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Bildende Kunst und Literatur

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Dostojewski <strong>und</strong> die Vatertötung<br />

kleinen Dingen Sadist nach außen, in größeren Sadist nach innen, also<br />

Masochist, das heißt der weichste, gutmütigste, hilfsbereiteste Mensch.<br />

Aus der Komplikation der Person Dostojewskis haben wir drei Fak-<br />

toren herausgeholt, einen quantitativen <strong>und</strong> zwei qualitative: Die außer-<br />

ordentliche Höhe seiner Affektivität, die perverse Triebanlage, die ihn<br />

zum Sado-Masochisten oder zum Verbrecher veranlagen mußte, <strong>und</strong><br />

die unanalysierbare, künstlerische Begabung. Dies Ensemble wäre sehr<br />

wohl ohne Neurose existenzfähig; es gibt ja nicht-neurotische Vollmaso-<br />

chisten. Nach dem Kräfteverhältnis zwischen den Triebansprüchen <strong>und</strong><br />

den ihnen entgegenstehenden Hemmungen (plus der verfügbaren Subli-<br />

mierungswege) wäre Dostojewski immer noch als ein sogenannter »trieb-<br />

hafter Charakter« zu klassifizieren. Aber die Situation wird getrübt<br />

durch die Mitanwesenheit der Neurose, die, wie gesagt, nicht unter<br />

diesen Bedingungen unerläßlich wäre, aber doch um so eher zustande<br />

kommt, je reichhaltiger die vom Ich zu bewältigende Komplikation ist.<br />

Die Neurose ist doch nur ein Zeichen dafür, daß dem Ich eine solche<br />

Synthese nicht gelungen ist, daß es bei solchem Versuch seine Einheit-<br />

lichkeit eingebüßt hat.<br />

Wodurch wird nun im strengen Sinne die Neurose erwiesen? Dosto-<br />

jewski nannte sich selbst <strong>und</strong> galt bei den anderen als Epileptiker auf<br />

Gr<strong>und</strong> seiner schweren, mit Bewußtseinsverlust, Muskelkrämpfen <strong>und</strong><br />

nachfolgender Verstimmung einhergehenden Anfälle. Es ist nun überaus<br />

wahrscheinlich, daß diese sogenannte Epilepsie nur ein Symptom seiner<br />

Neurose war, die demnach als Hysteroepilepsie, das heißt als schwere<br />

Hysterie, klassifiziert werden müßte. Volle Sicherheit ist aus zwei Grün-<br />

den nicht zu erreichen, erstens, weil die anamnestischen Daten über Do-<br />

stojewskis sogenannte Epilepsie mangelhaft <strong>und</strong> unzuverlässig sind,<br />

zweitens, weil die Auffassung der mit epileptoiden Anfällen verbun-<br />

denen Krankheitszustände nicht geklärt ist.<br />

Zunächst zum zweiten Punkt. Es ist überflüssig, die ganze Pathologie<br />

der Epilepsie hier zu wiederholen, die doch nichts Entscheidendes bringt,<br />

doch kann man sagen: Immer hebt sich noch als scheinbare klinische<br />

Einheit der alte Morbus sacer hervor, die unheimliche Krankheit mit<br />

ihren unberechenbaren, anscheinend nicht provozierten Krampfanfäl-<br />

len, der Charakterveränderung ins Reizbare <strong>und</strong> Aggressive <strong>und</strong> der<br />

progressiven Herabsetzung aller geistigen Leistungen. Aber an allen<br />

Enden zerflattert dies Bild ins Unbestimmte. Die Anfälle, die brutal<br />

auftreten, mit Zungenbiß <strong>und</strong> Harnentleerung, gehäuft zum lebens-<br />

bedrohlichen Status epilepticus, der schwere Selbstbeschädigung her-<br />

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