7 %20002010Anteil <strong>der</strong> Landwirtschaft an<strong>der</strong> WertschöpfungQuelle: Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten <strong>der</strong>Bundesrepublik Deutschland 2010Abb. 6.5 | Erwerbstätige sowie Wertschöpfung in <strong>der</strong> Land -wirtschaft in Deutschland im zeitlichen VergleichEntschei<strong>den</strong>d sind aber auch die ökonomischenRahmenbedingungen, <strong>den</strong>en das gesamteGastgewerbe nicht nur in Bayern unterliegt.Generell gilt für <strong>den</strong> ländlichen Raum,<strong>der</strong> nach wie vor stark und trotz jüngerer Entwicklungenz.B. im Energiebereich traditionellstark agrarisch genutzt wird, dass die makroökonomischeBedeutung <strong>der</strong> Landwirtschaftals Segment unserer Wirtschaft seit Jahrzehntenrückläufig ist. Das lässt sich zum einenam prozentualen Anteil <strong>der</strong> Erwerbstätigen in<strong>der</strong> Landwirtschaft als auch am prozentualenAnteil dieses Sektors an <strong>der</strong> Wertschöpfunginsgesamt in Deutschland festmachen. BeideIndikatoren sind seit langem stark rückläufig(vgl. Abb. 6.5). Zum an<strong>der</strong>en kann aus <strong>der</strong> Relation<strong>der</strong> bei<strong>den</strong> Säulenhöhen in <strong>der</strong> Abbildunggeschlossen wer<strong>den</strong>, dass die Landwirtschaftaus makro-ökonomischer Perspektive als eineher unproduktiver Sektor betrachtet wer<strong>den</strong>muss.Diese Aspekte sind im Kontext einer weiterengrundlegen<strong>den</strong> makro-ökonomischen unddamit schwer verän<strong>der</strong>baren Problematik zusehen: Die Nachfrage nach landwirtschaftlichenErzeugnissen in hochentwickelten Län<strong>der</strong>nwie Deutschland reagiert in aller Regelunelastisch auf steigende Einkommen undmehr Wohlstand. Mit zunehmen<strong>den</strong> Einkommenund wachsendem Wohlstand wer<strong>den</strong> in<strong>der</strong> Ten<strong>den</strong>z und im Gegensatz zu industriellenGütern nicht mehr, son<strong>der</strong>n in Relationzu an<strong>der</strong>en Ausgaben zunehmend wenigerlandwirtschaftliche Produkte, im wesentlichen70 | Genuss mit Geschichte?
Nahrungsmittel und Getränke, nachgefragtund konsumiert (vgl. Abb. 6.6).Anteil in %605040302010046,7 %43,5 %38,0 %29,4 %um 1900 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010Anteil <strong>der</strong> Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittelam privaten Konsum 1900–2010Quelle: Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten <strong>der</strong>Bundesrepublik Deutschland 2002Abb. 6.6 | Anteil <strong>der</strong> Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittelam privaten Konsum zwischen 1900 und 2010Zu diesen übergreifen<strong>den</strong> makro-ökonomischenStrukturelementen, die wesentlicheRahmenbedingungen für die Entwicklung <strong>der</strong><strong>Wirtshauskultur</strong> nicht nur in Bayern bil<strong>den</strong>,kommen mikro-ökonomische Aspekte hinzu,die ebenso als wichtige Einflussgrößen auf dierückläufige Zahl <strong>der</strong> Wirtshäuser in Bayern betrachtetwer<strong>den</strong> müssen. Die Berechnungenauf Basis eines Betriebsvergleiches, <strong>der</strong> 2008durchgeführt wurde, sind zwar schon etwasälter, sie lassen aber eine Problematik, die vorallem die Schankwirtschaften als traditionelleDorfwirtshäuser betrifft, sehr klar zu Tagetreten. In diesem Betriebsvergleich (vgl. dwif2010) wird angeführt, dass man im Jahr 2008 in23,9 %21,7 %15,9 %13,9 %Bayern 5.093 Schankwirtschaften zählte, waseinem Anteil von 17,4% aller <strong>bayerischen</strong> Gastronomiebetriebeentsprach. Im Vergleich dazulag <strong>der</strong> Gesamtumsatz getränkegeprägter Formendes Gaststättengewerbes in Höhe von915 Mio. EUR bei lediglich 12,7 % des Umsatzes,<strong>der</strong> vom Gastronomiegewerbe in Bayerninsgesamt erwirtschaftet wurde. Bereits aus<strong>der</strong> Relation <strong>der</strong> bei<strong>den</strong> Zahlenangaben kann<strong>der</strong> Schluss gezogen wer<strong>den</strong>, dass Schankwirtschaftenbzw. die getränkegeprägten Formendes Gastronomiegewerbes insgesamt als vergleichweisewenig rentabel zu betrachten sind.In dem Betriebsvergleich wird diese Aussagedurch weitere Hinweise unterstützt. Nach <strong>den</strong>Ergebnissen des Betriebsvergleichs lag 2008<strong>der</strong> durchschnittliche Gewinn pro Betriebsstundebei <strong>den</strong> Schankwirtschaften in Bayerngerade einmal 2,52 EUR. Im Vergleich dazubelief sich <strong>der</strong> Gewinn pro Betriebsstunde ineiner an<strong>der</strong>en getränkegeprägten Form desGaststättengewerbes – bei <strong>den</strong> Bars, Tanz- undVergnügungslokalen – mit 7,85 EUR auf mehrals das Dreifache. Lediglich 25% <strong>der</strong> erfasstenSchankwirtschaften konnten bezüglich ihrerWirtschaftlichkeit ein befriedigendes Ergebniserzielen. So verwun<strong>der</strong>t es nicht, dass in<strong>der</strong> <strong>Studie</strong> geschlussfolgert wird: „Nur die umsatzstärkerenund erfolgreich wirtschaften<strong>den</strong>Schankwirtschaften erzielen ein ausreichendesEinkommen. In <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Fälle sind siekaum in <strong>der</strong> Lage, <strong>den</strong> Lebensunterhalt <strong>der</strong> Inhaberfamiliezu sichern“ (ebd.: 110).<strong>Wirtshauskultur</strong> im Wandel | 71
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wie noch zu zeigen sein wird, was g
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hört zu, gibt Rat ohne zu bevormun
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Alle eintreffenden Hinweise wurden
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