KACHEN #25 (Winter 2020) Deutsch Ausgabe
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RESTAURANTPORTRAIT<br />
L’ANNEXE<br />
EIN PROJEKT MIT WEIBLICHEM TOUCH<br />
Dieter Ebeling<br />
Ramunas Astrauskas<br />
104<br />
T E X T<br />
FOTOS<br />
Alles lief bestens. Anfang 2019 hatte Kim Mathekowitsch<br />
das Restaurant „L’Annexe“ mitten in<br />
der luxemburgischen Hauptstadt übernommen.<br />
Sie hatte die Speisekarte anspruchsvoller und gastronomischer<br />
gemacht, den Service noch aufmerksamer,<br />
die Équipe in der Küche verstärkt und reichlich neue<br />
Kundschaft gewonnen. Doch der Höhenflug des kulinarischen<br />
Startups fand vorläufig ein jähes Ende: „Dann kam<br />
Corona“, sagt Kim Mathekowitsch. Sie schaut auf die gut<br />
besetzte Terrasse, die gerne als eine der schönsten in der<br />
Stadt bezeichnet wird. „Wir waren gerade am Fliegen, da<br />
wurden wir wie ein Vogel abgeschossen“, sagt sie.<br />
Die 35-Jährige hat schon zu viel unternommen, um in<br />
Selbstmitleid zu zerfließen. Begonnen hat sie mit einem<br />
Master für Finance, Accounting and Controlling. „Steuerstrukturierungen“<br />
waren ihr Thema, eine „steile Karriere“<br />
machte sie nach der Universität. Dann, vor<br />
sieben Jahren, stieg sie aus. Mit einem<br />
Partner gründete sie auf Mallorca eine<br />
Firma für hochpreisige Yachtvermietungen,<br />
entwarf den Businessplan dafür. Sie<br />
designte das Innere der fünf Yachten, auch<br />
„schwimmende Boutiquehotels“ genannt,<br />
und die dort aufgetischten Speisen. 2018 machte sie dann<br />
im Institut Paul Bocuse den Bachelor in Art de Table – in<br />
Rekordzeit: „Ich musste denen ja nicht mehr zeigen, dass<br />
ich rechnen kann.“<br />
Nicht nur die Yachten in Mallorca haben das Corona-Jahr<br />
<strong>2020</strong> („Ich habe ziemlich viel Geld verloren.“) schlecht<br />
überstanden, auch im „L’Annexe“ geht es um die Existenz:<br />
„Wir kämpfen auch hier. Aber ich denke, dass wir es schaffen.“<br />
Jeder in der luxemburgischen Gastronomie kämpfe<br />
ums Überleben. Allerdings ist ihr Restaurant noch ganz<br />
neu auf dem Markt („Hinter uns steht keine große Bank“),<br />
die hohe Miete muss bezahlt werden und auch das Personal<br />
in den Monaten, in denen es praktisch keinen Umsatz gab:<br />
„Wann die staatlichen Hilfen ankommen, wissen wir noch<br />
nicht.“ Die Herausforderung ist groß: „Das ist ganz meins.<br />
Hier bin ich alleine verantwortlich.“<br />
Im Juni 2007 hatte Arnaud Magnier das Restaurant als<br />
„Annexe“ seines edlen „Clairefontaine“ eröffnet: Mit<br />
Tagesgerichten für 11,50 (später 13 Euro) ging er auf den<br />
Markt – darunter die Klassiker Bouchée à la reine, Cordon<br />
bleu oder Tartare de bœuf. Ein paar Jahre später trennte er<br />
sich vom „Annexe“. Aber bis zur Übernahme durch Kim<br />
Mathekowitsch gab es diese Tagesgerichte noch für 13<br />
Euro. Abgesehen vom Tartare („Das kann man hier einfach<br />
nicht streichen“) gibt es das alles jetzt nur noch während<br />
„Ich wollte, dass<br />
das ein Restaurant<br />
wird, wo man sich<br />
selbst eine Freude<br />
bereitet.“<br />
der „klassischen Wochen“, die alle drei Monate auf dem<br />
Programm stehen. „Die Rechnung, für 13 oder 15 Euro ein<br />
Tagesgericht anzubieten, kann hier nicht aufgehen“, sagt<br />
sie. „Bistros, wo man schnell etwas essen kann, gibt es<br />
genug in der Umgebung.“<br />
Das „L’Annexe“ auf dem Plateau Saint Esprit sei „eine<br />
besondere Adresse“, findet Kim Mathekowitsch. Deswegen<br />
müsse auch die Küche besonders sein. „Ich wollte, dass<br />
das ein Restaurant wird, wo man sich selbst eine Freude<br />
bereitet.“ Das zweigängige Mittagsmenü kostet jetzt 27<br />
Euro – aber zur Überraschung der Eigentümerin steht das<br />
auch mittags gar nicht mehr im Mittelpunkt. Die Gäste<br />
wollen mittlerweile auch mittags – wie zuvor nur abends<br />
möglich – à la carte essen. „Das ist verrückt, aber schön“,<br />
sagt Kim Mathekowitsch. Küchenchef Cristi Badea, zuvor<br />
die Nummer zwei in der Küche Léa Linsters, zeichnet für<br />
anspruchsvolle Hauptgerichte zwischen 29<br />
und 42 Euro sowie für ein Menu Découverte<br />
für 65 Euro verantwortlich.<br />
Die Eigentümerin bringt gerne Tomaten,<br />
Kürbisse, Quetschen und Mirabellen aus<br />
dem väterlichen Garten auf dem Kirchberg<br />
mit in die Küche. Äpfel wachsen in ihrem<br />
Garten, Kirschen bei Freunden: „Wir probieren wirklich,<br />
das auszuschöpfen, was wir auch selbst anbauen.“ „Wenn<br />
Corona nicht gewesen wäre, dann würde meine Rechnung,<br />
mein Businessplan, brillant aufgehen“, sagt Kim Mathekowitsch.<br />
„Vor Corona hat es hier vibriert, da saßen hier<br />
Gäste aus verschiedenen Ländern.“ Im Januar gab es 5.000<br />
Buchungsanfragen eines Reiseveranstalters aus Südkorea<br />
für das Jahr <strong>2020</strong>: „Die finanziellen Folgen sind offensichtlich.“<br />
„Aus einer Krise ergeben sich immer neue Chancen und<br />
Möglichkeiten“, spricht sie sich Mut zu. „Ich bin froh,<br />
wieder in meiner Heimat zu sein und Luxemburgisch zu<br />
reden. Man muss den Markt auch fühlen.“ Von Resignation<br />
keine Spur: Kim Mathekowitsch würde gerne mit einem<br />
Partner ein neues Restaurantprojekt beginnen. Nicht<br />
gerade mitten in der Stadt: „Ich bin Unternehmerin. Und<br />
ich habe Lust auf mehr.“<br />
L‘ANNEXE<br />
7, rue du St Esprit — L-1475 Luxemburg<br />
Tel. +352 / 26 26 25 07<br />
lannexe.lu<br />
<strong>KACHEN</strong> No.25 | WINTER 20