K Ü N S T L E R Auf einen Kaffee mit ... VALERY TSCHEPLANOWA VON PATRICK WILDERMANN FOTO: PATRICK WILDERMANN 12 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – Juli – <strong>August</strong> 20<strong>19</strong>
Die deutsche Schauspielerin und Sängerin Valery Tscheplanowa (*<strong>19</strong>80) wurde im sowjetrussischen Kasan geboren. Sie spielt – gern auch in männlichen Rollen – auf den großen deutschen Bühnen, in Frank Castorfs Faust- Inszenierung an der Berliner Volksbühne sogar in drei Rollen. Nun gibt sie bei den Salzburger Festspielen neben Tobias Moretti die Buhlschaft. <strong>CRESCENDO</strong>: Frau Tscheplanowa, könnten Sie mit jemandem befreundet sein, der einen wirklich miesen Musikgeschmack hat? Valery Tscheplanowa: Nein! Wobei sich natürlich die Frage stellt: Was ist das, richtig mieser Geschmack? Das, was Sie dafür halten. Für mich ist das alles Undefinierte, alles, was im Dazwischen verbleibt – Easy Listening also. Was hat Sie musikalisch geprägt? Ich war als junge Frau die Partnerin eines Komponisten, Samir Odeh-Tamimi. Ein klassischer, mittlerweile bekannter Komponist. Über ihn bin ich in die Neue-Musik-Szene reingewachsen. Als ich 16 oder 17 war, hing ich mit Klaus Huber oder Younghi Pagh-Paan rum – und schrieb Odeh- Tamimis Noten ab, weil er noch kein Geld hatte, um jemanden damit zu beauftragen. Ich konnte sie zwar nicht lesen. Aber sie abzuzeichnen, das ist ja nicht schwer. Also keine russischen Einflüsse? Doch. Im Alter zwischen 12 und 15, als ich schon in Deutschland lebte, hatte ich die russische Sprache vergessen, sie war komplett verschwunden. Und durch Lieder habe ich sie wiedergefunden, russische Romanzen größtenteils. In fast allen Theaterinszenierungen spielt Musik auf irgendeine Art eine Rolle. Hatten Sie schon mal eine Auseinandersetzung mit der Regie über den passenden Song? Ich habe ja viel gesungen auf der Bühne, zwischenzeitlich fast in jeder Inszenierung. Ja, es gab auch Auseinandersetzungen. Einige Arbeiten waren komplett auf Musik gebaut, zum Beispiel die Inszenierungen von Philipp Preuß, Die bitteren Tränen der Petra von Kant oder Alice im Wunderland. Preuß ist ein Regisseur, der nicht so extrem führt. Die Fassung von Alice war damals 120 Seiten lang, die musste ich mir als Spielerin selbst zurechtschneiden. Und genau so üppig waren seine Musikvorschläge. Durch die musste ich mich hacken wie durch einen Dschungel! Ein besonders glücklicher Moment mit Musik auf der Bühne? Den hatte ich mit den Liedern von Franz Schubert in Frank Castorfs Faust-Inszenierung. Drei Sonnen, Der Wanderer, Der Tod und das Mädchen, alles a cappella, das hat mir sehr gefallen. Als Russin berührt es mich auf ganz besondere Weise, in einer Faust-Inszenierung Der Wanderer zu singen. Eine Begegnung von Seele zu Seele, traue ich mich mal zu sagen. Der Gesang ist in mir schon eher russisch. Mich mit diesen deutschen Liedern verorten zu können, war wie ein Ankommen in der Musik. Auf eine andere Art habe ich das auch in Zement so erlebt. Der Heiner-Müller-Inszenierung des Regisseurs Dimiter Gotscheff, mit dem Sie ebenfalls viel gearbeitet haben. In der Inszenierung habe ich russische Lieder gesungen. Teilweise aus meinem