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CRESCENDO 4/19 Juni-August 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Gidon Kremer, Augustin Hadelich, Benjamin Schmid und Maurice Steger.

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Interviews unter anderem mit Gidon Kremer, Augustin Hadelich, Benjamin Schmid und Maurice Steger.

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L E B E N S A R T<br />

Über allem „Sehen und Gesehenwerden“<br />

des Festspielpublikums thront die Burg<br />

fernt. Danach spendierte sie dem Jungen<br />

beim „Balkangrill“ eine „Bosna“, eine<br />

besonders gewürzte Bratwurst mit Weißbrot,<br />

Zwiebel und gehackter Petersilie,<br />

die in Salzburg einen regelrechten Kultstatus<br />

hat. Es war ohnehin keine einfache<br />

Zeit für den Jungen, der sich auf der<br />

Grundschule schwer mit dem Salzburger<br />

Dialekt tat und sich nach Wien sehnte –<br />

dort hatte die Familie vorher gelebt. Da<br />

die Förderung seiner Begabung bald<br />

wichtiger als die Schule wurde, verbrachte<br />

er immer mehr Zeit am Mozarteum<br />

bei seiner Professorin Irmgard Gahl. „Ich verdanke ihr unendlich<br />

viel. Sie war in den entscheidenden Jahren von 8 bis 15 meine<br />

wichtigste Mentorin.“ Sich als Musiker in „einer kleinen, aber prestigiösen<br />

Szene“ wie Salzburg zu entwickeln, in der man durchaus<br />

auch mal einem Karajan oder einer großen Operndiva auf der<br />

Straße begegnen konnte, fand Schmid nur von Vorteil.<br />

Das muss Leopold Mozart wohl ähnlich gesehen haben –<br />

50 Jahre lebte der gebürtige Augsburger in Salzburg. Seine Briefe<br />

weisen ihn als begnadeten Networker und Manager aus, dem es<br />

gelang, sich mit vier Erzbischöfen zu arrangieren. Autografe von<br />

Sonaten, Arien, Chorsätzen und Konzerten zeigen den produktiven<br />

Komponisten, die Bücher, Grafiken und Stiche den hochgebildeten<br />

und an allen Entwicklungen interessierten Mann. In einem Glaskasten<br />

das Werk, das ihn über Europa hinaus bekannt machte: „Die<br />

gründlichste und beste Anweisung zur Violine und allen Geigeninstrumenten“,<br />

wie Friedrich Nicolai 1763 schrieb. 1756, im<br />

Geburtsjahr seines Sohnes Wolfgang Amadé, hatte Leopold Mozart<br />

das Lehrbuch veröffentlicht. Heute zählt man die 1.800. Auflage,<br />

einschließlich der Übersetzungen. „Die Violinschule ist bis heute<br />

ein sehr gewichtiges Werk“, sagt Schmid, der als Gastprofessor in<br />

Bern und am Mozarteum lehrt. „Sie sagt sehr viel aus über die Interpretationspraxis<br />

zu Mozarts Zeiten. In Hunderten akribisch zusammengestellten<br />

Fallbeispielen unterstützt<br />

Leopold Mozart seinen Schüler in Fragen<br />

der Artikulation, der Ornamentik<br />

und – für mich besonders interessant –<br />

im Hinblick auf die Bogentechnik.“ Da<br />

werde bis heute grundlegendes Wissen<br />

vermittelt, auch für ihn, der als künstlerischer<br />

Leiter des Internationalen Mozartwettbewerbs<br />

Salzburg und als diesjähriger<br />

Jurypräsident des Violinwettbewerbs<br />

Leopold Mozart in Augsburg das Können<br />

anderer beurteilen muss.<br />

Nicht weit von dem Lehrwerk: das<br />

Objekt der Arbeit – eine Konzertvioline, auf der Wolfgang in den<br />

1770er-Jahren spielte. „Ein Erlebnis eigener Art“ sei es, meint<br />

Schmid, ein solches Instrument zu spielen, das für kleine Räumlichkeiten<br />

gedacht war. Er hält sich an das Wort Harnoncourts, dass<br />

mit jeder Entwicklung eines Instruments auch immer etwas verloren<br />

ginge. Schmid selbst spielt auf drei Geigen, darunter auch eine<br />

E-Geige für seine (preisgekrönten) Jazzaufnahmen. Sein Schatz<br />

aber ist die Stradivarius „ex Viotti 1718“ – eine Leihgabe der Österreichischen<br />

