7 | SchlussbetrachtungDie bisherigen Ausführungen haben deutlichwer<strong>den</strong> lassen, dass die Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Wirtshauskultur</strong>in Bayern durchaus differenziertzu betrachten ist. In jedem Fall ist Skepsis gegenübereiner allzu reißerischen Verwendungdes Schlagworts vom ‚Wirtshaussterben’ angebracht.Wie in vorliegen<strong>der</strong> <strong>Studie</strong> aufgezeigt wer<strong>den</strong>konnte, bietet die amtliche Gastgewerbestatistikkeine zufrie<strong>den</strong>stellende, weil nichtausreichend präzise, umfassende und allgemeingültigeDefinition von ‚Wirtshaus’ o<strong>der</strong>‚Kneipe’. Der Typus <strong>der</strong> Schankwirtschaft, <strong>der</strong> in<strong>der</strong> amtlichen Statistik verwendet wird und für<strong>den</strong> sich tatsächlich ein zum Teil dramatischerRückgang <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Betriebe in Bayernnachweisen lässt, entspricht zwar in etwa einemWirtshaus‚ deckt aber nicht alle Segmentegetränkeorientierter Gastronomiebetriebe ab.Des Weiteren ist zu beachten, dass die statistischeErfassung <strong>der</strong> Betriebe auf dem Konzeptdes steuerpflichtigen Umsatzes beruht undhierfür bestimmte Abschneidegrenzen gelten.Es wer<strong>den</strong> also nicht alle Betriebe erfasst.Zudem müssen aus <strong>der</strong> Statistik wegen <strong>der</strong>Abschneidegrenze herausfallende Betriebekeineswegs Opfer des ‚Wirtshaussterben’ seino<strong>der</strong> zu solchen wer<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n können in<strong>der</strong> Realität nach wie vor als Wirtshaus existieren– es sei <strong>den</strong>n, Wirt o<strong>der</strong> Wirtin beschließenaus Rentabilitätsgrün<strong>den</strong>, <strong>den</strong> Betrieb einzustellen,was dann eine echte Marktbereinigungdarstellen würde.Schließlich besteht für jede Schankwirtschaftdie Möglichkeit, das Betriebskonzept zu än<strong>der</strong>nund z.B. zu einem speisenorientiertenGasthaus zu wer<strong>den</strong>. In diesem Fall würde,statistisch betrachtet, die Kategorie <strong>der</strong> getränkeorientiertenGastronomiebetriebe einenBetrieb verlieren – und somit das ‚Wirtshaussterben’verstärken. Die Kategorie <strong>der</strong> speisenorientiertenGastronomie würde dagegeneinen Betrieb hinzugewinnen.Nicht zuletzt anhand dieses Aspekt ist in vorliegen<strong>der</strong>Untersuchung die Frage aufgeworfenwor<strong>den</strong>, ob sich die <strong>Wirtshauskultur</strong> in Bayernwirklich in einem <strong>der</strong>maßen negativen Trendbefindet, dass das Schlagwort vom ‚Wirtshaussterben’tatsächlich angebracht erscheint.Denkbar war ja, dass sich hinter <strong>der</strong> zahlenmäßignegativen Entwicklung vor allem für dieSchankwirtschaften, wie sie in Teilkapitel 4 <strong>der</strong>vorliegende <strong>Studie</strong> aufgezeigt wer<strong>den</strong> konnte,ein Prozess des Wandels und <strong>der</strong> Erneuerung<strong>der</strong> <strong>Wirtshauskultur</strong> in Bayern in Anpassungan die verän<strong>der</strong>ten Bedürfnisse <strong>der</strong> Menschenim 21. Jahrhun<strong>der</strong>t verbirgt. Denkbar war an<strong>der</strong>erseitsauch, dass es sich um einen echten72 | Genuss mit Geschichte?
