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Immer frisch auf den Tisch: Wo gekocht wird, gibt es<br />
frittiertes Hühnchen oder frittiertes Hühnchen …<br />
Bolivien<br />
Ich atme durch, fasse meinen ganzen<br />
Mut zusammen und fahre in Schrittgeschwindigkeit<br />
am Lastwagen vorbei. Bloß<br />
nicht runterschauen. Bloß nicht! Wie weit es<br />
da wohl runtergeht? Hilfe! Noch nie habe<br />
ich in einen so garstigen Abgrund geschaut.<br />
Mindestens 300 Meter! Steil bergab. Die<br />
Schrittgeschwindigkeit, der Blick nach unten<br />
und diese riesige Angst in mir lassen das<br />
Motorrad kurz instabil werden. Ich besinne<br />
mich, gebe Gas und zische zwischen Lkw<br />
und Abgrund durch. Danach bin ich echt<br />
fertig, zittere am ganzen Körper. Aber Dani<br />
fährt schon wieder weiter . . .<br />
Die Etappe zieht sich immer länger.<br />
Wir kommen nur langsam voran, tun uns<br />
schwer mit dem Staub, den Abgründen,<br />
den rücksichtslosen Lastwagenfahrern. Sie<br />
bremsen nicht für kleinere Fahrzeuge, also<br />
sollte man stets darauf gefasst sein, ganz<br />
spontan einen Ausweichplatz ansteuern zu<br />
müssen. Überlebenswichtig, gerade dann,<br />
wenn man rechts am Abgrund fährt und<br />
die Lkws links an der Wand. Das kostet Zeit<br />
– und Kraft. Bis nach Tarija ist es heute nicht<br />
mehr zu schaffen. Zum Glück gibt es einen<br />
kleinen Ort auf halber Strecke. Und 20 Kilometer<br />
davor wirbt ein großes Plakat für<br />
das Hotel Plaza ebendort. Wir sind gerettet!<br />
Ein Ort, ein Hotel, bis zum Dunkelwerden<br />
erreichbar, was will man mehr?!?<br />
Ein Zimmer in diesem Hotel – zum Beispiel.<br />
Aber es ist leider völlig ausgebucht,<br />
etliche Bohrtrupps haben sich einquartiert.<br />
Sie suchen in diesem Teil Boliviens nach<br />
allem, was sich zu Geld machen lässt. Mineralien,<br />
Metall, Gas … Der Hotelbesitzer will<br />
nicht, dass wir in Schlafsäcken im Innenhof<br />
übernachten. Er empfiehlt uns eine Eco-<br />
Lodge, etwa zehn Kilometer flussaufwärts.<br />
Wir müssen uns sputen, es wird gleich<br />
dunkel. Im letzten Licht biegen wir mit drei<br />
vor uns fahrenden Allrad-Pick-ups von der<br />
Hauptpiste nach rechts ab in einen Feldweg,<br />
der an einer reißenden Furt endet.<br />
Mit weißer Gischt überspült das Wasser die<br />
Hauben der hochbeinigen Toyotas. Mit den<br />
Motorrädern haben wir gar keine Chance<br />
durchzukommen, da steht uns das Wasser<br />
gleich bis zum Hals! Auf der anderen Seite<br />
sehen wir in mittlerweile schwarzer Nacht<br />
die Lichter der Lodge hoch oben am Hang.<br />
Wir schnappen uns das Nötigste an Gepäck<br />
und kämpfen uns zu Fuß durch diese<br />
reißende Strömung. Mit den Motorrädern<br />
wären wir jetzt sicher schon irgendwo 50<br />
Meter weiter flussabwärts …<br />
Wieso kann es nicht einfach mal an<br />
einem Tag glattlaufen? Nach dieser Horrorstrecke<br />
will ich einfach nur noch in die Koje.<br />
Stattdessen kämpfe ich mich in dunkler<br />
Nacht mit vollem Gepäck durch sprudelndes<br />
kaltes Wildwasser. Es steht mir bis zur Hüfte,<br />
klitschnass ist gar kein Ausdruck.<br />
96 LEBEN<br />
3/<strong>2016</strong>