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Bildende Kunst und Literatur

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NACHTRAG ZUR ZWEITEN AUFLAGE<br />

(1912)<br />

In den fünf Jahren, die seit der Abfassung dieser Studie vergangen sind,<br />

hat die psychoanalytische Forschung den Mut gefaßt, sich den Schöp-<br />

fungen der Dichter auch noch in anderer Absicht zu nähern. Sie sucht<br />

in ihnen nicht mehr bloß Bestätigungen ihrer F<strong>und</strong>e am unpoetischen,<br />

neurotischen Menschen, sondern verlangt auch zu wissen, aus welchem<br />

Material an Eindrücken <strong>und</strong> Erinnerungen der Dichter das Werk ge-<br />

staltet hat <strong>und</strong> auf welchen Wegen, durch welche Prozesse dies Material<br />

in die Dichtung übergeführt wurde.<br />

Es hat sich ergeben, daß diese Fragen am ehesten bei jenen Dichtern be-<br />

antwortet werden können, die sich in naiver Schaffensfreude dem Drän-<br />

gen ihrer Phantasie zu überlassen pflegen wie unser W. Jensen († 1911).<br />

Ich hatte bald nach dem Erscheinen meiner analytischen Würdigung der<br />

Gradiva einen Versuch gemacht, den greisen Dichter für diese neuen<br />

Aufgaben der psychoanalytischen Untersuchung zu interessieren; aber<br />

er versagte seine Mitwirkung.<br />

Ein Fre<strong>und</strong> hat seither meine Aufmerksamkeit auf zwei andere No-<br />

vellen des Dichters gelenkt, welche in genetischer Beziehung zur Gradiva<br />

stehen dürften, als Vorstudien oder als frühere Bemühungen, das näm-<br />

liche Problem des Liebeslebens in poetisch befriedigender Weise zu<br />

lösen. Die erste dieser Novellen, ›Der rote Schirm‹ betitelt, erinnert an<br />

die Gradiva durch die Wiederkehr zahlreicher kleiner Motive wie: der<br />

weißen Totenblume, des vergessenen Gegenstands (das Skizzenbuch der<br />

»Gradiva«), des bedeutungsvollen kleinen Tieres (Schmetterling <strong>und</strong><br />

Eidechse in der Gradiva), vor allem aber durch die Wiederholung der<br />

Hauptsituation, der Erscheinung des verstorbenen oder totgeglaubten<br />

Mädchens in der Sommermittagsglut. Den Schauplatz der Erscheinung<br />

gibt in der Erzählung ›Der rote Schirm‹ eine zerbröckelnde Schloßruine<br />

wie in der Gradiva die Trümmer des ausgegrabenen Pompeji.<br />

Die andere Novelle ›Im gotischen Hause‹ weist in ihrem manifesten<br />

Inhalt keine derartigen Übereinstimmungen weder mit der Gradiva<br />

noch mit dem ›Roten Schirm‹ auf; es deutet aber unverkennbar auf nahe<br />

Verwandtschaft ihres latenten Sinnes hin, daß sie mit letzterer Erzäh-<br />

lung durch einen gemeinsamen Titel zu einer äußerlichen Einheit ver-<br />

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