Prozess <strong>der</strong> Marktbereinigung handeln könnte,<strong>der</strong> aus <strong>den</strong> in Teilkapitel 6 aufgezeigten mikro-und makro-ökonomischen Grün<strong>den</strong> möglicherweiseunvermeidlich ist.Jenseits dieser Überlegungen und <strong>der</strong> durchauswichtigen Diskussion über die Modalitäten<strong>der</strong> statistischen Erfassung sowie <strong>der</strong> damitverbun<strong>den</strong>en Probleme musste auch in vorliegen<strong>der</strong>Untersuchung eine Antwort auf dieFrage gefun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>, was <strong>den</strong>n genau untereinem <strong>bayerischen</strong> Dorfwirtshaus zu verstehenist und wie sich dieses, wissenschaftlichhaltbar, definieren lässt.Wie bereits dargestellt, ist es üblich, Wirtshäuserals eine stark „getränkegeprägte Form desGaststättengewerbes“ (dwif 2010: 105) zu betrachten.Sie wer<strong>den</strong> <strong>der</strong> Kategorie <strong>der</strong> Schankwirtschaftenzugeordnet wer<strong>den</strong>, bieten keineBeherbergung an und liegen, dem Charaktereines Dorfwirtshauses entsprechend, nicht imurbanen Raum. Ihr Hauptumsatzbereich ist <strong>der</strong>Getränkeverkauf.Diese Definition lag zu Beginn auch <strong>der</strong> vorliegen<strong>den</strong>Untersuchung zu Grunde. Sie mussteimmer dann schrittweise aufgegeben bzw.erweitert wer<strong>den</strong>, wenn, wie sich zeigte, in an<strong>der</strong>en<strong>Studie</strong>n zur Thematik zusätzlich zu <strong>den</strong>Schankwirtschaften auch die speisenorientiertenGaststätten <strong>der</strong> Kategorie Wirtshaus zugeordnetwur<strong>den</strong> (Hümmer 1980, Perlinger 2011,Zwerenz 2013).Ein weites Feld also, das umso größer zu wer<strong>den</strong>scheint, je mehr Personen nach ihrer Vorstellungvon einem Wirtshaus gefragt wer<strong>den</strong>.Ist <strong>der</strong> Typus des <strong>bayerischen</strong> Dorfwirtshausesein gesellschaftliches Konstrukt, dessen enormeVielfalt sich in <strong>den</strong> Vorstellungen <strong>der</strong> Menschenganz unterschiedlich wi<strong>der</strong>spiegelt undin <strong>der</strong> Realität ein buntes, facettenreiches Bil<strong>der</strong>gibt? Wie oben gezeigt wer<strong>den</strong> konnte, liefertauch die amtliche Statistik keine eindeutigeAntwort und definiert nicht o<strong>der</strong> bestenfallsannhäherungsweise, was genau unter einem<strong>bayerischen</strong> Dorfwirtshaus zu verstehen ist.Dennoch – es gibt eine Reihe von Indikatorenmit deutlichen Hinweisen auf <strong>den</strong> Prozess des‚Wirtshaussterbens’ und zwar auf allen räumlichenMaßstabsebenen! Deutschlandweit ist<strong>der</strong> Trend klar: Die Schankwirtschaften, diedem Typus Wirtshaus noch am besten gerechtwer<strong>den</strong>, nehmen stark ab. Im bundesweitenVergleich ist das Ausmaß <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung inBayern fast so gravierend wie in Nordrhein-Westfalen, wo vor allem die sog. Eckkneipenin großer Zahl wegbrechen. Legt man für Bayerndie Anzahl <strong>der</strong> Steuerpflichtigen im Wirtschaftszweig<strong>der</strong> Schankwirtschaften zu Grunde,hat sich <strong>der</strong>en Zahl zwischen 1980 undheute um etwa 45% reduziert.Nach Regionen differenziert ist <strong>der</strong> Rückgang<strong>der</strong> getränkeorientierten Wirtshäuser überallfeststellbar, doch stärker sind Schwaben, Unterfrankenund Oberbayern betroffen. Dortgibt es 2011 – zum aktuellsten Stand <strong>der</strong> amt-<strong>Wirtshauskultur</strong> im Wandel | 73
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hört zu, gibt Rat ohne zu bevormun
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Alle eintreffenden Hinweise wurden
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