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CRESCENDO 4/19 Juni-August 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Gidon Kremer, Augustin Hadelich, Benjamin Schmid und Maurice Steger.

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Interviews unter anderem mit Gidon Kremer, Augustin Hadelich, Benjamin Schmid und Maurice Steger.

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Von links: Dalia Schaechter als Amneris in Aida, Köln, 2011; Ilse Eerens als<br />

Mélisande in Pelléas et Mélisande, Klagenfurt, 20<strong>19</strong>; Sara Jakubia als Elsa von<br />

Brabant in Lohengrin, Graz, 2013; Teodor Ilincai als B. F. Pinkerton und Alexia<br />

Voulgaridou als Cio-Cio San in Madama Butterfly, Hamburg, 2012;<br />

Micaela Carosi als Adriana Lecouvreur, Frankfurt, 2012; Paula Murrihy als<br />

Fulvia und Max Emanuel Cencic in Ezio, Frankfurt, 2013<br />

Jogginghosen, T-Shirts, Parkas!!! Alles furchtbar. Natürlich ist<br />

alles etwas komplizierter, aber dafür bräuchte ich Stunden, um<br />

dies zu erklären.<br />

Warum begnügen sich die meisten Menschen mit Banalität?<br />

Soziale Medien, Fernsehen, Instagram beeinflussen das Leben.<br />

Viele leben ihr Leben durch das Leben anderer. Sie folgen Bloggern,<br />

Influencern, Rap-Sängern, Sportlern, schönen Mädchen, die alle,<br />

dank plastischer Chirurgie, gleich aussehen. Exzentrizität ist zur<br />

Fiktion geworden. Sie starren alle auf ihr iPhone oder iPad und<br />

haben Angst, anders zu sein.<br />

Sie aber wollten kein banales Leben.<br />

Nein, auf keinen Fall! Als Kind träumte ich vom Theater. Später<br />

wollte ich Museumskurator<br />

werden, studierte an der Sorbonne<br />

Kunstgeschichte und wollte Ende<br />

der <strong>19</strong>70er-Jahre über die Kleidung<br />

in Gemälden des 17. Jahrhunderts<br />

promovieren. Es kam anders.<br />

Ihre Frau, die bei Hermès<br />

arbeitete, brachte Sie mit der<br />

Modebranche in Kontakt. Sie<br />

fingen dort als Zeichenassistent<br />

an, von <strong>19</strong>81 bis <strong>19</strong>87 entwarfen<br />

Sie die Haute-Couture-Kollektion des Hauses Jean Patou. Gibt es<br />

einen Unterschied zwischen einem Haute-Couture-Kleid und<br />

einem Opernkostüm?<br />

Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre war die Welt ohnehin so<br />

theatralisch wie eine Oper. Insofern hatte ich kein Problem mit dem<br />

Wechsel. Eine Couture-Kundin bestellt ein einzigartiges Kleid für<br />

einen besonderen Anlass. Nicht nur ihre Silhouette, sondern auch<br />

ihre Einstellung und ihr Temperament werden das prägen, was sie<br />

anhat. Ähnlich geschieht das bei einer Operndiva oder einer<br />

Ballerina. Der einzige Unterschied ist: Haute Couture muss – aus<br />

der Nähe betrachtet – schön sein. Ein Bühnenkostüm aber muss<br />

von Weitem „sprechen“ und wirken.<br />

Stört Sie das als detailversessener Mensch, der man ja als<br />

Designer sein muss?<br />

Es ist keine Frage der Details, sondern des Maßstabs. Bühnengewänder<br />

brauchen größere Stickereien, längere Bänder usw. Alles,<br />

ICH WAR IMMER AUF<br />

DER SUCHE NACH<br />

ETWAS, WAS GRÖSSER<br />

IST ALS DAS LEBEN<br />

was zu raffiniert oder subtil ist, würde auf den großen Bühnen der<br />

Bastille- oder Garnier-Oper verloren gehen. Aber die Opéra-<br />

Comique oder Comédie Française sind klein. Die meisten dieser<br />

wunderbaren Häuser nicht nur in Paris, sondern auch in Berlin,<br />

Frankfurt, München, Wien, oder Graz haben Ateliers wie Couture-<br />

Häuser und das Personal dazu wie Schuhmacher, Weißnäherinnen,<br />

Modisten, Friseure, Maskenbildner.<br />

Was ist wichtiger: der Charakter der Opernrolle oder der des<br />

Interpreten?<br />

Man kann erst mit dem Entwerfen beginnen, wenn man die<br />

Besetzung kennt. Ich erinnere mich an eine Così-Produktion am<br />

La Monnaie in Brüssel. Der Regisseur schwärmte davon, dass die<br />

Teenager Fiordiligi und Dorabella halbnackt am Strand von Neapel<br />

liegen. Das war eine sehr schlechte Idee. Denn die Sänger, die zur<br />

Verfügung standen, waren nicht mehr so jung, auch nicht so dünn,<br />

und nicht bereit, ihren Körper so zu zeigen.<br />

Was war die Herausforderung bei den Kostümen zu Debussys<br />

Pelléas et Mélisande, einem symbolistischen Drama mit wenig<br />

Action, in dem mehr angedeutet als gesagt wird?<br />

Eric Ruf wünschte sich eine sehr dunkle, von der Sonne und dem<br />

Planeten vergessene Welt. Mélisande kommt im leichten „Klimt-<br />

Look“, in einem mit goldenen Pailletten und Spitzen auf hellem Tüll<br />

gearbeiteten Kleid, in dem sich das Licht spiegelt. Und einem<br />

Rüschenkleid, in dem bestimmt 30 Meter Stoff verarbeitet wurden.<br />

Die anderen Sänger haben lange bestickte Mäntel aus Navy-Stoff an<br />

in verschiedenen Schwarztönen, aber auch Matrosenpullover und<br />

Hosen, teilweise von Teer und Schlamm beschmutzt. Ein großes<br />

Lob an die Mitarbeiter des Klagenfurter Stadttheaters, die alle<br />

Kostüme genäht haben!<br />

Sie sind oft von Schönheit umgeben. Was verstehen Sie darunter?<br />

Schönheit ist, wenn man sich mit dem Universum verbunden fühlt,<br />

mit einem Lächeln im Herzen. KEIN Wort ist stark genug, dies zu<br />

beschreiben. Wahre Schönheit macht sprachlos. Schönheit ist nicht<br />

Perfektion. Sie kann auch etwas Seltsames, Bizarres, Unerwartetes<br />

enthalten. Perfektion hingegen fühlt sich leer an.<br />

Ihre nächsten Projekte?<br />

Mozarts Nozze unter der Regie des amerikanischen Filmregisseurs<br />

James Gray am Théâtre des Champs-Elysées im November, Falstaff<br />

in Lille unter der Leitung von Denis Podalydès.<br />

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