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Devran_Kommunikation_Sprache_und_soziales_Milieu_2013 ... - IDS

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‛Heimarbeit’ – Ein Kind ist kein Unglück 113Eder schreibt in seiner Arbeit zur Geschichte der Sexualität über das sexuelleVerhalten in der Arbeiterschaft:In einem <strong>Milieu</strong>, in dem man wenig über Zuneigung <strong>und</strong> Liebe, geschweigedenn expressiv über sexuelle Dinge sprach, waren sexuelle Erfahrungen einwichtiger Bestandteil der emotionalen <strong>Kommunikation</strong> <strong>und</strong> gleichzeitigdie Triebkraft für körperliche Nähe <strong>und</strong> die Entstehung eines Wir-Gefühls.[...] Männer werden als ihr eheliches Recht einfordernd, teilweise gewalttätig,[...] wenig kooperativ beschrieben. Mit dem Impetus des Familienernährers[...] stellten die Arbeiter ihre eigenen emotionalen <strong>und</strong> sexuellenBedürfnisse über die ihrer Ehefrauen. 77Nach einer längeren (Denk-)Pause reagiert Willy <strong>und</strong> fragt, ob sie die Ehepflichternsthaft verweigert Willst nix wissen von mir (20). Sie bestätigt das,indem sie ihre Begründung wiederholt: Wenn ich putzt hab, bin ich müde (21).Diese kleine Sequenz führt wieder die Spezifik des Sprechens miteinandervor: Das Wichtige bleibt verkürzt in formelhaften Formulierungen. Willy argumentiertnicht, sondern zieht den Schluss: Das ist eine Ehe, wo man suchenmuß (22). Mit dieser Formel kategorisiert er seine Ehe als anormal <strong>und</strong> demScheitern nahe.Interessant an dieser Sequenz ist, dass Willy <strong>und</strong> Martha, während sie auf derInhaltsebene einen Dissens bearbeiten, auf der Ausdrucksebene gemeinsamein komplexes Verfahren zur sozialen Kategorisierung durchführen. DiesesVerfahren wurde in der soziolinguistischen Forschung – am Beispiel von ArbeiterInnenin Mannheim – als spezifisch für dieses <strong>Milieu</strong> beschrieben: 78 Einerfallbezogenen Äußerung folgt eine Äußerung im Regelformat <strong>und</strong> dannals Abschluss des Kategorisierungsprozesses eine allgemeine Formel. Im Kahätten,so waren sie nicht imstande, das Problem rational anzugehen <strong>und</strong> ihre Kinderaufzuklären.“77Eder (2002, S. 182) führt in seinem Buch ‘Kultur der Begierde’ einen gesellschaftlichen <strong>und</strong>kulturellen Überblick über die Sexualgeschichte im deutschsprachigen Raum vom 17. bisins 20. Jahrh<strong>und</strong>ert vor, darunter sind von Bedeutung die sexuellen Äußerungen <strong>und</strong> Praktikender bäuerlichen Bevölkerung <strong>und</strong> der städtischen Arbeiterschaft. Vgl. dazu auch Rosenbaum(1992, S. 200): „Sexualität war sehr stark ein Privileg der Männer, mit dem sie ihrePosition in Ehe <strong>und</strong> Familie unter Beweis zu stellen vermochten.“78Vgl. dazu Keim (1995, Kapitel 5 <strong>und</strong> 6). Hier wird die formelhafte Argumentationsstruktur<strong>und</strong> der Prozess der sozialen Kategorisierung der unteren Sozialschichten am Beispiel der„Filsbachwelt“ (einem Mannheimer Arbeiterviertel) dargestellt: 1. Schritt: Thematisiertwird ein Ereignis bzw. Erlebnis einer Person, 2. Schritt: durch wenn-dann-Formel wird gezeigt,dass die Person in der Regel so handelt, 3. Schritt: Generalisierung über eine allgemeineFormel, 4. Schritt: Kategorisierung bzw. soziale Typisierung.

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