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Schönes Leben – Ausgabe 73

Land, Kultur und Lebensart zwischen Elbestrand und Heidesand

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haus noch erkennbar ist“, weiß Arno Becker. Um 1605 wurde zusätzlich<br />

der hölzerne Turm neben der Kirche errichtet: „Wie in der Gegend<br />

üblich, hatte der Glockenturm damals noch keine direkte Verbindung<br />

zum Haupthaus“, erklärt der Gästeführer. Die Ausstattung des Gotteshauses<br />

mit seinen beiden Brauthäusern, ihrem Intarsiengestühl, den<br />

über 50 reich verzierten und individuell angefertigten schmiedeeisernen<br />

Hutständern an den Männer-Bänken und den riesigen Messingleuchtern<br />

an der Decke lässt den Reichtum der Vierländer Bauern ermessen.<br />

„Es lassen sich aber auch Einblicke in das damalige patriarchalisch<br />

geregelte Zusammenleben gewinnen“, betont Arno Becker. So durften<br />

die Frauen die Kirche nur vom Hintereingang aus betreten und mussten<br />

getrennt von den Männern sitzen. Der höhere der beiden Anbauten,<br />

das sogenannte Männerbrauthaus, ist mit einer Bauernmalerei verziert,<br />

während das deutlich kleinere Frauenbrauthaus innen schmucklos ist.<br />

Ehefrauen mussten zum Zeichen ihrer Zugehörigkeit ein „s“ am<br />

Namensende tragen (z. B. Mette Heitmanns).<br />

Blick auf das Gelände des Freilichtmuseums Rieckhaus mit<br />

Bauerngarten, Entwässerungsmühle und reetgedeckter Scheune.<br />

<br />

Foto: Arno Becker<br />

„Im Jahre 1693 boten Vierländerinnen auf dem<br />

Hamburger Markt erstmals Erdbeeren an.“<br />

„Die heutige barocke Einrichtung der Kirche stammt größtenteils aus<br />

der Mitte des 18. Jahrhunderts“, berichtet Christel Dobslaff. Besonderes<br />

Augenmerk verdiene der noch genutzte bronzene Taufkessel, plattdeutsch<br />

„Döpe“ oder „Dööp“ von 1380 mit seinem absenkbaren Taufdeckel,<br />

den Experten auf ungefähr 1610 datiert haben und der<br />

ursprünglich am Niederrhein entstanden ist. Bis heute wird die Kirche<br />

von der Gemeinde weiter geschmückt: So sind beispielsweise die<br />

gestickten Sitzkissen auf den Kirchenbänken Handarbeiten von Frauen<br />

aus der Gemeinde. „Und auch eine große, von der Gemeinde gemeinsam<br />

gestaltete Schmuckbibel, gehört seit dem Jahr 2000 zur Ausstattung<br />

der St. Nicolai-Kirche“, weiß Christel Dobslaff.<br />

Die Gästeführerin ist übrigens eine waschechte „Marschlanner Deern“.<br />

Sie lebt seit 72 Jahren in ihrem Elternhaus in Ochsenwerder. „Meine<br />

Mutter war Schneiderin. Ihre Kunden haben Platt gesprochen und so<br />

bin ich von klein auf mit der plattdeutschen Sprache aufgewachsen“,<br />

berichtet die Gästeführerin. Später hat sie sich ihr Taschengeld als<br />

Zustellerin der „Bergedorfer Zeitung“ verdient. „Beim Plausch mit den<br />

Kunden wurde dann immer Platt geschnackt“, erzählt Christel Dobslaff.<br />

Land und Leute in den Vierlanden hat die ausgebildete Fremdsprachenkorrespondentin<br />

dann noch intensiver durch ihre Vorstandstätigkeit als<br />

Schriftführerin und Pressewartin beim Kulturkreisverband Vierlande<br />

kennen und schätzen gelernt. Als aktives Mitglied in der Sparte Bauund<br />

Kulturdenkmäler machte sie bei Begehungen und Erfassungen der<br />

in den Vier- und Marschlanden unter Denkmalschutz stehenden Gebäude<br />

die Erfahrung, dass die Vierländer überhaupt nicht „zugeknöpft“<br />

sind. „Bei Begegnungen aus ehrlichem Interesse, in Achtung der<br />

Geschichte und in Würdigung der Traditionen, die die Vierländer über<br />

Jahrhunderte aufrechterhalten haben, habe ich von aufgeschlossenen<br />

Menschen viel Insiderwissen erfahren. Diese Menschen sind von Liebe<br />

Die reich verzierten Giebel sind ein Markenzeichen der Vier- und<br />

Marschländer Bauernhäuser. <br />

Foto: Arno Becker<br />

Die „Hoinerbank“ im Rieckhaus. In den Fächern unter den Sitzflächen<br />

solcher Bänke wurden die berühmten Stubenküken für den Hamburger<br />

Markt aufgezogen. <br />

Foto: Arno Becker<br />

Sommer 2021 93

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