H Ö R E N & S E H E N FOTO: MARCO BORGGREVE GESANG Julian Prégardien Berührende Schönheit „You’re still young, that’s your fault / There’s so much you have to know“, sang Cat Stevens in Father and Son. Nicht bei Julian Prégardien, dem Sohn des großen lyrischen Tenors. Bei gemeinsamen Aufnahmen wissen sie oft nicht, wer da gerade singt, weil ihre Stimmtimbres einander so ähneln. Auch Julian ist ein Meister der Modulation, verfügt über unendliche Nuancen, um jeden Charakter, jede Stimmungsveränderung Vers für Vers auszuloten – Heinrich Heines feine Ironie zwischen den Zeilen von Schumanns opp. 24 und 48 mit Momenten berührender Schönheit wie beim Vater. Julians Interpretation allerdings geht von den Erkenntnissen historisch informierter Praxis (Neuausgabe von Hansjörg Ewert) aus und seiner Intuition. „Wahrscheinlich würde Schumann manche meiner Änderungen zurückweisen. Andere würden ihn jedoch zum Grübeln bringen, hoffe ich“, schreibt er im Booklet. „Er hat eine sehr starke und glückliche Persönlichkeit“, sagt der Vater. TPR Robert Schumann: „Dichterliebe“, Julian Prégardien, Sandrine Piau, Éric Le Sage (Alpha) Track 4 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Am leuchtenden Sommermorgen NEUE WELTEN Der Komponist Jóhann Jóhannsson entzog sich Zeit seines Lebens der simplen Einordnung und kultivierte in seinen Kompositionen den stilistischen Grenzgang. Wie vielfältig und klangsinnlich das gelang, zeigt diese hochwertig aufbereitete Edition mit frühen Werken des 2017 verstorbenen Komponisten. Klassische Formen, elektronische Klänge, sinfonische Passagen und Elemente der Minimal Music fließen kunstvoll ineinander und lassen Jóhann Jóhannsson Faszinierende Grenzgänge Klangbilder von suggestiver Dichte und Melancholie entstehen. Die Edition umfasst sechs Werke des Komponisten, darunter viele Filmmusiken, außerdem einen ausführlichen Begleitband. Ein faszinierend dichtes Erlebnis für all jene, die Jóhannssons vielschichtiges Werk posthum noch intensiver entdecken möchten. DW Jóhann Jóhannsson: „Retrospective I“ (DG) Helmut Deutsch Wahrhaftig ergänzen Im Schatten des Sängers – das scheint das Schicksal des Liedbegleiters zu sein. „Bin ich zu laut?“, schmunzelte Gerald Moore, der langjährige Begleiter von Dietrich Fischer-Dieskau in seiner Biografie, sekundiert von Roger Vignoles’ Lied The Battle Hymn of the Accompanist (auf YouTube zu sehen). Auch der legendäre Hermann Prey, mit dem Helmut Deutschs Karriere in den <strong>19</strong>80er-Jahren begann, verstand sich als „Chef“, um ihm dann zu sagen: „Das klingt so dämlich; mach doch was draus!“ Und Deutsch „machte“, erfasste, wie ein Radar, jede Nuance des Sängers, jede Empfindung und Bewegung, um ihn mit „seiner“ Stimme wahrhaftig zu ergänzen, im Wissen, dass die Gleichberechtigung zwischen Sänger und Begleiter keine politisch gesellschaftliche, sondern eine rein musikalische Frage ist. Amüsant lesen sich Deutschs „politisch unkorrekte“ Bemerkung, er kenne keinen, der zeitgenössische Musik gerne singe, und kaum jemanden, der sie mag, und andere Wahrheiten. TPR Helmut Deutsch: „Gesang auf Händen tragen. Mein Leben als Liedbegleiter“ (Henschel) BUCH Christian Thielemann Daumenkino Wäre dieser Bildband nicht so prächtig und, ja, auch mächtig, wäre man wohl wirklich versucht, die Seiten schnell durch die Finger gleiten zu lassen, um Christian Thielemann unmittelbar beim Dirigieren zu „erleben“. Man tut aber gut daran, sich Zeit zu nehmen für dieses Porträt in Bildern. Ungewöhnlich nahe kommt man dem Künstler, obwohl kein einziges privates Foto enthalten ist, sondern lediglich ein Motiv in unzähligen Varianten: Beseelt, ergriffen, fröhlich, wütend, verbissen – keine Gefühlsregung fehlt in diesem Kaleidoskop der Leidenschaften, das der Fotograf Lois Lammerhuber klug zusammengestellt hat. Er war der Erste, der Thielemann während einer laufenden Aufführung aus dem Bayreuther Graben mit der Kamera begleiten durfte. Thielemann selbst erzählt dazu ausgesprochen unterhaltsam von sich und seiner großen Passion: dem Dirigieren. BS Christian Thielemann: „Dirigieren/Conducting“, Clemens Trautmann, Lois Lammerhuber (Edition Lammerhuber) Cornelia Funke Eine mystische Reise „Da, hört ihr das? […] Engel. Sie kommen, um die Alpträume zu jagen, die die Dunkelheit gebiert und um das Licht der Sterne zu ernten.“ So beginnt die neue Geschichte der berühmten Kinderbuchautorin Cornelia Funke. Ein Engel in der Nacht handelt von zauberhaften Wesen, die ein Mädchen mit gebrochenem Herzen heilen wollen. In mehreren Dimensionen wird der Zuhörer auf eine mystische Reise geschickt: Funkes angenehme Stimme, stets begleitet vom Cellisten Matt Haimovitz und seinem Uccello Ensemble, wechselt ab mit Musik von Luna Pearl Woolf und Wiegenliedern aus der ganzen Welt. Zusätzlich finden sich in der CD-Box zehn liebevoll illustrierte Kärtchen, die dem Zuhörer eine visuelle Vorstellung von Rahmiel, dem Engel der Nacht, und Luna, dem Mädchen mit dem gebrochenen Herzen geben. Ein geheimnisvolles, wunderbar detailreiches Projekt. Bei diesem Hörerlebnis ist das Einschlafen erlaubt – oder vielleicht auch ein schöner Tagtraum? SK Cornelia Funke, Luna Pearl Woolf: „Ein Engel in der Nacht“, Matt Haimovitz, Uccello Ensemble (Pentatone) HÖR- BUCH 40 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – Juli – <strong>August</strong> 20<strong>19</strong>
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