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Bildende Kunst und Literatur

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Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci<br />

am Morgen das Gerüst bestiegen habe, um bis zur Dämmerung den<br />

Pinsel nicht aus der Hand zu legen, ohne an Essen <strong>und</strong> Trinken zu den-<br />

ken. Dann seien Tage verstrichen, ohne daß er Hand daran anlegte, bis-<br />

weilen habe er st<strong>und</strong>enlang vor dem Gemälde verweilt <strong>und</strong> sich damit<br />

begnügt, es innerlich zu prüfen. Andere Male sei er aus dem Hofe des<br />

Mailänder Schlosses, wo er das Modell des Reiterstandbildes für Fran-<br />

cesco Sforza formte, geradewegs ins Kloster gekommen, um ein paar<br />

Pinselstriche an einer Gestalt zu machen, dann aber unverzüglich auf-<br />

gebrochen 1 . An dem Porträt der Mona Lisa, Gemahlin des Florentiners<br />

Francesco del Giocondo, malte er nach Vasaris Angabe vier Jahre lang,<br />

ohne es zur letzten Vollendung bringen zu können, wozu auch der Um-<br />

stand stimmen mag, daß das Bild nicht dem Besteller abgeliefert wurde,<br />

sondern bei Leonardo verblieb, der es nach Frankreich mitnahm 2 . Von<br />

König Franz I. angekauft, bildet es heute einen der größten Schätze des<br />

Louvre.<br />

Wenn man diese Berichte über die Arbeitsweise Leonardos mit dem<br />

Zeugnis der außerordentlich zahlreich von ihm erhaltenen Skizzen <strong>und</strong><br />

Studienblätter zusammenhält, die jedes in seinen Bildern vorkommende<br />

Motiv auf das vielfältigste variieren, so muß man die Auffassung weit<br />

von sich weisen, als hätten Züge von Flüchtigkeit <strong>und</strong> Unbeständigkeit<br />

den mindesten Einfluß auf Leonardos Verhältnis zu seiner <strong>Kunst</strong> ge-<br />

wonnen. Man merkt im Gegenteile eine ganz außerordentliche Ver-<br />

tiefung, einen Reichtum an Möglichkeiten, zwischen denen die Ent-<br />

scheidung nur zögernd gefällt wird, Ansprüche, denen kaum zu ge-<br />

nügen ist, <strong>und</strong> eine Hemmung in der Ausführung, die sich eigentlich auch<br />

durch das notwendige Zurückbleiben des Künstlers hinter seinem idealen<br />

Vorsatz nicht erklärt. Die Langsamkeit, die an Leonardos Arbeiten von<br />

jeher auffiel, erweist sich als ein Symptom dieser Hemmung, als der Vor-<br />

bote der Abwendung von der Malerei, die später eintrat 3 . Sie war es<br />

auch, die das nicht unverschuldete Schicksal des Abendmahls bestimmte.<br />

Leonardo konnte sich nicht mit der Malerei al fresko befre<strong>und</strong>en, die ein<br />

rasches Arbeiten, solange der Malgr<strong>und</strong> noch feucht ist, erfordert; dar-<br />

um wählte er Ölfarben, deren Eintrocknen ihm gestattete, die Voll-<br />

endung des Bildes nach Stimmung <strong>und</strong> Muße hinauszuziehen. Diese Far-<br />

ben lösten sich aber von dem Gr<strong>und</strong>e, auf dem sie aufgetragen wurden<br />

1 2 W. v. Seidlitz (1909, Bd. l, 203).<br />

v. Seidlitz (1909, Bd. 2, 48).<br />

3 W. Pater [1873, 100] Die Renaissance. Aus dem Englischen. Zweite Auflage 1906.<br />

»Doch sicher ist es, daß er in einem gewissen Abschnitt seines Lebens beinahe aufgehört<br />

hatte, Künstler zu sein.«<br />

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