Dorf, Lieder, die ich von meiner Großmutter kannte. Gottscheff wollte in den Proben wissen, woran ich mich aus der Kindheit noch erinnere, und hat das eingebaut. Haben Sie eine Art Soundtrack, den Sie in der Garderobe hören, bevor Sie auf die Bühne gehen? WENN SCHON EIN BISSCHEN WODKA GEFLOSSEN IST, FANGE ICH AN ZU SINGEN UND NÖTIGE AUCH DIE ANDEREN DAZU Nein, da mag ich die Stille. Sie haben schon als Jugendliche Gesangs- und Tanzabende für reiche Ärzte und Anwälte veranstaltet. Wie kam es dazu? (lacht) Wo haben Sie das denn ausgegraben? In einem alten Porträt über Sie. Also, mein Vater ist Mathematiker, und ich war gut in Mathe. Deswegen boomte die Nachhilfe! Ich machte Mordskohle, weil so viele Mitschülerinnen gerne von einem Mädchen unterrichtet werden wollten. Eine dieser Nachhilfeschülerinnen hatte ich mich singen gehört und ihrer Mama davon erzählt. Und die kam auf die Idee, dass ich bei ihr im Wohnzimmer vor reichen Gästen einen Abend veranstalten sollte. Also habe ich Lieder gesungen, getanzt, Gedichte vorgetragen und Malerei von mir gezeigt. Drei- oder viermal habe ich das gemacht. Später, während des Studiums in Dresden, wurden Sie dann eine singende Kellnerin ... Das war auch totaler Zufall! Ich habe als Kellnerin in einem russischen Restaurant gearbeitet, weil es mir am vertrautesten erschien. Dort trat ein Akkordeonist auf, ich kannte das Lied, das er spielte, und habe dazu gesungen. Den Gästen gefiel das. Dann stieß noch eine Flötistin dazu, die vorschlug: Lasst uns eine Gruppe gründen. Daraus wurden „Die Sinnverwandten“. Ich habe Essen serviert, bin runter auf die Bühne und habe gesungen, dann wieder Bier gezapft. Immer abwechselnd. Das hat mir das Kellnern enorm erleichtert. Und es floss viel Trinkgeld. Das Publikum des Restaurants bestand größtenteils aus Bauarbeitern und Bauunternehmern. Es gab Wodka, Schaschlik ... Warum ging es mit den „Sinnverwandten“ zu Ende? Weil ich mit <strong>19</strong> nach Berlin gezogen bin, um Puppenspiel zu studieren. In Dresden hatte ich diese Gruppe, habe Ausstellungen veranstaltet, es schrieben schon Zeitungen über mich. Ich war dabei, mir in der Underground-Szene einen Namen zu machen, aber meine Mutter meinte: Du musst studieren. Lern was Anständiges! Hatten Sie nie den Impuls, professionell Musik zu machen? Die Dichtersprache hat mich angezogen. Einen Schiller, einen Kleist zu spielen ist für mich etwas anderes, als ein Lied zu singen. Erinnern Sie sich noch an andere Momente, auch abseits der Bühne, in denen Musik Ihnen das Leben erleichtert hat? Unzählige. Ich habe auch die Angewohnheit, Leute zum Singen zu zwingen, davon gibt es einige Aufnahmen auf meinem Handy! Wenn ich Gäste habe und schon ein bisschen Wodka geflossen ist, fange ich an zu singen und nötige dann auch die anderen dazu. Erstaunlich, was dabei alles wieder hochkommt, an Kindheitsliedern vor allem. Ist das Singen für viele schambehaftet? Sagen wir so: Es ist in Russland normaler zu singen. Ein Klischee, aber auch wahr. Wenn man zusammensitzt, gehört es dazu, dass man irgendwann singt. Das ist in Deutschland nicht so. Am ehesten in Bayern vielleicht. Dabei können viele Menschen wunderbar singen und kennen tolle Lieder. ■ 13