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CRESCENDO 4/19 Juni-August 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Gidon Kremer, Augustin Hadelich, Benjamin Schmid und Maurice Steger.

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Concerto Copenhagen<br />

Beglückend lyrisch<br />

Elverskud (Erlkönigs Tochter) gehört zur Gruppe jener romantischen Konzertstücke,<br />

die mit sehnsüchtigen Tönen die unglückliche Begegnung von Menschen<br />

mit Elementargeistern oder ruhelosen Toten malen. Niels W. Gades von ihm<br />

mehrfach verbessertes Opus steht auf gleicher künstlerischer Höhe wie die<br />

Schöne Melusine Mendelssohns, dessen Nachfolger als Gewandhauskapellmeister<br />

er war, oder Dvořáks Geisterbraut. Elverskud wurde 2006 in den nationalen<br />

Kanon des dänischen Kulturministeriums aufgenommen. Die hier betörend<br />

schön gesungene Kantate von Herrn Oluf, der nach der Begegnung mit der<br />

dunkelhaarigen Tochter des Erlkönigs stirbt, ist ein beglückend lyrisches Tonpoem,<br />

zumal wenn sie so stilkundig ausgeführt wird wie von Concerto Copenhagen.<br />

Gades Fünf A-cappella-Gesänge sind eine stimmungsvolle Ergänzung und<br />

zeigen, dass es weitaus mehr Berührungspunkte zwischen Leipzig und Edvard<br />

Grieg gibt, als gemeinhin bekannt. DIP<br />

Niels W. Gade: „Erlkönigs Tochter“, Sophie Junker, Ivonne Fuchs,<br />

Johannes Weisser, Danish National Vocal Ensemble, Concerto<br />

Copenhagen, Lars Ulrik Mortensen (DaCapo)<br />

Track 10 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: So oft mein Auge die<br />

Fluren schaut<br />

Mariss Jansons<br />

Warmtönige Klangpracht<br />

Für eine Extraportion Romantik ist man doch nie zu alt. Das gilt auch für<br />

Mariss Jansons, der mit seinem BR-Symphonieorchester auf dem hauseigenen<br />

Label diesen sinfonischen Doppelpack geschnürt und damit eine Lücke seiner<br />

Diskografie gefüllt hat. Beide Werke liegen auf der CD als technisch hochklassige<br />

Konzertmitschnitte vor und zeigen das Orchester in seiner ganzen warmtönigen<br />

Klangpracht und musikalischen Beredsamkeit. Jansons lässt die Musik<br />

wunderbar fließen und verbindet akribische Detailarbeit mit dem Gespür<br />

fürs Ganze, den großen Spannungsbogen. Vor allem der Schubert begeistert<br />

durch die Synthese von romantischer Fülle und klassizistischer, fast tänzerischer<br />

Eleganz. In Schumanns B-Dur-Sinfonie entfalten die Mittelsätze eine poetisch-schwärmerische<br />

Intensität, die an Tschaikowsky erinnert, lediglich in den<br />

Ecksätzen könnte man sich etwas mehr Drive und Spontanität vorstellen. FS<br />

Robert Schumann: „Symphonie Nr. 1“, Franz Schubert: „Symphonie<br />

Nr. 3“, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Mariss<br />

Jansons (BR Klassik)<br />

Track 1 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Sinfonie Nr. 1 B-Dur, op. 38<br />

„Frühlingssinfonie“. I. Andante un poco maestoso – Allegro molto<br />

vivace – Animaro. Poco a poco stringendo von Robert Schumann<br />

Howard Shelley<br />

Vergessene Wunderkinder<br />

„Musik aus Chopins Zeit“, so heißt eine Reihe an Veröffentlichungen des Fryderyk<br />

Chopin Institute, die sich vorgenommen hat „verlorene Schönheit“ wiederzuentdecken.<br />

Jetzt erscheint in dieser Reihe eine besonders hörenswerte Aufnahme:<br />

Pianist und Dirigent Howard Shelley widmet sich Werken von Jósef<br />

Władysław Krogulski (1815-1842) und Franciszek Lessel (ca.1780 - 1838). Beide<br />

Chopin-Zeitgenossen wurden als große Begabungen gefeiert, gerieten aber in<br />

Vergessenheit. Krogulski, als „polnischer Mozart“ bekannt, studierte bei Józef<br />