Nationalbank, die er wohl heute dabeihat. Schließlich<br />

muss er im Anschluss zu seinen Studenten ins Mozarteum.<br />

Eines möchte er mir noch zeigen: den Sebastiansfriedhof.<br />

Prächtige Arkaden umranden das Areal, das im Stil der italienischen<br />

Campi Santi um 1600 angelegt wurde. Hier fand der Arzt<br />

Theophrastus Bombastus von Hohenheim, bekannt unter dem<br />

Namen Paracelsus, seine letzte Ruhe, aber auch alte Salzburger Bürger-<br />

und Kaufmannsfamilien sowie Mozarts Vater Leopold und<br />

Wolfgangs Witwe Constanze Nissen. Und Benjamin Schmids Mutter,<br />

die 2017 verstarb. Bleibt nur zu hoffen, dass Salzburgs einziger<br />

noch verwunschener Ort von den Massen verschont bleibt und die<br />

Stadt nicht ihr grausiges Gesicht zeigen muss mit all den Männerbäuchen,<br />

quellenden Busen, Schlapfen an den Füßen, die sich hier<br />

auf Selfies verewigen.<br />

■<br />

Tipps, Infos & Adressen<br />

Reiseinformationen rund um Ihren Besuch in Salzburg.<br />

Musik & Kunst<br />

Ab dem 20. Juli heißt es zum 99. Mal „Vorhang<br />

auf“ für die Salzburger Festspiele. <strong>19</strong>9 Aufführungen<br />

an 43 Tagen und 16 Spielstätten,<br />

unter anderen Händels Alcina, Mozarts Idomeneo,<br />

R. Strauss’ Salome. Tobias Moretti<br />

und Valery Tscheplanowa im Jedermann<br />

(www.salzburgerfestspiele.at). Viel Spaß<br />

macht der skurrile Zwergerlgarten beim<br />

Schloss Mirabell, das Domquartier und das<br />

Museum der Moderne Salzburg auf dem<br />

Mönchsberg (www.stadt-salzburg.at).<br />

Essen & Trinken<br />

Das Köchelverzeichnis: klein und fein in Salzburg<br />

ältester Gasse (Steingasse 27), mit Platz<br />

für höchstens 20 Gäste. Hinter der Theke<br />

kocht die Chefin persönlich und legt, während<br />

es brutzelt, auch mal ein Tänzchen zu Jazzmusik<br />

ein. Täglich drei neue Gerichte bei erlesenem<br />

Wein. Unbedingt einbauen als Konstrastprogramm:<br />

Bei Frau Hildegard im Balkan Grill<br />

(www.hanswalter.at), dem wohl ältesten Bosnastand<br />

u. U. sogar weltweit, die berühmteste<br />

Bosna essen gehen.<br />

Übernachten<br />

Aufwachen mit Opernstars? Klappt im<br />

Hotel Goldgasse (www.hotelgoldgasse.at).<br />

An den Wänden überdimensionale Bühnenbilder,<br />

jedes Zimmer eine andere Inszenierung.<br />

Wunderschön, nachhaltig renoviert<br />

und fußläufig zum Festspielhaus:<br />

Townhouse Weisses Kreuz (www.townhouse-weisses-kreuz.at).<br />

Wahrhaft königlich<br />

(siehe Bild): Wohnen auf Lagerfelds<br />

Spuren im Hotel Schloss Leopoldskron<br />

(www.schloss-leopoldskron.com).<br />

FOTOS: TOURISMUS SALZBURG GMBH (3); MARC SORIAT, ULLI HAMMERL<br />

80 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – Juli – <strong>August</strong> 20<strong>19</strong>

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