K Ü N S T L E R Z VERRÜCKT NACH BARTÓK … aber offen für alles. Die Violinistin Fabiola Kim macht sich auf, eine der ganz Großen ihres Fachs zu werden. Weil ihr die Geige nicht nur Flügel verpasst, sondern weil sie selbst gestalten und neue Werke individuell zum Klingen bringen will. wei, die nicht von ihrer Seite weichen: ihre Stradivari und ihr Hund Captain, ein weiß gelockter, struppig-kuscheliger Bichon Frisé mit klugen Kulleraugen. Fabiola Kim ist ein neuer Name im Kreis der Herausragenden ihres Fachs: für jede Herausforderung offen, wendig, von spielerischer Eleganz und beeindruckender Repertoirevielfalt. Die Violinistin Fabiola Kim ist auf dem Weg in die Spitzenklasse. Sie bekommt Flügel, wenn sie spielt, weiß elektrisierend die Spannung zwischen den Tönen hörbar zu machen, streicht mit schwelgender Dynamik und bestechender Klarheit. Geboren in New York, beginnt Fabiola Kim mit viereinhalb Jahren Geige zu spielen. Mit fünf kehrt sie mit ihren koreanischen Eltern zurück nach Seoul. Ihr Mutter ist Violinistin, ihr Vater Pianist, Dirigent und in Korea ein angesehener Professor. Ihre Eltern fördern sie, raten ihr aber ab, da raus einen Beruf zu machen – zu schwierig, zu steil und mühsam sei der Weg. Kim lässt sich nicht abhalten, spielt, übt und gewinnt zahlreiche Wettbewerbe. „Was mich von Anfang an fasziniert hat, ist, dass die Geige nur vier Saiten hat. Ich fragte mich immer, woher nur all die Töne kommen, all die Klangfarben – und da wusste ich, ich will nur eins: Geige spielen. Meine Mutter war überhaupt nicht begeistert und fragte, warum ich nicht Klavier lernen wolle, dann könnte mein Vater mich unterrichten.“ Fabiola Kim lacht: „Aber ich antwortete, dass ich das Klavier eigentlich nicht mag.“ Die Mutter zeigte sich einverstanden, stellte aber eine Bedingung: Fabiola könne das Geigespielen lernen, müsse aber auch ein wenig Klavier spielen. Und wieder lacht sie: „Immer wenn mein Klavierlehrer kam, versteckte ich all meine Noten und sagte, ich wüsste nicht, wo sie sind, und spielte einfach irgendwas. Als wir eines Tages umzogen, fanden die Möbelpacker all meine ‚verlorenen‘ Klaviernoten unter meinem Bett.“ Die Weichen waren gestellt, die Geige wurde ihr Instrument. Ihre Lieblingskomponisten sind Schubert, Beethoven und Mozart. Mit sieben konzertiert sie mit dem Seoul Philharmonic Orchestra und wird beim Seoul Philharmonic Orchestra’s Concerto Competition die jüngste Preisträgerin, seit es diesen Wettbewerb gibt. Mit 13 zieht sie wieder nach New York, absolviert mit Bravour die Juilliard School. Ihr Repertoire wächst, Kim spielt Bach ebenso wie Berio, widmet sich Schönberg, Wieniawski und Ysaÿe: „Zeitgenössische Musik ist für mich interessant, weil die Gepflogenheiten fehlen, wie man so etwas zu spielen hat. Es gibt diese Regeln nicht. Wie oft hört man, Heifetz spielte das so und so und Gerede dieser Art. Aber es liegt doch an einem selbst, wie man spielt, die eigenen Kenntnisse sind gefragt. Man kann seine eigenen Erfahrungen nutzen, seine eigene Vorstellungskraft einbringen und das zum Klingen VON STEFAN SELL „SIE IST LAUNISCH! UND ES GIBT TAGE, DA WILL MEINE STRADIVARI EINFACH NICHT SPIELEN“ bringen, was den individuellen Möglichkeiten entspricht – um etwas zum Leben zu erwecken, was die meisten eben noch nicht gehört haben. Mozart war damals auch zeitgenössischer Komponist, und Komponisten müssen gespielt werden, damit sie Gehör finden.“ Einen besonderen Bezug hat Kim zu Bartók: „Ich bin ein großer Fan. Als meine Mutter mit mir hochschwanger war, unterrichtete sie Bartók, die beiden Sonaten und die Solosonate. Ich glaube, deshalb bin ich so verrückt nach Bartók: Ich verstehe seine Sprache.“ Nun erscheint ihr Debütalbum mit Violinkonzerten von Bartók, Walton und Hartmann, allen gemeinsam das Entstehungsjahr <strong>19</strong>39, so auch der Titel der CD, die sie mit den Münchener Symphonikern unter der Leitung von Chefdirigent Kevin John Edusei eingespielt hat. Alle Beteiligten waren von der Zusammenarbeit begeistert: „Wir hatten zuvor nur ein Konzert miteinander, hatten also eine ganze frische Beziehung. Aber es hat sofort klick gemacht und wir wussten schnell, was jeder wollte. Das Orchester und Kevin sind sehr flexibel und aufgeschlossen, und ich denke, ich bin es auch. Es war ein wirklich gutes Zusammenspiel, wir sind uns nahegekommen und hatten auch nach den Aufnahmen Zeit miteinander. Zudem hatte das Orchester auch die Geduld, verschiedene Sachen einfach auszuprobieren. Alle waren mit ganzem Herzen dabei.“ Man hört den wohltuend frischen Wind ihrer eigenen Ideen und die spielfreudige Bereitschaft des Orchesters, sie zu tragen. Ist es wahr? Sie spielt eine Stradivari? „Ja, eine späte Stradivari von 1733 von einem privaten Sammler. Es ist fantastisch. Ich spiele sie seit einigen Jahren und entdecke jeden Tag neue Klänge. Sie hat einen ganz außergewöhnlich schönen Ton, ist aber auch kompliziert, launisch – es gibt Tage, da will sie einfach nicht spielen.“ Heute lebt die 28-Jährige in Los Angeles und lehrt neben ihrer umfangreichen Konzerttätigkeit an der Colburn School. „Ich bin von New York nach L.A. gezogen, um nach meinem Abschluss an der Juilliard School hier an die Colburn School zu gehen. Das ist eine relativ junge Schule, sie existiert seit etwa 15 Jahren, klein, mit etwa 100 Studenten, aber vielen Fachbereichen. Das Besondere an ihr: Sie ist frei für die Studenten.“ Nach ihren Träumen und Visionen gefragt, sagt sie: „Ich will spielen, spielen, spielen – so viel ich kann. Ich liebe es aufzutreten und möchte, dass alle Menschen Zugang zur klassischen Musik haben, nicht nur die reichen in den Logenplätzen. Privat wünsche ich mir eine Farm, eine eigene Farm für alle Tiere, die kein Zuhause haben.“ Sieht so aus, als bekäme Captain bald Gesellschaft. n „<strong>19</strong>39“: Fabiola Kim, Kevin John Edusei (Solo Musica) FOTO: CHRISTINE SCHNEIDER 22 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – Juli – <strong>August</strong> 20<strong>19</strong>
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