Elsner, der auch Chopin ausbildete. Als er sein erstes Klavierkonzert selbst aufführte,<br />

war er gerade einmal 15 Jahre alt. Die Parallelen zu Chopins Stil sind<br />

nicht zu überhören. Auch Lessel wurde von Elsner als „Komponist von Genialität“<br />

geschätzt. Sein Adagio et rondeau à la polonaise wird sogar als Vorbild für<br />

Chopins Andante spianato et grande polonaise brillante gehandelt. Charmant und<br />

mit perlendem Klavierklang präsentiert Shelley diese<br />

großen Werke und überzeugt den Hörer durch sein<br />

präzises, feinfühliges Spiel von der noch zu wenig<br />

bekannten Musik. SK<br />

Jósef Władysław Krogulski und Franciszek Lessel, Howard Shelley,<br />

Sinfonia Varsovia, Howard Shelley (Naroddowy Institute Fryderyka<br />

Chopina)<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

Kirill Gerstein<br />

Piano monumental<br />

Als „Wolkenkratzer-Konzert“ hat Ferruccio Busoni sein <strong>19</strong>04 komponiertes<br />

und selbst uraufgeführtes Klavierkonzert bezeichnet, in ironischer<br />

Anspielung auf dessen Monumentalität: Mit den fünf Sätzen<br />

und einer Spieldauer von über 70 Minuten stellt Busoni nicht nur das<br />

klassische Formkonzept eines Solistenkonzerts auf den Kopf, sondern<br />

sucht durch das Chorfinale auf einen Text aus Adam Gottlob<br />

Oehlenschlägers Erlösungsdrama Aladdin auch Anschluss an sinfonische<br />

Traditionen. Der Pianist Kirill Gerstein hat mit dem Boston<br />

Symphony Orchestra und den Männern des Tanglewood Festival<br />

Chorus unter der Leitung von Sakari Oramo eine überzeugende und<br />

auf Transparenz setzende Aufnahme vorgelegt, ein Livemitschnitt<br />

eines Konzerts von 2017 in der Symphony Hall von Boston. Begleitet<br />

wird die Aufnahme von einem luxuriösen wie informativen Booklet<br />

mit Essays von den renommierten Busoni-Forschern Albrecht Riethmüller<br />

und Larry Sitsky. FA<br />

Finnish Radio Symphony Orchestra<br />

Orchestrale Wucht<br />

Ferrucio Busoni: „Piano<br />

Concerto op. 39“, Kirill<br />

Gerstein, Boston Symphony<br />

Orchestra, Sakari Oramo<br />

(myrios classics)<br />

Die Werke von Bernd Alois Zimmermann haben auch Jahrzehnte<br />

nach dessen Tod nichts von ihrer Brisanz verloren. Ihre musikalische<br />

Relevanz ist aktuell wie zur Zeit ihrer Uraufführung, ihre Faszination<br />

und Authentizität haben nichts von ihrer ursprünglichen Qualität eingebüßt.<br />

Mehr noch als manche Werke aktueller Zeitgenossen lassen<br />

Werke wie die hier eingespielten Photoptosis und die Vokalsinfonie<br />

Die Soldaten in Abgründe blicken. Sie berühren, ja erschüttern. Das<br />

Finnish Radio Symphony Orchestra unter Hannu Lintu reizt diese<br />

beiden Werke Zimmermanns vollends aus. Mit unbändiger orchestraler<br />

Wucht, aber auch feinem Klangsinn zeichnen die Musiker ebenso<br />

monströse Klangeruptionen wie feinste Verästelungen der hochkomplexen<br />

Partituren nach. Das frühe Violinkonzert, das durchaus noch<br />

Einflüsse von Klassikern der Moderne wie<br />

Strawinsky oder Schostakowitsch ahnen lässt,<br />

wird von Leila Josefowicz mit großartigem<br />

Aplomb gespielt. GK<br />

Bernd Alois Zimmermann: „Violin Concerto“, „Photoptosis“<br />

u. a., Leila Josefowicz, Finnish Radio Symphony Orchestra,<br />

Hannu Lintu (Ondine)<br />

37<br />

FOTO: MARCO BORGGREVE

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